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RNL im kicker-Check: Träume, die Träume bleiben?

Vizemeister aus Nordbaden hofft auf den großen Wurf

RNL im kicker-Check: Träume, die Träume bleiben?

Vieles hängt bei den Löwen auch von seiner Entscheidung über die Zukunft ab: Kapitän Uwe Gensheimer.

Vieles hängt bei den Löwen auch von seiner Entscheidung über die Zukunft ab: Kapitän Uwe Gensheimer. imago

Traum Königsklasse, Trauma DHB-Pokal

"Es ist immer schwierig, wenn man auswärts in die Saison startet, und das auch noch als Favorit", erkannte Löwen-Coach Nikolaj Jacobsen. Einige lobende Worte fand der 43-Jährige deswegen auch für den Auftritt seiner Mannschaft beim TBV Lemgo. Die Gedanken vor dem Start seien schließlich immer die gleichen: "Wir wussten nicht wirklich, wo wir stehen, auch wenn wir eine sehr gute Vorbereitung hatten." Und freilich war noch nicht alles Gold, was glänzte. "Natürlich habe ich auch einige Dinge gesehen, die wir in Zukunft verbessern müssen."

Kein Wunder: Stetige Verbesserung zählt schließlich zu den Leitmotiven in der Entwicklung bei den ambitionierten Nordbadenern. Seit der Spielzeit 2007/08 standen die Löwen immer unter den Top fünf der Liga, mit der Saison 2013/14 definierte der Klub seine Maßstäbe neu. Wegen dem schlechteren Torverhältnis (!) schrammten die Löwen nur hauchzart am Titel vorbei, auch in der abgelaufenen Spielzeit fehlten lediglich zwei Zähler zum großen THW Kiel. In beiden Jahren hinkte die Konkurrenz dem Spitzenduo weit hinterher.

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Und dennoch: Der Traum von der Meisterschaft blieb dem amtierenden Vizemeister weiter unerfüllt, genau wie der vom Champions-League-Titel und dem DHB-Pokal. Einmal standen die Löwen seit der Einführung des Final-Four-Turniers im Halbfinale der Königsklasse, 2011 hieß die Endstation aber Barcelona. In den beiden letzten Jahren war im Viertel- und Achtelfinale Schluss - und die internationale Konkurrenz schläft nicht, wird immer dichter und finanzstärker. Auch der DHB-Pokal erwies sich nicht gerade als Paradedisziplin, sondern vielmehr als Trauma: 2006, 2007, 2010 scheiterte man im Finale - 2008, 2009, 2011, 2014 und 2015 war jeweils im Halbfinale Schluss.

Neuzugänge: "Weihnachtsgeschenk" Appelgren, Problemfall Stanic

Bilden das neue Torhüter-Duo der Löwen: Darko Stanic (l.) und Mikael Appelgren.

Bilden das neue Torhüter-Duo der Löwen: Darko Stanic (l.) und Mikael Appelgren. imago

Allesamt Träume, die in den nächsten Jahren keine mehr bleiben sollen. Für die Saison 2015/16 schlagen die Verantwortlichen dennoch eher leise Töne an: "Wir wollen in der Bundesliga unter die ersten Vier kommen, im DHB-Pokal wieder das Final-Four in Hamburg erreichen und in der Champions League zu den besten sechs Teams der Gruppenphase zählen", so Jacobsen. Um diese hohen Hürden zu nehmen, musste im Sommer aber Verstärkung her. Da mit Niklas Landin (THW Kiel) und Bastian Rutschmann (Frisch Auf Göppingen) gleich zwei Torhüter den Klub verließen, galt es zwischen den Pfosten auch doppelt nachzubessern. Mit Melsungens Mikael Appelgren machte man sich vergangenes Jahr zwei Tage vor dem Fest "ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk" (Geschäftsführer Lars Lamadé). Coach Jacobsen konnte die Entscheidung auch sportlich spezifizieren: "Er zählt nicht nur zu den besten Torhütern der Bundesliga, sondern ist mit seinem jungen Alter noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung."

Dazu stieß der in der europäischen Handballwelt nicht immer unumstrittene, als Wandervogel geltende Darko Stanic, der speziell bei Ligakonkurrent Frisch Auf Göppingen im Mai 2012 negativ auffiel. Eigentlich war der heute 36-Jährige bereits beim Bundesligisten im Wort, entschied sich nach einer überragenden EM aber überraschend für einen - deutlich lukrativeren - Verbleib in Skopje. Dennoch sagt Jacobsen: "Er wird, in meinen Augen, gemeinsam mit Appelgren ein hervorragendes Duo bilden." Das Vertrauen zahlte er bereits bei seinem starken Einstand gegen Lemgo teilweise zurück.

Myrhol: "Ich habe Hendrik als Nachfolger empfohlen"

Ebenfalls doppelt legten die Löwen am Kreis nach: Vom TBV Lemgo kam der deutsche Nationalspieler Hendrik Pekeler nach Nordbaden, um die große Lücke, die der Abgang von Publikumsliebling Bjarte Myrhol riss, aufzufangen. Anteil an der Verpflichtung hatte kurioserweise auch Myrhol, der hinterher gestand: "Ich habe Hendrik als meinen Nachfolger bei den Löwen empfohlen." Mitte Juni erhielt der Ersatz aber den ersten herben Dämpfer: Diagnose Knorpelschaden im Knie, mehrere Monate Zwangspause. Damit öffnete sich die Tür für den spanischen Kreisläufer Rafael Baena, der von BM Puente Genil zum Vizemeister wechselte. "Mit Rafael werden wir vor allem in unserem Angriffsspiel noch variabler", so Trainer Jacobsen. Mit der Empfehlung von 151 Treffern (2014/15) in der Liga Asobal kam der 32-Jährige ins deutsche Oberhaus.

