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Jackson Follmann im kicker-Interview: "Der nächste Tag - für manche kommt er nicht"

Chapecoense: Überlebender Follmann im kicker-Interview

"Der nächste Tag - für manche kommt er nicht"

71 von 77 überlebten den Absturz vor einem Jahr nicht - er schon: Jackson Follmann.

71 von 77 überlebten den Absturz vor einem Jahr nicht - er schon: Jackson Follmann. imago

Jackson Follmann hört man, noch bevor die Fahrertür aufgeht, und man ihn sieht. Dabei ist er kein Marktschreier. Aber Spaßvogel, das ist der Ex-Torhüter schon. Und offiziell auch Botschafter von AF Chapecoense, nachdem er bei dem Flugzeugabsturz am 29. November 2016 den rechten Unterschenkel verloren hat. Zugleich als Überlebender aber ein neues Leben gewann. Das führt ihn täglich auf den Trainingsplatz, zumindest zu Beginn der Einheiten mit der Mannschaft, wenn der Ball im Kreis gespielt wird - und auch Follmann mitmacht. Oder nach dem Training: wenn er für die alten und neuen Kollegen ein gemeinsames "Nachsitzen" organisiert: beim Grillen.

Der 25-Jährige ist einer von nur sechs Überlebenden der Katastrophe vor einem Jahr, bei der 71 von 77 Insassen starben. Neben Follmann überlebten nur noch die Profis Alan Ruschel, der mittlerweile sein Comeback gab, und Helio Neto, der eine Rückkehr auf den Platz für 2018 anstrebt.

kicker: Ein Jahr ist vergangen seit der Tragödie um den LaMia-Flug nach Kolumbien. Wie gefällt Ihnen Ihre neue Rolle im Verein als Botschafter, Herr Follmann?

Jackson Follmann: Jeden Tag im Klub zugegen zu sein, macht mir Spaß und hilft mir selbst auch für mein Wohlergehen. Ich bin vor allem im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig.

kicker: Was machen Sie genau?

Follmann: Ich habe Besprechungen, bin an Vorbereitungen von Veranstaltungen beteiligt, spreche mit den Medien. Ich will und muss mich da auch noch weiterbilden. Manches braucht noch Zeit, ich war darauf ja auch nicht vorbereitet.

kicker: Wir haben Sie in Chapecó fast eine Woche lang mit der Mannschaft gesehen, Tag für Tag. Ein Botschafter mit Faible für das tägliche Training, kann man das so sagen?

Follmann: Ich bin zwar nicht mehr Torhüter, sondern Botschafter. Aber natürlich bin ich auch beim Training der Kollegen dabei oder bei Team-Besprechungen. Ich führe ein normales Leben, auch mein Privatleben ist wieder ganz normal.

"Dieses Verlustgefühl wird auf ewig da sein"

kicker: Sie absolvieren im Stadion Arena Conda mitunter Teile des Torwarttrainings.

Follmann: Die Handschuhe wieder überstreifen zu können und den Geruch des Rasens wieder zu schmecken, das war und ist schon ein tolles Gefühl. Wann immer es geht, werde ich dies tun. Das sind magische Momente.

kicker: Wie geht es Ihnen körperlich?

Follmann: Ich fühle mich, was meinen Körper und die Verletzungen angeht, mittlerweile sehr gut. Natürlich bin ich auch sehr traurig. Mehr als Traurigkeit überwiegt aber dieses Gefühl des Verlusts um die verlorenen Kollegen, die ja Freunde waren. Dieses Verlustgefühl wird auf ewig da sein.

"Vom Papst gesegnet zu werden...Das wird uns allen für den Rest unseres Lebens in Erinnerung bleiben": Jackson Follmann.

"Vom Papst gesegnet zu werden... das wird uns allen für den Rest unseres Lebens in Erinnerung bleiben": Jackson Follmann. imago

kicker: Sie selbst haben mittlerweile sogar geheiratet. Verging das Jahr 2017 eher schnell oder in vielen Phasen der Rehabilitation doch eher zäh?

Follmann: Es war ein Jahr voller Emotionen. Es verging sehr schnell mit all der Aufarbeitung, was das Körperliche, aber auch das Seelische anbelangt. Man muss ja nach vorne schauen. Aber es war schon auch sehr schwierig in manchen Momenten. Doch ich wollte mich so schnell wie möglich an mein neues Leben gewöhnen und mit meinen Verletzungen umgehen lernen. Doch dieses Gefühl des Verlustes der Freunde, das ist immer da. Ich bin allen dankbar, die mir Nachrichten geschickt haben, um mich aufzubauen. Auch diese positive Unterstützung hat mich durch dieses Jahr getragen.

kicker: Die von Ihnen angesprochenen Emotionen: Welche waren da besonders intensiv im positiven Sinne?

Follmann: Als ich meine Prothese anlegen konnte. Ich sehe da meine Eltern neben mir und meine Frau und sie weinen alle. Und ich musste natürlich auch weinen. Das war wirklich ein Moment voll an Emotionen.

kicker: Wie verlief Ihre Rehabilitation?

