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Aguero: Der Zeichentrickjunge und die großen acht Buchstaben

Zum Karriereende von Sergio Aguero

Der Zeichentrickjunge und die großen acht Buchstaben

Titel, Tore und ein bitteres Ende: Sergio "Kun" Aguero.

Titel, Tore und ein bitteres Ende: Sergio "Kun" Aguero. Getty Images (3)

Mit der Post wurde er natürlich nicht verschickt. Und doch hatte auch Aguero das Siegel aufgedrückt bekommen, das eine Zeit lang prinzipiell alle talentierten Argentinier bekamen, wenn sie nach Europa wechselten.

Der "neue Maradona" könnte er womöglich werden, da war er aber längst nicht der erste gewesen. Wahrscheinlich endete diese Erwartungshaltung erst mit Lionel Messi - auf den nun eben der "neue Messi" folgen soll.

Noch vor seinem ein Jahr älteren Landsmann, mit dem er 2005 die Junioren-WM gewinnen sollte, wurde Sergio Leonel Aguero del Castillo das, wovon so viele seiner Freunde immer geträumt hatten: Fußballprofi. Im Juli 2003 war das, mit gerade einmal 15 Jahren und 35 Tagen. Keiner war im argentinischen Oberhaus je jünger gewesen, auf Platz zwei verdrängt wurde: Diego Maradona.

Sein Opa nennt ihn "Kun"

Im Sommer 2006 investierte Atletico Madrid über 20 Millionen Euro in einen untersetzten 18-Jährigen von Independiente. Schon wieder Rekord. Nie hatten die Rojiblancos, damals alles andere als ein Topteam, so viel Geld für einen Spieler ausgegeben wie für dieses frühreife Sturmtalent.

Agueros Dynamiken als hängende Spitze, seine Bewegungsabläufe dank niedrigem Körperschwerpunkt und die Unberechenbarkeit seiner Vorstöße sorgten in der spanischen Hauptstadt schnell für weitere Ausrufe des großen Namens mit den acht Buchstaben. Durch seinen erst zweiten Treffer für Atletico, mit der Hand, stiegen die Parallelen dann beinahe ins Lächerliche. Man kann sich ja denken, wessen Tochter "Kun", dessen vom Großvater verpasster Spitzname der Ähnlichkeit mit einer Zeichentrickfigur entstammt, zwei Jahre später heiraten sollte.

Noch als Teenager stieg Aguero nach dem Abgang von Fernando Torres gen Liverpool zu Atleticos womöglich wichtigstem Spieler auf und verhalf einer besseren Durchschnittstruppe durch immer beeindruckendere Leistungen zu überraschend großen Sprüngen. Wo haben wir das nur schon mal gesehen …

Sergio Aguero, Diego Maradona

Der ehemalige Schwiegervater: Aguero (li.) mit der inzwischen verstorbenen Ikone Maradona. imago sportfotodienst

Erst in England wird Aguero zum Weltklassespieler

Als wortwörtlicher Erbe Maradonas führte Kun die Rojiblancos, gemeinsam mit Sturmpartner Diego Forlan, 2010 sogar zu einem internationalen Erfolg, zum Europa-League-Titel. Sein großer Durchbruch gelang allerdings erst als "anderer" Spieler, dem man bald vielmehr Gemeinsamkeiten mit Brasiliens großem Mittelstürmer Romario nachsagte.

2011 hatte das neureiche Manchester City den 23-jährigen Aguero verpflichtet, dem man trotz seiner Spielstärke immer wieder vorgeworfen hatte, vor dem Tor nicht kalt genug zu sein. Englands Torhüter waren sich angesichts dieser Vorwürfe wahrscheinlich ziemlich veralbert vorgekommen, Paddy Kenny von den Queens Park Rangers etwa.

In der Nachspielzeit des letzten Spiels seiner ersten Saison schoss Aguero - und bei einem "o" bleibt es eigentlich in keiner Nacherzählung - ManCity zur ersten Meisterschaft seit 44 Jahren. Es war die Geburtsstunde einer Vereinslegende, die fortan Jahr für Jahr zig Tore schoss, welche den Skyblues eine ganze Dekade lang zahlreiche Titel bescherten - bis auf die Champions League.

Vielleicht war er beim falschen Verein

Während Robert Lewandowski in der Bundesliga die Netze zerschoss, in Frankreich Zlatan Ibrahimovic überragte und Luis Suarez oder Karim Benzema als Spaniens herausragende Mittelstürmer gefeiert wurden, avancierte "Kun" Aguero zum Ballermann auf der Insel. "Maradona eroberte Italien, Messi tat es in Spanien und Aguero in England. Die Zahlen sprechen für sich", adelte sein Ex-Trainer Pep Guardiola, bei der tränenreichen Pressekonferenz am Mittwoch anwesend, einen der großen Argentinier.

Doch was sportlich gleichwertig zu sein schien, war es im Volksmund vielerorts nicht. Denn einerseits stürmten Agueros Konkurrenten für traditionsreiche Weltklubs wie Real Madrid, den FC Barcelona oder den FC Bayern. Andererseits ging ihm die große Strahlkraft eines Ibrahimovic ab - ganz zu schweigen von den Ausnahmespielern Cristiano Ronaldo und Messi.

Manchmal konnte man den Eindruck gewinnen, dass Sergio Aguero, dessen Barça-Wechsel schließlich kaum noch sportliche Relevanz haben sollte, im Weltfußball immer ein bisschen übersehen wurde - und womöglich auch weiterhin ein bisschen übersehen wird. Weil er "nur" für den "Scheich-Klub" traf. Weil er mehr Stürmer als Starstürmer war. Und seine 260 Tore in 390 Spielen zu sachlich schoss.

Aber unter diese 260 Treffer, von denen sich 259 vielleicht wirklich nicht ins kollektive Fußballgedächtnis eingebrannt haben, hat sich einer gemischt, von dem sie sich im Mutterland des Fußballs wahrscheinlich noch ewig erzählen werden. Das konnte sonst nur einer von sich behaupten.

(Dieser Text erschien erstmals am 15. Dezember 2021)

Niklas Baumgart

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