U 21

U-21-EM-Siegertrainer Stefan Kuntz: "80 Zentimeter vom Schulterklopfer zum Arschtritt"

Kuntz über Partynacht, Dankbarkeit und Genugtuung

"80 Zentimeter vom Schulterklopfer zum Arschtritt"

Erschöpft, dankbar und glücklich: DFB-Trainer Stefan Kuntz.

Erschöpft, dankbar und glücklich: DFB-Trainer Stefan Kuntz. Getty Images

Aus Krakau berichten Michael Pfeifer und Carsten Schröter

"Die Nacht von Freitag auf Montag": Der aus einer kleinen Boombox dröhnende und von Julian Pollersbeck und Niklas Stark intonierte Party-Hit gab das Motto für die Zeit nach dem sensationellen EM-Triumph der ältesten DFB-Junioren vor. Für die gab es nach dem Abpfiff am Freitagabend kein Halten mehr. Auf Ekstase und Siegerehrung auf dem Platz folgte eine feuchtfröhliche und laustarke Kabinenparty mit Polonaise-Ausflügen durch die Interviewzone. "Die Nummer eins der Welt sind wir" und – leicht provokativ in spanischer Sprache – "Campeones" skandierten die deutsche U-21-Akteure und tigerten mit Bier spritzend durch die Katakomben.

Dort stellten sich einige Stars der "Rojita" wie begossene Pudel trotz der großen Enttäuschung geduldig den Fragen der spanischen Medien. Als vorbildlicher Sportsmann erkannte etwa Innenverteidiger Jesus Vallejo, in der abgelaufenen Saison Leihgabe von Real Madrid an Eintracht Frankfurt, den verdienten Sieg der DFB-Elf an . "Es macht eine gute Mannschaft aus, auf den Punkt da zu sein und hundertprozentig abzuliefern, wenn es darauf ankommt", erklärte ein überglücklicher Stark nach der Gesangseinlage mit schon heiserer Stimme. "Im Finale sagt man, kann man nochmal fünf bis zehn Prozent mehr abrufen. Aber vor allem durch die richtige Einstellung, die wir diesmal hatten, haben wir eine Mannschaft geschlagen, die viele für unschlagbar hielten. Wir haben nicht zehn Prozent mehr draufgepackt, sondern 15 bis 20 und waren daher der hochverdiente Sieger", so Stark weiter, der bei Olympia 2016 wegen Herthas Europa-League-Qualifikation gefehlt hatte und unbedingt seinen EM-Titel mit der U19 aus dem Jahr 2014 wiederholen wollte. "Dieses Gefühl kann man nicht kaufen", jubelte der Abwehrmann und zeigte auf seine losgelöst feiernden Mitspieler.

Wir haben nicht zehn Prozent mehr draufgepackt, sondern 15 bis 20 und waren daher der hochverdiente Sieger.

Niklas Stark

Die in allen Belangen herausragende Mannschaftsleistung war auch das zentrale Thema der Reden von DFB-Präsident Reinhard Grindel, Vizepräsident Ronny Zimmermann und Sportdirektor Horst Hrubesch auf dem offiziellen Siegerbankett, das rund um Mitternacht im Teamhotel begann. Nach dem Essen tauchten die Spieler dann bis in die Morgenstunden ins Krakauer Nachtleben ein. Anders als ihr Trainer. "Ich habe eine Zeit lang gebraucht das zu realisieren. Erst lag ich vielen Leuten in den Armen, wurde mit Bier vollgespritzt, dann kam die Zeremonie und die nächste Ladung Bier, dann der Empfang. Dort habe ich ganz viele Eltern, Freundinnen, Freunde und Geschwister der Jungs kennengelernt und mir dann irgendwann eine Stunde für mich auf dem Hotelzimmer genommen", erzählt Kuntz, "um Cooldown zu machen." Nach einer längeren Zeit hat er sich dann mit einer Flasche Rotwein und einer Zigarre an einen Stehtisch vor das Hotel gestellt – quasi als glückseliger Portier: "Eigentlich habe ich dann auch wieder alle meine Jungs gesehen, als sie zurückgekommen sind. Das war amüsant." Danach mussten 90 Minuten Schlaf erst einmal reichen.

"Ich spüre Dankbarkeit, weil die Idee ja nicht von allen Seiten mit Euphorie aufgenommen wurde, als ich U-21-Trainer geworden bin. Daher Danke an Hansi Flick, der das Team um mich herum zusammengestellt hat, in dem es restlos gepasst hat, speziell mit meinen beiden Co-Trainern und Klaus Thomforde. Dann fast übergangslos die Form von Rückendeckung von Horst Hrubesch, der mir seine große Erfahrung direkt zugutekommen ließ", gab Kuntz detaillierte Einblicke in seine Gefühlswelt. Dieser Titel sei neben dem Bundesliga-Aufstieg 2010 mit dem FCK als Vorstandsboss sein größter Erfolg nach der Spielerkarriere.

Niklas Stark (re.) feiert mit Levin Öztunali.

Niklas Stark (re.) feiert mit Levin Öztunali: "Dieses Gefühl kann man nicht kaufen." imago

"Ich denke, am meisten verstehen mich die Trainer. Denn, wenn das aufgeht, was du dir vornimmst und die Mannschaft das umsetzt, gibt es dir dieses tiefe, innere Zufriedenheitsgefühl. Von der menschlichen Seite war es das schönste, als mich ein Elternpaar gestern Abend in den Arm genommen und gesagt hat, wir wollen uns nochmal bedanken für das Vertrauen, das Sie unserem Sohn entgegengebracht haben. Da bleibt dir auch erstmal ein bisschen der Atem weg. Hinzu kommen die einzelnen Geschichten mit den Spielern. Ich glaube, dass es für jemanden in meiner Position nicht viel schöne Gefühle geben kann." Dennoch nehme er diesen Erfolg auch "demütig" auf, ergänzte Kuntz: "Ich gehe auch weiterhin im Aldi einkaufen."

Während das meist in der saarländischen Heimat stattfindet, bleibt der 54-Jährige wohl weiter beruflich in Frankfurt am Main verortet. Das konkrete Angebot von Präsident Grindel, seinen im August auslaufenden Vertrag bis 2020 ausdehnen zu wollen , werde er sich in nächster Zeit in Ruhe anhören. "Man sieht, dass mir der Job sehr viel Spaß macht", betonte er und konnte eine gewisse Genugtuung nicht verbergen. Etwa 400 Glückwunsch-Nachrichten – eine der ersten von Bundestrainer Joachim Löw - seien auf seinem Handy eingegangen. "Einigen habe ich geantwortet: Wo warst du in den letzten zwei Jahren?", verriet Kuntz: "Das hat mir am meisten Spaß gemacht. Denn wie heißt es in einem guten Spruch. Vom Schulterklopfen bis zum Arschtritt sind es nur 80 Zentimeter."

Aktuell überwiegt freilich der freundliche Zuspruch, ob ernst gemeint oder nicht. Das wird Kuntz mit dem EM-Pokal im Gepäck aber wohl eher egal sein. Um 14.45 Uhr hebt der Tross an diesem Samstag per Lufthansa-Flug nach Frankfurt ab. Vielleicht bleibt dabei kurz Zeit zum Schlaf nachholen.

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