Bundesliga

Wie Messi oder Ronaldo: HSV-Idol Keegan erster Popstar der Bundesliga

Zum 70. Geburtstag: Anekdoten zum ersten Popstar der Bundesliga

"Als käme Messi in die Bundesliga": Wie Keegan nicht nur den HSV aufmischte

Kevin Keegan, der erste Popstar der Bundesliga verzückte nicht nur den Hamburger SV.

Kevin Keegan, der erste Popstar der Bundesliga verzückte nicht nur den Hamburger SV. imago images

Liebesgeschichten gehen im Normalfall anders los. Günter Netzer kam im Sommer 1978 als Manager zum HSV, ein Jahr nach Kevin Keegan. An die erste Begegnung mit dem Superstar hat er diese Erinnerung: "Der hat mich noch nicht mal gegrüßt, als ich zu ihm gekommen bin. Er sagte nur: 'Damit du Bescheid weißt, ich will hier weg!' Das waren seine ersten Worte."

Das Gute für Netzer und Hamburg war: Den Normalfall gab es bei Keegan grundsätzlich nicht. Seine Wegbegleiter in Deutschland erzählen von vielen Außergewöhnlichkeiten. In allen Belangen. Der Engländer spielte außergewöhnlich gut, trainierte außergewöhnlich hart, war außergewöhnlich unterhaltsam. Und angesichts seiner Beliebtheitswerte außergewöhnlich bodenständig. "Keiner", sagt Horst Hrubesch heute, "war wie Kevin. Er war ein Original. Würde es ihn nicht geben, müsste man ihn erfinden."

Erst viel Neid, dann Liebe erst auf den zweiten Blick

HSV-Manager Günter Netzer (li.) mit Kevin Keegan und Manfred Kaltz (Mi.).

HSV-Manager Günter Netzer (li.) mit Kevin Keegan und Manfred Kaltz (Mi.). imago images

Dennoch bedurfte es für die Liebe mit der Hansestadt des viel zitierten zweiten Blicks. Netzer gewann Keegan diesen ab, weil er ihm nach einem enttäuschenden Premierenjahr, in dem der Hamburger SV sportlich enttäuschte und der Star-Einkauf von den Kollegen mit Neid und Missgunst begrüßt worden war, klar zusagte, einen radikalen Schnitt zu vollziehen. Er tauschte Arrivierte gegen hungrige Zweitligaspieler wie Hrubesch und Bernd Wehmeyer, dazu verpflichtete er Branko Zebec als Trainer.

Es war damals so, als würde heute Messi oder Ronaldo in die Bundesliga kommen.

Bernd Wehmeyer

Es war der verspätete Beginn einer Liebesgeschichte. Der 1,70 Meter kleine Kapitän der englischen Nationalmannschaft wurde zur großen Nummer. Zur "Mighty Mouse", der mächtigen Maus. Keegan wurde zum ersten Superstar der Bundesliga. Wehmeyer war noch bei Hannover 96, als Hamburgs Präsident Dr. Peter Krohn Keegan für 2,3 Millionen Mark vom FC Liverpool losgeeist hatte , er zieht diesen Vergleich: "Es war damals so, als würde heute Messi oder Ronaldo in die Bundesliga kommen", erklärt Wehmeyer.

"Ein gewisser Berti Vogts noch heute schwindelig"

Dass Krohn im Sommer 1977 in London war, um eigentlich Stan Bowles von den Queens Park Rangers zu verpflichten, passt zu der Liebe auf den zweiten Blick. Keegan hatte wenige Tage zuvor mit den Reds den Europacup der Landesmeister gegen Borussia Mönchengladbach gewonnen, und Wehmeyer glaubt, "dass ein gewisser Berti Vogts heute noch schwindelig ist wegen Kevin". Der Tempodribbler war also eigentlich mindestens eine Nummer zu groß für den HSV, aber Krohn hörte Keegan während seines England-Aufenthaltes im BBC-Fernsehen sagen, dass der eine neue Herausforderung suchte.

Der HSV war als einziger Klub in Europa bereit, diese zu finanzieren, also ging es kurzentschlossen nach Hamburg. "Dr. Krohn", sagt Wehmeyer, "war nicht für Minimalismus bekannt." Keegan ebenso wenig. Deshalb wollte er dann nach Tabellenplatz 10 auch nur noch weg. Der englischen Zeitschrift "Men only" hatte er damals nach seinem Premienjahr mal verraten: "Unsere Fans waren fast immer volltrunken. Aber ich glaube, es war darauf zurückzuführen, dass wir eine fürchterliche Saison hatten. Was wir boten, war manchmal so schlecht, dass es besser war, sich volllaufen zu lassen."

In Folgejahren freilich gab es Grund zu feiern. Für den HSV. Und für Keegan. Der Brite steuerte 17 Tore zum Meistertitel 1979 bei, wurde 1978 und 1979 zu Europas Fußballer des Jahres gekürt. Und hinterließ dabei noch viel mehr als Titel. "Er war der erste Popstar der Liga", sagt Hrubesch. Und das sogar im Wortsinn. Mit Chris Norman von der britischen Band "Smokie" hatte er in Hamburg die Single "Head over heels in love" aufgenommen."

