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Was für ein Spektakel!

Denkwürdige Tour de France mit einem denkwürdigen Sieger

Was für ein Spektakel!

Triumphator: Tadej Pogacar.

Triumphator: Tadej Pogacar. Getty Images

Das beginnt schon mit dem Umstand, dass die Organisatoren mitsamt den teilnehmenden Teams die Herausforderung Corona-Pandemie allen Unkenrufen zum Trotz gemeistert haben. Darüber hinaus bot sie Radsport vom Allerfeinsten - in all seinen Facetten. Mag ihr Profil auch ein Stück weit zu berglastig gewesen sein, ein weiteres, eher flaches Zeitfahren hätte ihr gewiss nicht geschadet, so gab es doch packende Massensprints wie auch faszinierende Etappen, die im Ein-Tages-Klassiker-Modus gefahren wurden, also mit Volldampf über welliges Terrain vom ersten Kilometer an.

Roglic ergeht es wie einst Fignon

Und dann erst das denkwürdige Finale, das an jenes von 1989 erinnert, als Greg Lemond am letzten Tag beim brettebenen Zeitfahren in Paris Laurent Fignon noch das gelbe Trikot um acht Sekunden entriss.

Dieses Mal ist der Slowene Primoz Roglic an der vorletzten Etappe mit einem Vorsprung von 57 Sekunden gegenüber seinem zweitplatzierten Landsmann Tadej Pogacar ins Showdown-Zeitfahren gegangen - um am Ende der sechs Kilometer steilen, unrhythmischen Schlusssteigung des insgesamt 36 Kilometer langen Contre-le-monte einen Rückstand von 59 Sekunden aufzuweisen.

Primoz Roglic

Der Leidtragende: Primoz Roglic. Getty Images

Ob dem sonst so starken Zeitfahrer Roglic die Nerven einen Streich spielten? Hatte er im Hinterkopf, dass er am vorletzten Tag all das verlieren kann, was er und sein bärenstarkes Team zuvor auf über 3000 Kilometern aufgebaut hatten - und dies vor dem Hintergrund der Niederlage, die ihm Pogacar rund vier Wochen zuvor bei den slowenischen Zeitfahr-Meisterschaften beschert hatte? Oder erwischte er einfach nur einen rabenschwarzen Tag?

Pogacar kann's in den Bergen

Fakt ist, dass der 30-jährige Ex-Skispringer vom ersten Kilometer des Zeitfahrens an ein ungewohnt unrundes Bild auf seiner Maschine abgab, während sein Landmann kraftvoll wie aus einem Guss in die Pedale hämmerte und bereits im Flachen gut 30 Sekunden aufgeholt hatte - um beim Anstieg dann zu beweisen, dass er in den Bergen der stärkste Fahrer des Pelotons war.

Unterm Strich brannte er ein denkwürdiges Feuerwerk in den Asphalt, mit dem die Fachwelt in dieser Form nicht gerechnet hatte. Die Geburtsstunde eines neuen Superstars? Der Erfolg des 21-jährigen Tour-Debütanten, der einen Tag nach dem Finale in Paris 22 Jahre jung wird, schreit Ja, zumal dieser von einer Orgie an Superlativen begleitet wird.

Slowenisches Superlativ

Er ist der jüngste Tour-Sieger seit 116 Jahren - und der erste Fahrer überhaupt, der mit dem gelben, dem gepunkteten für den besten Bergfahrer und dem weißen für den besten Jungprofi in der Endabrechnung gleich drei Wertungstrikots abräumte. Und all dies ohne nennenswerte Unterstützung seines aus der traditionsreichen italienischen Equipe Lampre hervorgegangenen Teams UAE Emirates.

Mit Fabio Aru und Davide Formolo, beide formschwach, verabschiedeten sich die zwei fürs Gebirge vorgesehenen Helfer vorzeitig - und nicht zu vergessen der Rückstand von 1 Minute und 21 Sekunden, den er sich auf der Windkante der eigentlich harmlosen 7. Etappe einhandelte. Mit einer nur annähernd so starken Mannschaft, wie sie Roglic an seiner Seite hatte, wäre ihm dies nicht passiert.

Respekt statt Generalverdacht

Dass so ein historischer Triumph Skepsis nährt, ist angesichts der Doping-Vergangenheit des Radsports verständlich - und eine gewisse kritische Distanz ist übrigens bei jeder außergewöhnlichen sportlichen Leistung angebracht. Nicht aber, wenn Pogacars Überraschungscoup sofort mit dem Doping-Stempel versehen wird. Die das machen, sollten eines bedenken: Der junge Slowene ist nicht völlig überraschend vom Himmel gefallen.

Bilder zur Tour: Hoher Besuch, Schotter, Sieg und Niederlage

Mit neun Jahren hat er mit dem Radsport begonnen, als körperlich weit unterlegener 16-Jähriger gewann er die U-17-Meisterschaften seines Landes auf beeindruckende Weise, im Juniorenbereich konnte er mit so außergewöhnlichen Werten aufwarten, dass er den Ruf, ein Juwel zu sein, weghatte, und sich mehrere Teams um ihn rangelten. In der vergangenen Saison, seiner ersten auf der Worldtour, gewann er gleich die Kalifornien-Rundfahrt und beendete nach einer bärenstarken dritten Woche die Spanien-Rundfahrt als Dritter. So gesehen: Pogacar gebührt zuallererst Respekt und er sollte nicht unbewiesen unter Generalverdacht gestellt werden.

Auch den deutschen Mannschaften gebührt Respekt

Apropos Respekt. Der gebührt auch den beiden deutschen Mannschaften. Bora hansgrohe wie auch Sunweb trugen mit ihrer offensiv-angriffslustigen Fahrweise sehr viel dazu bei, dass die Tour ein Radsport-Spektakel gewesen ist. Auch wenn die ambitionierten Ziele der Equipe aus dem oberbayerischen Raubling, mit Emanuel Buchmann um Gelb zu kämpfen und mit Peter Sagan das grüne Trikot zu holen, nicht aufgingen, so wird sich die Enttäuschung darüber einigermaßen in Grenzen halten. Gebeutelt von der Sturzserie kurz vor Beginn der Tour war nicht mehr zu erwarten - und in Form des Etappensiegs von Lennard Kämna gab es ja zumindest ein konkretes Trostpflaster.

Sunweb drückte der Tour seinen Stempel auf

Etwas anders sieht freilich die Gemütslage beim Team Sunweb aus, das sich als große Überraschung entpuppt hat. Ohne mit einem Fahrer fürs Gesamtklassement an den Start gegangen zu sein, hat das Team mit deutscher Lizenz und niederländischen Wurzeln überraschend drei Etappen gewonnen - und der Tour auch sonst mit ihrer beeindruckenden forschen Gangart seinen Stempel aufgedrückt. Es kommt nicht von ungefähr, dass Etappensieger Marc Hirschi als der kämpferischste Fahrer der Tour ausgezeichnet wurde.

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