Tennis

Witthöft: "Ich bin gerne für mich selbst verantwortlich"

Tennis-Hoffnung im kicker-Interview

Witthöft: "Ich bin gerne für mich selbst verantwortlich"

"Ich fühle mich auf der Tour unheimlich wohl, das ist genau das, was ich machen möchte": Carina Witthöft.

"Ich fühle mich auf der Tour unheimlich wohl, das ist genau das, was ich machen möchte": Carina Witthöft. imago

Sie gilt als Deutschlands größtes Tennis-Talent. Schlag auf Schlag klettert Carina Witthöft (20) in der Weltrangliste nach oben, erreichte am 11. Mai Platz 56. Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner sagt über die Hamburgerin, die von ihren Eltern Gaby und Kai Witthöft betreut wird: "Für Carina gibt es kein Limit nach oben." Bei den Australian Open im Januar, dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres, stand die 1,76 Meter große Blondine in der dritten Runde - der Höhepunkt ihrer noch jungen Karriere. Ab Sonntag schlägt Carina Witthöft bei den French Open in Paris auf, wo sie ihr Auftaktmatch gegen die Tschechin Katerina Siniakova (19) bestreitet.

kicker: Frau Witthöft, in den vergangenen Jahren ging es ständig bergauf. Wie sehen Sie die bisherige Saison 2015?

Witthöft: Ich bin zufrieden. Mit den Australian Open ging es ja richtig gut los. Dann der Turniersieg in Altenkirchen, dazu einige Erfolge auf WTA-Turnieren - und zuletzt habe ich ja mein bislang größtes Turnier in Cagnes-sur-Mer gewonnen. Jetzt freue ich mich auf die großen Aufgaben bei den Grand Slams und möchte weiter angreifen.

kicker: Worauf führen Sie Ihre überaus positive Entwicklung zurück?

Witthöft: Da spielen sicher unterschiedliche Faktoren mit. Vor allem habe ich in eine gute Kontinuität im Training gefunden. Die Konstellation mit meiner Mutter als Coach funktioniert aktuell sehr gut und ich mache täglich Fortschritte. Entscheidend ist aber, dass ich das im Training Erlernte auch auf dem Platz beherzige und umsetze. Dann mache ich seit Ende letzten Jahres viel mehr Fitnesstraining, was man natürlich auf dem Platz merkt. Und ich bin im Kopf entspannter, das heißt, ich spiele in engen Situationen freier auf.

Wir verstehen uns gut. Aber ich sehe das nicht als richtige Freundschaften.

Carina Witthöft über Andrea Petkovic, Angelique Kerber & Co.

kicker: Wer oder was bewirkt diese Lockerheit?

Witthöft: Auch meine Mutter (lacht). Sie beschäftigt sich viel mit Mentalcoaching. Tennis wird auch im Kopf entschieden.

kicker: Sie gelten als Deutschlands größtes Talent. Ist das eher eine Bürde oder Motivation?

Witthöft: Ich sehe es positiv. Du bekommst Anerkennung, man sieht Potenzial in dir - das motiviert natürlich.

kicker: Wo sehen Sie momentan Ihre Stärken?

Witthöft: Auf jeden Fall in meinem aggressiven, offensiven Spiel, das habe ich gerade in den vergangenen Wochen und Monaten extrem trainiert. Ich muss es nur noch konsequenter im Spiel umsetzen. Das ist schwierig, aber ich bin auf einem guten Weg. Außerdem gehören mein Aufschlag und der Return zu meinen Stärken.

kicker: Und wo schlummern Reserven?

Witthöft: Meine Fitness kann ich sicher immer ausbauen. Und mein zweiter Aufschlag soll noch aggressiver kommen.

kicker: Haben Sie einen Lieblingsbelag?

Witthöft: Sobald ich mich ein, zwei Turniere eingespielt habe, fühle ich mich auf allen Belägen sehr gut. Jetzt bei der Umstellung auf Sand hatte ich zuerst Probleme, weil es langsamer ist und ich schneller spiele. Aber zuletzt hatte ich auch dort gute Turniere.

Mit 18 Jahren hatte ich kurzzeitig gezweifelt und weniger Lust auf Tennis.

Carina Witthöft

kicker: Sie sind noch relativ neu auf der WTA-Tour. Haben Sie sich das Profi-Leben genau so vorgestellt?

Witthöft: Richtig kennengelernt habe ich das erst in diesem Jahr, ich fange ja gerade an, WTA-Turniere zu spielen. Doch ich fühle mich da unheimlich wohl, das ist genau das, was ich machen möchte.

kicker: Kommen Sie sich trotzdem manchmal verloren vor?

Witthöft: Ich habe den Vorteil, dass ich so gut wie immer ein Familienmitglied dabei habe. Meine Mutter, mein Vater oder mein Freund Phillip, der auch mein Fitnesstrainer ist. Das Reisen ist natürlich auch anstrengend, aber es gehört dazu. Wir haben jetzt gerade die USA-Serie im August geplant, vier, fünf Turniere am Stück - ich bin gespannt, wie das wird.

kicker: Sie nennen Maria Sharapova Ihr Vorbild. Warum?

Witthöft: Ich finde es extrem beeindruckend, wie sie sich auf dem Platz gibt, wie professionell sie jeden Punkt sofort abhakt und immer ihr Spiel durchzieht, immer ihren Weg geht.

kicker: Wie ist Ihr Verhältnis zu den deutschen Top-Spielerinnen wie Andrea Petkovic, Sabine Lisicki oder Angelique Kerber?

Witthöft: Mittlerweile kenne ich alle, und alle kennen mich. Wir verstehen uns gut, respektieren uns und unterhalten uns auch mal auf einer Players-Party. Aber ich sehe das nicht als richtige Freundschaften - die sind auch schwierig zu pflegen in diesem Sport.

kicker: Wie finden Sie Ihre Position in der "zweiten Reihe"?