Unsere Fans waren fast immer volltrunken. Was wir boten, war manchmal so schlecht, dass es besser war, sich volllaufen zu lassen.

Kevin Keegan

Hals über Kopf verliebt war er in die Hansestadt aber nicht, die Liebe ist gewachsen. Dann aber war sie beidseitig intensiv. Und Wehmeyer ist sicher, dass Keegan den Fußball und die Show drum herum gerade deshalb als Erster so sehr geprägt hat, weil er das Geschäft eben nicht als ein solches verstanden hat. "Kevin war einfach so. Er hat das gar nicht als Business betrachtet. Er hat einfach das gemacht, wozu er Lust hatte." Und das war eine Menge. In allen Belangen Vor allem auf dem Trainingsplatz. "Er kam als Weltstar zum HSV", sagt Wehmeyer, "aber er hat nie einen Autogrammwunsch ausgeschlagen, hat trainiert wie einer, der sich noch empfehlen muss. Das Wort Belastungssteuerung gab es bei ihm einfach nicht. Kevin hat immer auf 100 Prozent zugesteuert."

Und er hatte auch danach noch nicht genug. Hrubesch erinnert sich an Spielchen, die Keegan erfunden hat. "Wenn das Training vorbei war, sagte er: 'Komm, wir schießen auf dem Weg bis zur Kabine jetzt noch Bälle durch alle Löcher im Zaun und in alle Mülltonnen, die wir sehen'. Kevin war nie der Typ, der nach der Einheit schnell nach Hause wollte. Er war ein Vorbild, hat sich für die Mannschaft aufgeopfert. Und er konnte einfach nicht genug vom Fußball kriegen."

Keegans Spielchen - Zebec kippt um wie eine Bahnschranke

Eine dieser Spielereien, verrät Wehmeyer, wäre Keegan beinahe mal zum Verhängnis geworden. Weil er den gestrengen Zebec auf dem Weg in die Kabine voll erwischt hat. "Kevin wollte wieder auf irgendetwas zielen und hat Zebec einfach umgeschossen, der ist umgekippt wie eine Bahnschranke. Wir haben alle die Luft angehalten, hatten Angst vor der Reaktion. Aber Zebec ist einfach aufgestanden, hat ihn streng angeschaut, nichts gesagt und ist reingegangen. Jeden anderen von uns hätte er wahrscheinlich umgebracht."

Keegan hat nicht nur diese besondere Form von "Fußball-Golf" in Hamburg eingeführt, er hat auch den ersten Abschlag eines HSV-Profis vollzogen. "Golf", sagt Wehmeyer, "war damals in Deutschland noch nicht verbreitet, und wir waren im Trainingslager im nahegelegenen Quickborn, als er wieder ein Spiel vorschlug: Hinter der Hotel-Terrasse lag ein See, dahinter ein Wald. Er sagte: 'Wetten wir, dass ich einen Ball über den See bis in den Wald schlagen kann?' Wir konnten es uns nicht vorstellen. Kevin haute aus dem Trainingslager ab, fuhr nach Hause, holte einen Golfschläger und schlug den Ball in den Wald."

Für Hermann komme ich sofort.

Kevin Keegan

Wehmeyer sagt, es seien Episoden wie die mit Zebec oder dem Golfschläger, die Keegan vortrefflich charakterisieren. Und während er in seinen Erinnerungen kramt, findet er noch weitere. Sie kennzeichnen nicht nur das Bild eines lebensbejahenden, humorvollen Fußballers, sondern auch das eines Menschen mit Tiefgang Als es Hamburgs 2014 verstorbenem Kult-Masseur Hermann Rieger gesundheitlich schlechter ging, hat Wehmeyer den einstigen Weggefährten in England angerufen und ihm von Riegers Krankheit und dessen großem Wunsch, Keegan noch mal zu sehen, erzählt. "Kevin stellte keine Fragen, er sagte nur: 'Für Hermann komme ich sofort.'"

Kevin Keegan mit Hamburgs Betreuer-Legende Hermann Rieger.

Kevin Keegan mit Hamburgs Betreuer-Legende Hermann Rieger. imago Images

Hamburg erlebte Keegan als einen Mann der Tat. Auch in leidvoller Hinsicht. Denn so entschlossen, er spielte, traf und handelte - so verließ er auch die Hansestadt 1980 nach nur drei Jahren, obwohl die Liebe der Fans noch nicht ansatzweise abgekühlt war. Keegan aber soll teamintern verraten haben, dass wenn er noch zwei weitere Jahre das harte Training unter Zebec absolvieren würde, er seine Karriere vorzeitig beenden könne.

Und ein möglicher Schongang war in seiner Welt nicht vorgesehen. Keegan hatte mithilfe seiner deutsch sprechenden Frau Jean schnell die Sprache gelernt, verzückte Fans und Mitspieler gleichermaßen und sagte selbst: "Ich liebte Deutschland wirklich." Dennoch ging er so, wie er gekommen war - Hals über Kopf.

Sebastian Wolff

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