Formel 1

Wie Ecclestone über Vettels Lage denkt

Auch mit knapp 90 nimmt er kein Blatt vor den Mund

Wie Ecclestone über Vettels Lage denkt

Bernie Ecclestone und Sebastian Vettel kennen sich gut.

Bernie Ecclestone und Sebastian Vettel kennen sich gut. imago images

Gleich zu Beginn des Interviews gibt es den typischen, den bissigen und sarkastischen Bernie. Die Frage nach dem Befinden kann wohl nur er so beantworten: "Nun, ich bin immer noch hier. Den Zeitungen zufolge werden die meisten von uns ja an dem Coronavirus sterben, aber mir scheint es gut zu gehen."

Ecclestone würde die Zeit gerne zurückdrehen

Wer wie Ecclestone sein Leben nahezu vollständig an Rennstrecken verbracht hat, blickt natürlich ganz genau auf das Wirken seiner Nachfolger, zumal ihm Anfang 2017 ein freiwilliger Abschied von seinem Lebenswerk nicht vergönnt war. Da sich Ecclestone um weltpolitische Erwägungen nicht schert, würde er das Rad gerne weit zurückdrehen: "Wir müssen sicherstellen, dass die Formel 1 ein Unterhaltungspaket bleibt. Ich würde wieder auf Saugmotoren zurückgreifen, die ein bisschen Lärm machen, und auf Autos, die aufregend aussehen. Ich verstehe nicht, wie die Motoren, die wir derzeit haben und die das Beste sind, was je an Technik geleistet wurde, für die Öffentlichkeit von Interesse sein sollen. Was erregt die Menschen mehr: Wie viel Kraftstoff ein Motor verbraucht? Oder wie viel Leistung er produziert?"

Ecclestone verlangt wieder mehr Action

Klar, dass es dem einstigen Formel-1-Lenker auf der Rennstrecke längst viel zu geregelt und brav zugeht. Ecclestone verlangt wieder mehr Action: "Wir müssen aufhören, den Fahrern zu sagen, was sie nicht tun dürfen. Ich möchte, dass sie über die Grenzen gehen - nicht bis zum Unfall, aber bis zum richtigen Rad-an-Rad-Rennen. Und wenn es mal schiefgeht? Erinnern Sie sich noch, als Nelson Piquet 1982 aus dem Auto stieg und Eliseo Salazar nach dem Zusammenprall der beiden verprügelte? Die Leute liebten das. Es ist menschlich."

Eine Formel 1 ohne Ferrari "wäre überhaupt nicht gut"

Als Alleinherrscher über die Formel 1 verfügte Ecclestone über Jahrzehnte hinweg Sonderzahlungen an Ferrari. Wurden alle anderen Teams streng nach ihrem WM-Abschneiden entschädigt, konnte sich die Scuderia auch in Zeiten des Misserfolgs über die dicksten Schecks freuen. Die derzeitigen Drohungen seitens Ferrari, die Formel 1 unter Umständen zu verlassen, sind Ecclestone keineswegs egal: "Wenn Ferrari hätte aussteigen wollen, dann hätten sie es tun sollen. Sie haben es nie getan, und ich habe nur schöne Erinnerungen an Enzo Ferrari. Er hat mir immer gesagt, was wirklich los war, auch wenn er allen anderen das Gegenteil erzählte." Eine Formel 1 ohne Ferrari "wäre überhaupt nicht gut. Die Marke Ferrari ist so stark, dass sie aus der Formel 1 aussteigen und trotzdem riesig sein könnten. Selbst wenn sie nicht in der Formel 1 gewinnen, könnte man einen Mann auf der Straße fragen, wer den Weltmeistertitel gewonnen hat, und er würde einfach Ferrari sagen".

Vom Stichwort Ferrari ist es nicht mehr weit zu den heutigen Fahrern und Sebastian Vettels aktueller Situation. Die Frage nach dem derzeit besten Fahrer lässt ihn ungewohnt weit ausholen: "Man würde automatisch Lewis Hamilton sagen. Aber gibt es noch andere Typen, die im selben Team einen Job so gut oder sogar besser machen würden als er? Wahrscheinlich ja." Zu ihnen zählt laut Ecclestone "Max Verstappen, hundertprozentig. Und sicherlich Sebastian Vettel, auch wenn er ein bisschen vom Weg abgekommen ist".

Vettels Problem trägt einen Namen: Charles Leclerc

Mit Vettel verband ihn über Jahre eine gute Beziehung, die Backgammon-Schlachten der beiden sollen megaspannend gewesen sein. Wo liegt Vettels Problem? Für Ecclestone trägt es einen Namen - Charles Leclerc: "Es ist das, was wir schon öfter gesehen haben: Plötzlich kommt da ein Junge aus dem Nichts, von dem niemand etwas gehört hat. Und weil er so stark auftritt, haben sich bei Ferrari alle in ihn verliebt."

Mit Tipps an Vettel hingegen will er sich trotz der Freundschaft lieber zurückhalten: "Ich stehe Sebastian nahe, aber wir reden nicht über solche Dinge. Doch ich vermute, er hat ein wenig das Gefühl, dass man ihn links liegen lässt." Die Frage, was ein Manager Ecclestone für seinen Schützling Vettel tun würde, reizt ihn dann aber doch: "Nun, er ist in keiner einfachen Position. Sein Vertrag läuft Ende dieses Jahres aus. Wenn er dieses Jahr seine Fähigkeiten unter Beweis stellen könnte, sollte er bei Ferrari bleiben. Wenn nicht? Er war bei Red Bull sehr glücklich, weil sie ihn liebten."

Hamilton? "Er ist anders, das ist großartig"

Dass "die meisten Fahrer gerne für Ferrari fahren würden", ist für Ecclestone gar keine Frage. Seinem englischen Landsmann Lewis Hamilton würde er von einem Wechsel dennoch abraten: "Ich glaube nicht, dass er dort sehr gut zurechtkommen würde. Er ist es gewohnt, mehr oder weniger das Sagen zu haben. Wenn er gehen würde und sie weiter in Leclerc verliebt wären, würden sie ihn begraben." Hamilton ist für den Zampano von einst ein Fahrer, von dessen Sorte es mehr geben sollte. Schlusswort Ecclestone: "Er ist anders, das ist großartig. Er ist ein erstklassiger Typ. Er ist mitunter sogar größer als die Formel 1. Es ist nichts falsch daran, Modekollektionen zu lancieren oder Rapper als Freunde zu haben. Ich glaube nicht, dass man ihm ein Lehrbuch geben und ihm sagen könnte, was er tun soll. Er ist in einer Position, in der er das Wort ergreifen und ein paar Leute aufwecken kann, und ich bin froh, dass er das nutzt." Nicht anders hielt es der junge Ecclestone - und der alte schert sich erst recht nicht mehr um die Wirkung seiner Worte.

Stefan Bomhard

F1-Weltmeister: Hamilton zieht mit Legende Schumacher gleich