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Nach diesem Fiasko muss alles auf den Prüfstand - auch Löw

Historisches Aus bei der WM in Russland

Nach diesem Fiasko muss alles auf den Prüfstand - auch Löw

Fassungslosigkeit: Toni Kroos nach dem Abpfiff.

Fassungslosigkeit: Toni Kroos nach dem Abpfiff. Getty Images

Der Kunstsschuss von Toni Kroos in der Nachspielzeit gegen Schweden (2:1 ) erwies sich nur als ein singulares Zucken des Weltmeisters, der ansonsten auf der ganzen Linie ein kollektiv enttäuschendes, mitunter wie gegen Mexiko und auch gegen Südkorea gar ein jämmerliches Bild abgab. Die großen Ankündigungen, alles dafür zu tun, damit erstmals nach 1962 (Brasilien) und zum ersten Mal in der DFB-Geschichte eine WM-Titelverteidigung gelingt, waren am Ende nicht mehr als blutleere Versprechen. Wie schon 2002 die Franzosen, 2010 die Italiener und 2014 die Spanier überstehen auch die Deutschen die Gruppenphase nicht.

Nicht für möglich gehaltenes Szenario - und doch nicht überraschend

Dieses Fiasko - gekrönt mit dem 0:2 gegen Südkorea - hatte zwar vor Turnierbeginn niemand ernsthaft für möglich gehalten. Allerdings zeichnete sich schon seit längerer Zeit ab, dass Joachim Löw und sein Personal ihr hochgestecktes Titelverteidigungs-Ziel wohl kaum realisieren können. Denn weltmeisterlich trat die DFB-Auswahl schon lange nicht mehr auf, genauer gesagt seit der mit zehn Siegen in zehn Spielen makellos bewältigten Qualifikationstour gegen Nordirland, Norwegen, Tschechien, Aserbaidschan und San Marino im vergangenen Oktober nicht mehr. Löw irrte gewaltig, als er die sieglosen Freundschaftspartien gegen England (0:0), Frankreich (2:2), Spanien (1:1), Brasilien (0:1) und Österreich (1:2) als unbedeutende Testspiel-Unfälle abtat, selbst nach der Fast-Blamage gegen Saudi-Arabien (2:1) noch die Meinung vertrat, seine Weltmeister-Riege werde im Ernstfall schon wieder zur richtigen Körpersprache und Einstellung zurückfinden. Das Gegenteil war der Fall. Den Schlendrian, der sich in den vergangenen sieben Monaten eingenistet hatte, bekam der Bundestrainer seinem Kader in der dreiwöchigen Vorbereitung nicht ausgetrieben.

Weltmeisterschaft - Vorrunde, 3. Spieltag
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Weltmeisterschaft - Tabelle - Gruppe F
Pl. Verein Punkte
1
Schweden Schweden
6
2
Mexiko Mexiko
6
3
Südkorea Südkorea
3
Trainersteckbrief Löw
Löw

Löw Joachim

Ideenlos, kraftlos und hilflos

Der ideenlose, kraftlose und zunehmend hilflose Zeitlupenfußball-Auftritt gegen Südkorea markiert das peinliche Ende einer zuvor acht Jahre glanzvollen Ära. Die Generation um Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil, die 2009 die U21-Europameisterschaft gewann und - bereichert um Thomas Müller und Toni Kroos - sich 2014 zum verdienten Weltmeister kürte, hat als Achse der Nationalmannschaft ausgedient. Mit Blick auf die EM 2020 und die WM 2022 ist ein radikaler Umbruch vonnöten.

Weiter mit Löw? Kaum vorstellbar

Ob Löw diesen vollziehen darf, ist trotz aller Weltmeister-Verdienste und der erst vor fünf Wochen verkündeten Vertragsverlängerung bis 2022 kaum vorstellbar. Alles gehört auf den Prüfstand - auch Löw. Daran ändert auch die von DFB-Präsident Reinhard Grindel unmittelbar vor dem Südkorea-Spiel in der Frankfurter Allgemeinen-Zeitung ausgestellte Jobgarantie nichts.

Denn dieses Vorrunden-Aus, schon beim Auftakt gegen Mexiko eingeleitet , ist nicht das Resultat unglücklicher Umstände oder mangelnder sportlicher Qualität, sondern das Ergebnis einer Vielzahl von Fehlern und Fehleinschätzungen. Löw hat sein ganzes Augenmerk fatalerweise darauf konzentriert, die aus unterschiedlichen Gründen seit Wochen (Hummels, Müller) oder gar Monaten (Neuer, Özil, Boateng) um ihre Form ringenden Routiniers wieder in die Spur zu bekommen. Er hat fälschlicherweise geglaubt, es werde sich in den Vorbereitungswochen alles irgendwie einrenken. Er hat - wie auch Oliver Bierhoff - die Tragweite der von Ilkay Gündogan und Mesut Özil ausgelösten Erdogan-Affäre völlig falsch eingeschätzt, das Thema dadurch erst öffentlich richtig groß werden lassen und es auch nicht aus der Mannschaft gebracht.

kicker-Chefreporter Oliver Hartmann

kicker-Chefreporter Oliver Hartmann kicker

Er hat mit seinem ganzen aufgeblähten Scouting- und Trainerstab das Auftaktspiel gegen Mexiko vercoacht, indem er sich von der Kontertaktik des Gegners und dessen Manndeckung gegen Toni Kroos überraschen ließ und eine komplette Hälfte überhaupt nicht auf die veränderten Verhältnisse reagierte. Er hat auch gegen die biederen Südkoreaner keinen funktionierenden Matchplan und keine Lösungen präsentieren können. In allen drei Begegnungen war kein Zusammenspiel erkennbar, kein Ergebnis der langen gemeinsamen Vorbereitung.

Achtelfinale - es wäre unverdient gewesen

Das alles sind für einen sportlichen Leiter arg viele Mängelleistungen, selbst wenn man seine unbestritten großen Verdienste in den vorangegangenen zwölf Jahren berücksichtigt. Zudem machte Löw in den vergangenen Wochen mitunter einen entrückten Eindruck, zum Beispiel bei seinen morgendlichen Posen für die lauernden Fotografen in Sotschi. Seine demonstrativ zur Schau gestellte Überzeugung während des Trainingslagers in Südtirol wirkt im Rückblick wie das berühmte Pfeifen im Wald. Deutschland hatte bei dieser WM nicht einmal den Einzug ins Achtelfinale verdient.

Bilder zur Partie Südkorea - Deutschland