Champions League

Boniek im Interview: "Trapattoni glaubte, sehr vorsichtig spielen zu müssen"

Pole spricht über die Niederlage 1983 gegen den HSV

Boniek im Interview: "Trapattoni glaubte, sehr vorsichtig spielen zu müssen"

"Der fiel ja hinten runter": Zbigniew Boniek (re.) hat das Tor von Felix Magath noch gut in Erinnerung.

"Der fiel ja hinten runter": Zbigniew Boniek (re.) hat das Tor von Felix Magath noch gut in Erinnerung. imago/Sven Simon

Für Juventus Turin spielte Zbigniew Boniek von 1982 bis 1985 und holte mit dem Klub 1984 das Double, 1984 den Europacup der Pokalsieger und 1985 den Europapokal der Landesmeister. Mit dem Franzosen Michel Platini bildete der Offensiv-Allrounder in den drei Jahren ein Traumduo. Von 2012 bis 2021 war Boniek Präsident des polnischen Verbandes, seit 2021 ist er Vizepräsident der UEFA.

Herr Boniek, erinnern Sie sich an ein Tor von Felix Magath …?

Wollen Sie mich unbedingt ärgern …? (lacht)

Spielbericht

Welche Erinnerungen haben Sie an den HSV-Sieg im Finale 1983?

Das Spiel werde ich niemals vergessen - leider!

Es war sehr hart damals?

Das war es ganz sicher, aber ich bin Sportsmann. Ein Sieg ist genauso normal wie eine Niederlage. Ich war ein Spieler, der bis zum Ende gekämpft hat, bis zur letzten Sekunde mit allen Mitteln. Aber nach dem Spiel konnte ich jedem die Hand geben. Und nach 20 Jahren musste ich noch mal gratulieren.

Warum das?

Die damalige HSV-Mannschaft feierte 2003 ihren Triumph und hatte die Juventus-Spieler eingeladen. Ich habe zugesagt - als Einziger. Für mich war das kein Problem, in Hamburg ein kleines Bier zu trinken und sich an diese Nacht in Athen zu erinnern.

Beim Finale kamen Sie fast zu spät …

Auf dem Rasen? Niemals! (lacht)

Nein, auf dem Flughafen.

Ach ja! Damals gab es noch keinen verbindlichen FIFA-Terminkalender. Polen spielte in der Qualifikation der EM 1984 gegen die Sowjetunion. Juve wollte mich nicht freigeben, aber ich habe gesagt: "Unmöglich. Ich spiele immer für mein Land." Dann bin ich nach Polen geflogen.

Nach der Partie in Chorzow, die 1:1 ausging und bei der Sie das Tor für Polen köpften, mussten Sie sich beeilen.

Oh ja! Erst mit dem Auto nach Warschau, von dort im Flieger nach Mailand und dann weiter im Auto nach Turin zum Flughafen. Der Jumbo war schon startbereit und ich war der Letzte, der an Bord ging.

Normalerweise hätte Juve damals von zehn Partien gegen den HSV sechs, sieben, vielleicht sogar acht gewonnen.

Zbigniew Boniek

Die Medien schrieben, dass Sie auf der Bank sitzen würden.

Das hat unseren Mister, Giovanni Trapattoni, nie interessiert. Ich habe immer in der ersten Elf gespielt, auch im Finale.

Musste Juventus das Finale verlieren?

Ach was, wir waren Favorit. Aber ich schätzte diese HSV-Mannschaft. Günter Netzer, das Idol meiner Jugend, hatte diese Elf zusammengestellt. Die waren richtig stark. Aber normalerweise hätte Juve damals von zehn Partien gegen den HSV sechs, sieben, vielleicht sogar acht gewonnen. Denn bei uns standen sechs Spieler im Team, die ein Jahr zuvor für Italien den WM-Titel gewonnen hatten. Dazu kamen zwei ausländische Profis: Michel Platini und ich.

Hat den Fußball immer noch im Fokus: Zbigniew Boniek.

Hat den Fußball immer noch im Fokus: Zbigniew Boniek. imago images/Newspix

Auf dem Weg ins Finale gab es kaum Probleme.

Ja, das zeigt, wie gut wir wirklich waren. Erst gegen den dänischen Meister Hvidovre, dann gegen Standard Lüttich. Die Belgier waren echt klasse, hatten aber keine Chance gegen Juve. Im Viertelfinale ging es gegen den Titelverteidiger Aston Villa. Wir haben dort 2:1 gewonnen, als erster italienischer Klub überhaupt in England. Im Rückspiel siegten wir 3:1.

Und im Halbfinale wartete ausgerechnet Ihr Ex-Verein Widzew Lodz.

1980 hatten wir Juventus Turin im UEFA-Pokal rausgeworfen, drei Jahre später musste ich nun gegen die ehemaligen Kollegen spielen. Das war nicht leicht für mich.

Aber Sie spielten auch gegen Widzew stark.

Ich habe diese Europapokalnächte einfach immer sehr gemocht.

Nur nicht die Nacht von Athen …

Na ja, unser Trainer Trapattoni konnte die Stärken von Platini und mir noch nicht hundertprozentig einschätzen. Vor dem Spiel glaubte er, dass wir sehr vorsichtig spielen sollten. Daher musste ich mich um Manfred Kaltz kümmern, um dessen Flankenläufe aufzuhalten. Die nächsten Jahre zeigten dann, dass sich die Gegner um einen Polen im schwarz-weißen Trikot mit der Nummer 11 kümmern mussten - und ihn meist nicht halten konnten. (lacht)

Rolff stand Platini "auf den Füßen"

Torwart Dino Zoff wurde durch den Schuss von Magath überrascht.

Dino ist eine Legende. Ob er den Ball hätte halten können? Der fiel ja hinten runter. So etwas passiert eben. In solchen Spielen wie Finals muss man die Sache in die eigene Hand nehmen und nicht abwartend spielen, so wie wir gegen den HSV auftraten.

Platini blieb blass.

Platini hat’s ja probiert, aber ihm stand Wolfgang Rolff auf den Füßen, der ihn immer wieder angegangen ist. Die Niederlage hat wehgetan. Aber schon in Athen haben wir gesagt: Nächstes Jahr ist der Scudetto dran - und wir kommen bestimmt noch mal ins Finale.

Was ja dann tatsächlich geschah.

Ja, 1984 haben wir den Europapokal der Pokalsieger geholt, danach den UEFA-Supercup und 1985 den Europacup der Landesmeister im Finale gegen Liverpool gewonnen (1:0, Platini verwandelte den Elfmeter, nach einem Foul an Boniek, Anm. der Redaktion).

Vor ein paar Jahren haben Sie gescherzt: Juventus hat vier Finals mit mir bestritten und dabei fünf Tore erzielt. Ich habe drei davon gemacht, und das vierte kam nach einem Foul an mir …

… nur leider keins in Athen. Aber wir mussten diese Erfahrung machen, um besser zu werden.

Das Interview erschien zuerst in der kicker-Ausgabe Nr. 42 am 22. Mai 2023.

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