Die Erinnerung an die alten Zeiten zauberte Julian Brandt ein Lächeln aufs Gesicht. "Ich habe es geliebt, Freiheiten zu haben", blickt er in der BVB-Reportage "My Roots" zurück auf die Tage, als er noch nicht für Borussia Dortmund auf größter Bühne, sondern für seinen Bremer Jugendvereins SC Borgfeld über das Spielfeld wirbelte. Es ist ein paar Jahre her, und doch hat sich in einem Punkt nichts geändert: Die Freiheiten im Spiel "liebe ich immer noch, seinen eigenen Kopf auf dem Spielfeld durchsetzen zu können".
Und schon ist Brandt in der Gegenwart und zieht erstaunliche Parallelen zur Spielweise unter seinem jetzigen Trainer Edin Terzic: "Mittlerweise ist es ähnlich bei Edin. Wenn wir den Ball haben, sind wir frei in der Bewegung. Das tut mir extrem gut." Es ist offensichtlich. In der laufenden Saison agiert Brandt so gut wie nie zuvor im Dortmunder Trikot. Bis zu seiner Muskelverletzung im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinals beim FC Chelsea war er der wohl beständigste Feldspieler des BVB, in 23 Ligaspielen stehen schon zwölf Scorerpunkte zu Buche. Neben der immer schon unbestreitbaren Klasse mit Ball am Fuß hat der inzwischen 26-Jährige auch defensiv seinen dazugelernt, geht weite Wege, führt Zweikämpfe, hält robust dagegen.
Das war nicht immer so. Im Mai 2022 wurden Aussagen zum großen Thema, die Brandt im Podcast-Interview bei "kicker meets DAZN" mit einem Augenzwinkern getätigt hatte. "Bei allen Trainern, die ich hatte, hatte ich offensiv nie Probleme. Ich hatte viele Trainer, die ich defensiv maximal gebrochen habe. Es zieht sich durch wie ein Faden."
Ich glaube nicht, dass jemand wie Kevin De Bruyne schneller ist als Julian Brandt, einen festeren Schuss hat, einen besseren Pass sehen kann oder kreativer ist.
Edin Terzic
Sein alter, neuer Trainer Terzic suchte das Gespräch, wie er vergangene Woche bei der BVB-Talkrunde "Brinkhoff's Ballgeflüster" verriet. "Da gab es diesen Podcast mit ein paar unglücklichen Aussagen. Daraufhin habe ich ihn im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft besucht und mit ihm das Gespräch gesucht." Und das mit Erfolg: "Wir waren uns einig: Der einzige Weg, die Diskussionen zu stoppen, ist, indem wir zeigen, dass er in dem Bereich anders sein möchte." Damit die Aussagen nicht jedes Mal aufs Neue "wie ein Bumerang" zurückkämen: "Daran werde ich ihn immer wieder erinnern."
Und mit dieser Seriosität habe Brandt wenig fußballerische Grenzen, findet Terzic. "Jeder weiß, welches Talent in ihm schlummert", sagt der Trainer und vergleicht ihn mit dem wohl besten Spieler auf dessen Position: "Ich glaube nicht, dass jemand wie Kevin De Bruyne schneller ist als Julian Brandt, einen festeren Schuss hat, einen besseren Pass sehen kann oder kreativer ist." Aber der Belgier habe "irgendwann mal die Ernsthaftigkeit entdeckt, wie man Fußballspiele gewinnt. Der hat irgendwann mal den sexy Fußball abgelegt und hat gesagt, dass es doch cooler ist, ein Tor zu schießen als einen Assist zu haben."
Die Mitspieler halten Brandt den Rücken frei - und umgekehrt
Und dann fügen sich Möglichkeiten und Disziplin zusammen. "Natürlich genießt Julian Freiheiten bei uns, jeder Spieler tut das bis zu einer bestimmten Grenze." Das Team habe aber Automatismen, die für alle gelten: "Wenn Julian sich in einem Raum aufhält, in dem er sich wohlfühlt, dann müssen alle anderen wissen, was sie zu tun haben. Wenn er aufdreht, müssen sie wissen: Ich muss jetzt in die Tiefe laufen, ich muss ihm jetzt eine Option schaffen, damit er mich anspielen kann. Oder ich muss den Gegner wegziehen, damit er dribbeln kann."
Und umgekehrt müsse dann in anderen Situationen auch Brandt seinem Nebenmann den Rücken freihalten und die Freiheiten der Mitspieler verteidigen: "Wenn ein anderer Spieler eine Position einnimmt, die dem Spiel guttut, dann weiß Julian, was er für ihn tun muss." Und nur so sei auch für die defensive Absicherung gesorgt: "Wenn wir uns so gegenseitig unterstützen, sowohl wenn wir den Ball haben als auch wenn der Gegner den Ball hat, dann ist es auch egal, wenn wir mal einen Zweikampf verlieren, weil wir ganz genau wissen, dass es danach den nächsten gibt und danach den nächsten."