Kämpften gegeneinander, schätzten sich aber immer: Bjarte Myrhol (l.) und sein Nachfolger Hendrik Pekeler.

Kämpften gegeneinander, schätzten sich aber immer: Bjarte Myrhol (l.) und sein Nachfolger Hendrik Pekeler. imago

Was Pekeler in der Abwehr und Baena (teilweise) im Angriff verkörpern, vereinte Myrhol, weshalb er den Löwen auch so sehr fehlen wird. In sechs Jahren in Nordbaden mauserte sich der Norweger zum Publikumsliebling - und in Kombination mit Spielmacher Andy Schmid zu einer unersetzlichen Achse im Löwen-Spiel. Kein Wunder, dass bei seinem Abschied gen Skjern viele Tränen flossen - und sein Dress als überhaupt erster (!) unter die Hallendecke wanderte. "Wenn ich mein Trikot da oben hängen sehe, weiß ich nicht, ob diese Trennung schön ist."

Myrhol ist aber nicht der einzige, der sich das Prädikat "unentbehrlich" verdiente. "Das sind zwei herbe Verluste, die man einfach nicht ersetzen kann", adelte Jacobsen neben dem Kult-Kreisläufer auch Schlussmann Landin. Der 26-Jährige, der bei den Löwen zum Welttorhüter reifte, wanderte zum großen Rivalen nach Kiel ab - und das auch noch ablösefrei.

Kader: Gensheimer und das Thema "Rentenvertrag"

Apropos THW Kiel: Ähnlich wie dem deutschen Serienmeister fehlen der Jacobsen-Truppe, über die starke erste Sieben hinaus, ausreichend Alternativen. Der Reihe nach: Im Tor können Appelgren und Stanic die beiden Abgänge Landin und Rutschmann wohl auch qualitativ auffangen - zumindest was die nationalen Wettbewerbe angeht.

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Auf Linksaußen haben die Löwen mit DHB-Kapitän Gensheimer den überragenden Spieler auf seiner Position in der Beletage, allerdings werden die Gerüchte um einen Wechsel zu den "Zebras" auch in Zukunft wohl nicht abreißen. Oder doch? Geschäftsführer Lamadé habe dem 28-Jährigen "ein gutes Angebot" gemacht, das mit den Perspektiven nach Karriereende wohl einem "Rentenvertrag" gleich käme. Gensheimer wolle zeitnah eine Entscheidung treffen, sich dabei aber nicht in die Karten schauen lassen. Sein Vertreter Stefan Sigurmannsson (25) könnte einen Weggang trotz guter Perspektiven nicht auffangen.

Halblinks hat Kim Ekdahl Du Rietz keine wirkliche Konkurrenz, Stefan Kneer ist ein reiner Abwehrspieler und vorne kaum gefährlich. Nachwuchsspieler Rico Keller soll erst über die nächsten Jahre herangeführt werden (Jahrgang 1997). Eine Verletzung des schwedischen Nationalspielers Du Rietz käme also einem Fiasko gleich (ähnlich wie bei Kiel eine schwerere Blessur von Duvnjak oder Canellas).

Zog auch am ersten Spieltag in Lemgo die Fäden: Spielmacher Andy Schmid.

Zog auch am ersten Spieltag in Lemgo die Fäden: Spielmacher Andy Schmid. imago

Auf der Mitte sind die Löwen dagegen mit Schmid und Mads Mensah Larsen gut aufgestellt. Schmid, der im vergangenen Jahr von den Trainern und Managern der 19 Bundesliga-Vereine als bester Spieler ausgezeichnet wurde, wird auch im kommenden Jahr Dreh- und Angelpunkt im RNL-Spiel bleiben. Ob er mit Baena ähnlich gut wie zuvor mit Myrhol harmonieren kann, bleibt dagegen abzuwarten. Larsen ist mit seinen 24 Jahren noch immer entwicklungsfähig - und kann gerade von Schmid so einiges lernen.

Löwen-Schule: Groetzki macht's vor

Ähnlich wie die halblinke stellt auch die halbrechte Rückraumposition eine mögliche Problemzone dar. Alexander Petersson verkörpert mit seiner linken Klebe zwar internationale Klasse, mit 35 Lenzen zählt der Isländer aber auch nicht mehr zu den Zukunftslösungen. Harald Reinkind überzeugte zwar bei seinen Teileinsätzen, ein wirklicher Petersson-Ersatz ist der erst 23-Jährige aber (noch) nicht.

Auf Rechtsaußen haben die Löwen bereits den Weg eingeschlagen, der zukünftig auch vorangetrieben werden soll: Junge, hungrige Spieler aus deutschen Gefilden weiterzuentwickeln. Patrick Groetzki hat den kontinuierlichen Fortschritt exemplarisch vorgelebt, Marius Steinhauser (22) kann - wenn er vom Verletzungspech künftig verschont bleibt - in diese Fußstapfen treten. Nachwuchsmann Marvin Gerdon hat folglich alle Zeit der Welt.

Am Kreis teilen sich aktuell Baena und Deckungsspezialist Gedeon Guardiola die Arbeit. Bei Baena wird es spannend, wie der Spanier die große Belastung - besonders im Vergleich zur geringen in der Liga Asobal - wegstecken wird. Zumindest hat er mit Guardiola einen Landsmann an der Seite, da sollte die Eingewöhnung ein wenig leichter fallen. Bis Pekeler zurückkehrt wird noch einige Zeit vergehen. Bleibt im Löwen-Lager zu hoffen, dass bis dahin nicht bereits alle Träume ausgeträumt sind.

msc

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