Follmann: Die Anpassung an die Prothese verlief sehr gut. Das hat vier oder fünf Tage gedauert, mehr nicht. Zum Glück muss ich keine Medikamente nehmen, ich benötige auch keine ständigen Arztbesuche. Ich habe eine Prothese, ansonsten aber mache ich viele Dinge wie andere auch. Wie gesagt: Ich führe ein normales Leben.

Ich lebe das Leben nun mit einem anderen Bewusstsein.

Jakson Follmann

kicker: Sicher aber hat sich Ihr Blick auf die Welt verändert?

Follmann: Ich lebe das Leben nun mit einem anderen Bewusstsein. Ich schätze die kleinen Dinge wirklich bewusster ein, mir ist jeder Tag als solcher wichtiger geworden. Denn mir ist bewusst geworden, dass es ein Morgen durchaus nicht geben kann. Der nächste Tag - für manche kommt er nicht.

kicker: Sie haben überlebt, Dutzende andere nicht. Wie fühlt sich das an, gerade auch, wenn Sie in Ihrer Rolle als Botschafter des Klubs Hinterbliebene treffen?

Follmann: Ich habe vor diesen Familienangehörigen großen Respekt, versuche, sie zu unterstützen mit Worten und Gesten. Ich versuche aber zugleich, normal mit ihnen zu reden, ich bin ja ein ganz normaler junger Kerl, daher umarme ich sie, zeige ihnen meine Gefühle für sie. Man muss wissen, wie weit man da gehen kann, es geht ja um den Verlust von Menschen.

kicker: Haben Sie auch bereits Überlebende anderer Unglücke getroffen?

Follmann: Nein, aber wenn sich das ergeben sollte, wäre es sicher eine interessante Sache, da Erfahrungen auszutauschen.

kicker: Verspüren Sie heute eigentlich Flugangst, wenn Sie mit der Mannschaft zu Auswärtsspielen fliegen?

Follmann: Wenn, dann eine ganz normale. Ich bete vorher, und dieses Gebet hat sich schon in etwas Stärkendes für mich verwandelt.

Jackson Follmann mit kicker-Reporter Jörg Wolfrum

Treffen vor Ort: Jackson Follmann mit kicker-Reporter Jörg Wolfrum. kicker

kicker: Es gibt Hinterbliebene, die streiten mit dem Klub juristisch, auch wollen sie wissen, warum diese Billig-Fluglinie überhaupt genutzt wurde. Wie sehen Sie das?

Follmann: Das sind Dinge, die müssen vom Verein und den Juristen geregelt werden. Natürlich wollen die Leute wissen, was passiert ist. Das muss alles geklärt sein, denn die Leute sollen auch mit einer gewissen Ruhe weiterleben können. Wir haben alle viel gelitten.

kicker: Stimmt es, dass Sie planen, in Zukunft bei den Paralympics für Brasilien an den Start zu gehen?

Follmann: Ich will weiter Sport machen, schon allein der Gesundheit wegen, das ist richtig. Aber wirklich nichts Professionelles. Ich muss erst einmal gucken, was mir denn überhaupt liegt, was sich für mich mit der Prothese überhaupt auch machen lässt.

kicker: Wenn Sie den Klub AF Chapecoense ein Jahr nach dem Absturz sehen, was empfinden Sie dann?

Follmann: Zu sehen, dass der Klub nicht abgestiegen ist , das freut mich sehr. Das ist eine große Leistung. Und ich sehe einen Jakson Follmann, der in diesem Klub Sinnvolles leisten kann.

Messi zu treffen war eine große Freude. Er ist der beste Spieler der Welt, keine Frage.

Jakson Follmann

kicker: Hatten Sie selbst an diesen Erfolg, also den Nicht-Abstieg, geglaubt zu Jahresbeginn?

Follmann: Hier haben alle sensationell gearbeitet. Die Mehrheit der Leute hat bestimmt gedacht, das ist nicht drin. Aber Chapecoense ist immer mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben. Deshalb, und Gott sei Dank, können wir heute sportlich nach vorne schauen und auch wieder höhere Ziele anstreben.

kicker: Zwei Reisen des Klubs sorgten weltweit für Aufsehen: im Sommer das Spiel beim FC Barcelona und Wochen später der Besuch beim Papst in Rom.

Follmann: Messi zu treffen war eine große Freude. Er ist der beste Spieler der Welt, keine Frage. Zugleich ist er aber ein ruhiger, einfacher Typ, so wie wir hier alle auch. Es ging in unserem Gespräch darum, zu repräsentieren. Und um die Verantwortung, die das mit sich bringt. Er steht für Barcelona, wir vertreten Chapecoense. Es war ein gutes, gesundes Gespräch.

kicker: Und das mit dem Papst? Auch er ist, wie Messi, ein Argentinier und ja auch Fußballfan.

Follmann: Vom Papst gesegnet zu werden... das wird uns allen für den Rest unseres Lebens in Erinnerung bleiben.

Die anderen überlebenden Profis: So sieht es bei Alan Ruschel und Helio Neto aus.

Was die Hinterbliebenen der Opfer der Katastrophe und der Trainer sagen, lesen Sie am morgigen Donnerstag im kicker - Teil eins der großen Reportage ("Die Auferstehung") finden Sie in der Montagsausgabe vom 27. November.

Interview: Jörg Wolfrum