WM

Er kam mit einer Plastiktüte: Wie Harry Maguire Englands neuen Stil bei der WM verkörpert

Wie Harry Maguire Englands neuen Stil verkörpert

Er kam mit einer Plastiktüte

2016 als Fan im Stadion, 2017 Premier-League-Absteiger, 2018 WM-Held: Harry Maguire.

2016 als Fan im Stadion, 2017 Premier-League-Absteiger, 2018 WM-Held: Harry Maguire. picture alliance

Danny Rose wird sich jetzt nicht mehr ganz genau erinnern, ob er die Augen gerade offen oder geschlossen hatte, als Chris Waddle den Ball im WM-Halbfinale 1990 gegen Deutschland über das Tor drosch, ob er schrie oder vielleicht erst mal aufstoßen musste. Er war ja erst zwei Tage alt.

Nur sieben Spieler des aktuellen Kaders waren schon auf der Welt, als England letztmals ein WM-Halbfinale bestritt, wobei Rose und Jordan Henderson noch verschwommen sahen. Jetzt wollen sie in Russland "ihre eigene Geschichte schreiben", wie Harry Kane, der jüngste Kapitän aller Teilnehmerländer, nicht aufhört kundzutun.

Die ersten Kapitel sind längst fertig und machen Lust auf mehr: Hier spielt eine Mannschaft, die ihren Stil gefunden hat ; einen, der so angenehm wenig mit dem vieler englischer WM-Teams der Geschichte zu tun hat und den just einer besonders verkörpert, den man sich in jedem dieser Teams eigentlich bestens vorstellen könnte, ob in Farbe oder Schwarz-Weiß: Harry Maguire, 1,94 Meter groß, 100 Kilogramm schwer und "slab-head" genannt, Quadratschädel.

Maguire ist alles in einem, was dieses Team ausmacht

England 2018 steht für ein klug und ohne Rücksicht auf Promi-Namen zusammengestelltes Team, für taktischen Mut, Teamgeist, Bodenständigkeit - und Maguire für all das zusammen. Nicht Gary Cahill oder Phil Jones, sondern der 25-Jährige mit den jetzt gerade mal zehn Länderspielen von Leicester City spielt links in der Dreierkette, die während der souveränen WM-Qualifikation noch eine Viererkette war.

Dort profitiert er von seiner Vergangenheit als Sechser, baut das Spiel passsicher auf, geht gar gern ins Dribbling, 2017/18 häufiger als jeder andere Premier-League-Innenverteidiger. "Er kriegt seine Birne an alles", schwärmt Southgate, hinten wie vorne. Im WM-Viertelfinale gegen Schweden (2:0) gelang ihm sein erstes Länderspieltor, nach einer einstudierten Standardsituation natürlich, auch das stilbildend für Southgates Three Lions.

Als Maguire vor einem Jahr erstmals nominiert worden war, trug er statt Designer-Gepäck eine schwarze Plastiktüte mit sich herum, darin Fußballschuhe, Schienbeinschoner und Schmutzwäsche. Den Sommer 2016 hatte er noch mit seinen Brüdern und zwei Kumpels in Frankreich verbracht, als Fan im Stadion. Könnte es sein, dass der, dessen Kopf am weitesten vom Boden entfernt ist und der so gerne durch die Lüfte fliegt, der bodenständigste dieser bodenständigen Mannschaft ist, dieses "real team", wie Southgate sagt?

Doch weiß man überhaupt schon, was dieses England wirklich kann?

Nach dem Schweden-Spiel wurde Maguire zum WM- und Twitter-Helden gemacht, Southgates 15-jähriger Sohn trägt sogar seinen Namen auf dem Trikot. Er gehört jetzt fest zu dieser Erzählung über ein smartes Kollektiv, das die ewig hohen Erwartungen sogar schon übererfüllt, einen Strich unter alle Peinlichkeiten der letzten zehn Jahre gemacht hat. Doch weiß man überhaupt schon, was dieses England kann? Also wirklich kann?

"Belgien spielte mit der Reserve, Kolumbien fehlte James, Schwedens Angriff wird von einem torlosen Stürmer angeführt", mahnt der "Guardian" vor dem WM-Halbfinale. Kroatien wird am Mittwoch (20 Uhr, LIVE! bei kicker.de) eine Herausforderung, wie sie diese junge Elf in Russland noch überhaupt nicht kennengelernt hat; die gerade Maguire und seine Defensivkollegen fordern dürfte wie keine zuvor; die Southgate mit ihren doppelt besetzten Außenbahnen und nur einem Stoßstürmer womöglich sogar dazu zwingt, erstmals wieder zur Viererkette zurückzukehren.

Es ist klar: Vor und während des Spiels, beim Trainer und den Spielern, wird da die "Birne" gefragt sein.

jpe