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Boll: Ein Popstar in China

Tischtennis: Medaille wäre Höhepunkt

Boll: Ein Popstar in China

Timo Boll

"Für eine Medaille muss man im Normalfall eh einen Chinesen schlagen": Timo Boll. imago

Nur wenig fürchten die chinesischen Olympia-Gastgeber bei den Sommerspielen in Peking im sportlichen Bereich mehr als eine erneute Pleite in ihrer Domäne Tischtennis. Die Dimension einer nationalen Schande wäre für die in allen vier Wettbewerben auf Gold programmierten Asiaten auch schon erreicht, wenn nur der Triumph in der Königsdisziplin Männer-Einzel wie schon 2004 in Athen erneut nicht gelänge. Damals triumphierte Seung Min Ryu aus Korea.

Dabei zittern die Weltmeister aus dem Reich der Mitte besonders vor einem: Deutschlands Top-Spieler Timo Boll (27). Der dreifache Europameister gilt schon lange als der große Gegenspieler der Chinesen schlechthin und konnte in den vergangenen Jahren auch als einziger Kontrahent mehr als nur punktuell in Chinas Phalanx einbrechen.

Der Weltranglisten-Sechste, der 2003 als erster Deutscher die Spitze der Computer-Wertung erobern konnte und in China aufgrund seines sympathischen Auftretens sowohl in als auch außerhalb der Box trotz der Rivalität zu den einhei- mischen Ikonen wie ein Popstar verehrt wird, hat sich für seine dritte Olympia-Teilnahme denn auch endlich den Gewinn der ersten Me- daille zum Ziel gesetzt. "Das wäre wohl der bisherige Höhepunkt meiner Laufbahn, darauf arbeite ich seit Jahren hin. Olympia ist das Größte für uns Sportler, deswegen hat eine Medaille bei Sommerspielen auch einen ganz anderen Stellenwert als ähnliche Erfolge bei einer WM", beschreibt der Linkshänder vom Deutschen Meister Borussia Düsseldorf die Bedeutung des Turniers in Peking für seine Person.

Seine längere Verletzungspause wegen Kniebeschwerden, ausgerechnet zu Beginn des Olympia-Jahres, sieht Boll spätestens seit seinem Erfolg beim internationalen Turnier am vergangenen Freitag mit allen Stars aus Europa in seiner Wahlheimat Düsseldorf nicht mehr als Nachteil an. Im Gegenteil: "Düsseldorf hat mir noch einmal wichtige Matchpraxis verschafft. Dennoch weiß niemand so genau, wo ich stehe. Ich bin das große Fragezeichen der Tischtennis-Welt. Es muss auch kein schlechtes Omen für Olympia sein, dass ich so lange verletzt war. Denn die anderen haben schon eine lange Saison hinter sich und nach einer Pause gelechzt. Diese Schwäche kann bei Olympia entscheidend sein."

Den Verlust seiner ursprünglich guten Ausgangsposition in der Weltrangliste für die Setzung beim Olympia-Turnier durch die Zwangspause und die nunmehr drohende Gefahr eines Duells mit einem der drei chinesischen Stars Wang Hao, Ma Lin und Wang Liqin schon im Viertelfinale spielt Boll mit dem Selbstbewusstsein eines Champions herunter. "Für eine Medaille muss man im Normalfall eh einen Chinesen schlagen. Aber vielleicht wünschen sich ja auch die Chinesen nicht gerade mich als Gegner", sagt der Doppel-Vizeweltmeister von 2005.

Einen Vorgeschmack auf das Einzelturnier könnte Boll schon im vorherigen Team-Wettbewerb be- kommen (ab 13. August). Wenn der Deutsche Meister dabei mit seinen Düsseldorfer Vereinskollegen Dimitrij Ovtcharov (19) und Christian Süß (23) gegen China antreten müsste, wäre sein Medaillenziel allerdings schon erreicht: Als Nummer zwei der Setzliste kann Europameister Deutschland erst im Finale auf die topgesetzten Weltmeister und Gastgeber treffen. "Eine Medaille mit der Mannschaft", sinnierte Boll kurz vor der Abreise gen China, "würde uns jeglichen Druck für das Einzel nehmen. Das könnte im entscheidenden Augenblick ein zusätzlicher Vorteil sein."

Lennart Manzke