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Der Giro: ein Triumph des Radsports - auch des deutschen

Kommentierende Analyse

Der Giro: ein Triumph des Radsports - auch des deutschen

Triumph in den Dolomiten: Jay Hindley.

Triumph in den Dolomiten: Jay Hindley. picture alliance / ZUMAPRESS.com

Sie hat gehalten, was sie versprochen hat, die 105. Auflage des Giro d‘ Italia. In den vergangenen drei Wochen hat der Giro jedenfalls Etappe für Etappe bewiesen, warum der Radsport-Enthusiast an ihn sein Herz verloren hat und nicht an die größere, bedeutendere Tour de France. Das beginnt bei der clever gewählten Streckenführung, die, obwohl sehr berglastig, doch alle Facetten dieser Sportarten abdeckte und für Spannung bis zum Schluss sorgte. Dass der spektakuläre Showdown erst an der vorletzten Etappe vor der traumhaften Kulisse der Dolomiten am allerletzten Anstieg hinauf zum Passo Fedaia stattgefunden hat, ist kein Zufall, sondern ein Stück weit programmiert gewesen.

Dass besagter Showdown indes mit einem Sieg made in Deutschland, sorry, fatto in Germania, endete, ist zwar nicht völlig überraschend, aber auch nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Die im oberbayrischen Raubling beheimatete Equipe Bora-hansgrohe zählte zwar zum Favoritenkreis, doch dass sie letztendlich der Sky-Nachfolger-Mannschaft Ineos Grenadiers und deren Top-Favoriten Richard Carapaz den Gesamtsieg wegschnappen würden können, hatte deren Macher Ralph Denk nicht auf der Rechnung.

Als der ehemalige Mountainbiker vor zwölf Jahren mit dem Rennstall NetApp ein Rennradteam gründete, war dies gelinde ausgedrückt ein Wagnis. Zur damaligen Zeit war der von Dopingskandalen geschüttelte Radsport hierzulande in der breiten Öffentlichkeit annährend so beliebt wie eine Steuernachzahlung. Und als Denk dann damals jene Gründung neben der Begeisterung für den Radsport mit dem großen Ziel begründete, irgendwann einmal das Gelbe Trikot zu gewinnen, wurde er bestenfalls milde belächelt. Sein Team war damals drittklassig und allein an der Teilnahme bei der Tour aber so was von meilenweit entfernt.

Denk krempelte sein Team komplett um

Heute kann der 48-Jährige lachen. Gut, es ist vorerst "nur" das Rosa Trikot geworden, und doch kommt es von seiner Bedeutung her für ihn und sein Team ans Gelbe heran. Ende der vergangenen Saison entschloss sich Denk, sein mittlerweile längst in der Weltspitze angekommenes Team komplett umzukrempeln und neu auszurichten. Gewann Bora-hansgrohe mit Peter Sagan beim Giro 2021 mit dem Violetten Trikot noch die Sprinterwertung, so nahm Denk den Abgang des Superstars Ende des vergangenen Jahres zum Anlass, sich künftig in erster Linie aufs Gesamtklassement bei den großen Landesrundfahrten zu konzentrieren. Dafür tauschte er die an Erfolgen wahrlich nicht arme und bestens funktionierende sportliche Leitung um Enrico Poitschke aus und baute um Rolf Aldag eine neue auf. Und er verpflichtete Rundfahrt-Spezialisten wie den Kolumbianer Sergio Higuita (24), den Russen Alexander Vlasov (26) und eben jenen Jai Hindley (26), der nun auf Italiens Straßen triumphierte und als erster Australier den Giro gewinnen konnte.

Lehrstück in Sachen Mannschaftsleistung und clevere Taktik

Dass diese Metamorphose gleich bei der ersten großen Rundfahrt gezündet hat, macht diesen Triumph so speziell. Zudem geht die Art und Weise, wie das deutsche Team dem in den vergangenen Jahren bei Rundfahrten mitunter quälend langweilig dominierenden Rennstall aus England am vorletzten Tag das Führungstrikot entriss, als Lehrstück in Sachen homogene Mannschaftsleistung und clevere Taktik in die Radsport-Annalen ein.

Bora-hansgrohe wartete und wartete, ehe es die entscheidende Attacke gegen den hauchdünn mit drei Sekunden Vorsprung führenden Richard Carapaz lancierte. Die Mannschaft um den Giro-Sieger von 2019 aus Ecuador war zu stark und zu erfahren, als dass sie sich vorher hätte übertölpeln lassen. Und der 29-Jährige selbst erwies sich auf Steigungen bis elf, zwölf Prozent als ebenbürtig, sodass die einzige Chance, ihn zu distanzieren, sich auf den letzten vier mit bis zu 16 Prozent durchgehend supersteilen Kilometern hinauf zur Bergankunft auf den Fedaia angeboten hatte.

Kämna demoralisierte Carapaz

Dass Hindley diese letztlich so imposant nutzen konnte, verdankt er seinem Teamkollegen Lennard Kämna. Der 25-Jährige ging an jenem Tag mit drei Pass-Überquerungen in die Fluchtgruppe, um sich beim finalen Anstieg fallen zu lassen und auf seinen Kapitän zu warten. Als dieser dann Rad an Rad mit Carapaz auftauchte, spann er sich davor, fuhr absolut Anschlag, bis sein Teamkollege aus seinem Windschatten herausschoss und das Tempo nochmals erhöhte. Kämna ließ dann aber nicht locker, sondern hängte sich an Carapaz' Hinterrad, was wiederum mit dafür gesorgt hat, dass Hindley vor dem abschließenden 17 Kilometer kurzen Zeitfahren einen beruhigenden Vorsprung von über eine Minute herausfahren konnte. Der 25-jährige Deutsche demoralisierte so den Ecuadorianer wohl endgültig, während dies bei seinem Teamkollegen die allerletzten Reserven mobilisierte.

Apropos Kämna. Neben dem Gesamtsieg von Bora-hansgrohe ist er mit seinem Etappensieg am Ätna im Speziellen und seinem Auftritt im Generellen ein weiterer erfreulicher Aspekt für den deutschen Radsport gewesen. Viel hat nicht gefehlt, und das große Talent hätte im vergangenen Jahr das Rad   endgültig ins Eck gestellt. Wie er mithilfe seines Teams aus diesem tiefen, tiefen Tal herausgekommen ist, lässt für die Zukunft einiges erhoffen.

Buchmanns Traum bleibt wohl unerfüllt

Wenn es denn einen Wehmutstropfen für den deutschen Radsport-Fan gibt, dann ist dies Emanuel Buchmann. Dies klingt zunächst angesichts seines 7. Rangs im Endklassement erst mal seltsam, denn damit gehört der 29-Jährige zur absoluten Weltklasse. Hält man sich indes vor Augen, dass er nach dem 4. Platz bei der Tour de France 2019 selbst einen Sieg bei einer großen Landesrundfahrt als sein großes Ziel nannte, so droht dies ein Traum zu bleiben. Auch wenn er in den vergangenen Jahren wie auch in der jetzigen Vorbereitung auf den Giro immer von Pech heimgesucht wurde, die letzten paar Prozent für ganz oben auf dem Podest scheinen dem Allgäuer dann doch zu fehlen.

Chris Biechele