Witthöft: Klar stehe ich im Schatten der anderen. Das ist für mich aber total in Ordnung und es nimmt vielleicht etwas Druck raus. Spielen wir dasselbe Turnier, und ich fliege früh raus, während die anderen weiterkommen, ist es noch nicht dramatisch. Wäre ich die Einzige, wären die Erwartungen an mich entsprechend höher.

Carina Witthöft bei der Players-Party des WTA-Turniers in Nürnberg

"Zu Hause treffe ich mich am liebsten mit Freunden. Dann ist Tennis kein großes Thema": Carina Witthöft. imago

kicker: Ihre Eltern haben zwei Tennisanlagen in Hamburg. Sie sind mit diesem Sport großgeworden. Doch was fasziniert Sie daran?

Witthöft: Auf jeden Fall, dass es eine Einzelsportart ist. Ich bin gerne für mich selbst verantwortlich. Spiele ich gut, ist das mein Ding, spiele ich schlecht, genauso. Das mag ich. Ansonsten bin ich da so reingewachsen. Früher habe ich auch mal sehr gerne geturnt, doch dafür bin ich zu groß. Dann zwei Jahre Leichtathletik... Aber dann habe ich mich für Tennis entschieden.

kicker: Tennis als Familienangelegenheit – ist das nicht ein schwieriges Konstrukt?

Witthöft: Ich denke, das ist eine Frage der Einstellung. Mit 18 Jahren hatte ich kurzzeitig gezweifelt und weniger Lust auf Tennis. Deshalb habe ich einen anderen Trainer ausprobiert. Doch dann habe ich gemerkt, dass ich so nicht zu meinem besten Tennis kam. Meine Mutter und ich haben es dann noch mal versucht und viel an uns gearbeitet - jetzt klappt es sehr gut.

kicker: Was hat sich verändert?

Witthöft: Ich wurde professioneller und habe gelernt zu unterscheiden: Okay, sie ist auf dem Platz meine Trainerin, und da muss ich akzeptieren, was sie sagt, auch wenn es manchmal nervig ist.

Meine Eltern sind sehr kritisch, wollen aber sicher nur das Beste für mich.

Carina Witthöft

kicker: Hätte es ein außenstehender Trainer schwer, in diesem Gebilde zu bestehen?

Witthöft: Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht ist. Meine Eltern sind halt sehr kritisch, wollen aber sicher nur das Beste für mich. Und wenn ein Trainer gut ist, können sie das auch anerkennen.

kicker: Keine Angst, blockiert zu werden?

Witthöft: Nein, absolut nicht. Es war und ist meine Entscheidung. Das Ausprobieren anderer Trainer ebenso wie die Rückkehr zu meiner Mutter.

kicker: In einer jungen Karriere herrscht gewöhnlich ein krasser Wechsel zwischen schönen Erfolgen und bitteren Niederlagen. Wie erhalten Sie sich Ihr Selbstwertgefühl?

Witthöft: Meistens hat es ja einen Grund, warum man verloren hat. Daran muss man arbeiten, um so schnell wie möglich wieder aus einem Tief herauszukommen. Zum Glück hatte ich noch nie so eine richtige Serie von Niederlagen. Aber sie gehören trotzdem dazu, man kann nicht jeden Tag sein bestes Tennis spielen. Entscheidend ist, dass man aus seinen Niederlagen lernt.

kicker: Viele Sportler sind abergläubisch, pflegen Rituale, die auch Sicherheit geben sollen. Kennen Sie so etwas auch?

Witthöft: Ich versuche, das von mir wegzuschieben. Denn bist du dann mal nicht im Rhythmus, denkst du gleich: Oh nein, jetzt muss ich ja verlieren... Je unabhängiger man davon ist, desto befreiter ist man. Nur mein Aufwärmprogramm ist immer gleich. Und auf dem Platz zähle ich manchmal Schritte.

kicker: Schritte zählen?

Witthöft: Nach einem langen Ballwechsel, oder wenn ich mal gerade vom Kopf her draußen bin, gehe ich 12, 13 Schritte, bis ich wieder an der Linie stehe. So gewinne ich etwas Zeit, atme durch und konzentriere mich erneut auf den Ballwechsel.

kicker: Wie entspannen Sie abseits vom Tennis?

Witthöft: Zu Hause treffe ich mich am liebsten mit Freunden. Dann ist Tennis kein großes Thema, da schalte ich super ab. Oder ich gehe mal shoppen oder auch ins Kino.

kicker: Was haben Sie zuletzt gesehen?

Witthöft: 96 Hours - Taken 3, einen Actionfilm. Ich sehe ganz gerne spannende Sachen.

kicker: Ab Sonntag gibt es wieder viel Action und Spannung in Paris, bei den French Open.

Witthöft: Ja, darauf freue ich mich total. Die Grand Slams sind die Highlights im Jahr. Diesmal muss ich auch nicht durch die Qualifikation. Ich starte direkt im Hauptfeld, eine neue Erfahrung und eine große Chance.

kicker: Was ist Ihr Ziel?

Witthöft: Die Australian Open haben gezeigt, dass man auch gegen die Top-Spielerinnen eine Chance hat. In der ersten Runde habe ich zum Beispiel gegen eine Top-20-Spielerin gewinnen können, und das hat mir sehr viel Selbstvertrauen gegeben. Es kommt natürlich trotzdem auch immer ein wenig auf die Auslosung an, aber ich möchte so lange im Turnier bleiben wie möglich - und auf jeden Fall gutes Tennis spielen.

Interview: Sabine Vögele