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Pekermans zweite Chance

Kolumbien: Coach kann Geschichte schreiben

Pekermans zweite Chance

Stets gelassen, hat José Pekerman aus der Vergangenheit gelernt - und kann mit Kolumbien Historisches vollbringen.

Stets gelassen, hat José Pekerman aus der Vergangenheit gelernt - und kann mit Kolumbien Historisches vollbringen. Getty Images

Pekermans WM-Ausbeute ist beachtlich: Weder als Coach der Argentinier noch bisher als Kolumbiens Übungsleiter hat er je ein WM-Spiel (nach 90 respektive 120 Minuten) verloren. Die 2006 von ihm trainierte Albiceleste schied bekanntlich gegen den Gastgeber Deutschland im Viertelfinale 2006 erst im Elfmeterschießen aus. Neun WM-Spiele dauert seine sportliche Unversehrtheit nun bereits an, wodurch er mit Vittorio Pozzo, Italiens Weltmeistercoach der Jahre 1934 und 1938, gleichgezogen ist.

Verheerende Auswechslung

Unversehrt ist nur seine Serie, seine Reputation bekam 2006 hingegen einiges ab. Noch immer wird Pekerman daran erinnert und teilweise auch darauf reduziert, dass er einen als Wechselfehler deklarierten Tausch gegen Alemania vorgenommen hat: Er nahm Argentiniens begnadeten Spielmacher Juan Roman Riquelme 2006 vorzeitig vom Feld – schlimm genug für die Gauchos – und brachte nicht den zwar erst 18 Jahre alten, aber schon damals erkennbar talentierten Wunderstürmer Namens Lionel Messi. Stattdessen kam der bullige Angreifer Julio Cruz ins Spiel - Argentinien schied aus, und Pekerman wird der kontrovers diskutierte Wechsel bis heute vorgehalten.

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Pekerman José Nestor

Kolumbien - Vereinsdaten
Kolumbien

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"An diesem Cruz wird er immer tragen", schrieb ein argentinischer Journalist hernach, denn Cruz bedeutet auf Spanisch Kreuz. Er sollte Recht behalten. Auch acht Jahre später, als Coach der kolumbianischen Seleccion beim Weltturnier in Brasilien, wurde Pekerman immer noch auf seinen Wechsel angesprochen. Pekerman antwortete vor rund drei Wochen gequält: "Man erinnert mich oft daran und vergisst darüber alles andere."

Erstaunliche Parallelen

Auf ihn hört das Team: José Pekerman gibt Juan Cuadrado und Camilo Zuniga Anweisungen.

Auf ihn hört das Team: José Pekerman gibt Juan Cuadrado und Camilo Zuniga Anweisungen.

Die Parallelen sind verblüffend: Auch 2006 galt die von ihm trainierte Landesauswahl als Geheimfavorit, spielte teilweise berauschenden Fußball – wie jetzt die Kolumbianer. Damals wie heute traf er im Viertelfinale auf den WM-Gastgeber. Nun beschert ihm das Leben als Übungsleiter eine zweite Chance.

Der 64-Jährige könnte die Geister der Vergangenheit endgültig vertreiben, indem er Brasilien aus dem Wettbewerb kegelt. Natürlich würde er dadurch auch den Argentiniern eine Freude bereiten, den fußballerischen Erzrivalen Brasiliens. Und so etwas Rehabilitation in seinem Geburtsland betreiben.

Ehe du in einen Wettbewerb trittst, musst du das größte Ego besiegen, das es gibt: dein eigenes.

José Nestor Pekerman

Der einst so streitbare Pekerman hat fern der Heimat 26 Monate nach Amtsantritt den Cafeteros neues Leben, Selbstvertrauen und Mut eingehaucht. Erst führte er sie souverän durch die Eliminatorias, die südamerikanische Qualifikation. Nun trumpft er bei der WM auf - auf der großen Weltbühne weiß Kolumbien wie sonst kaum ein Team zu überzeugen. Dank Pekerman sind die launischen Kolumbianer taktisch gereift, treten flexibel auf: defensiv stabil, vorne torgefährlich. "Ehe du in einen Wettbewerb trittst, musst du das größte Ego besiegen, das es gibt: dein eigenes", hatte Pekerman in einer Videobotschaft jüngst verkündet. Nun verzaubert er das ganze Land.

Und hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, oder zumindest gelernt, damit umzugehen. Der Argentinier strahlt Ruhe aus, abseits des Feldes wie am Spielfeldrand. Argentinien bei einer WM betreut zu haben, habe Pekerman "Erfahrung gegeben", die er benötige, um seine "Überzeugungen zu bestärken", erklärte er einmal.

Diese Denkweise überträgt er nun auf die Kolumbianer, die zu ungekannter Stärke aufgestiegen sind: "Wir sind in der Lage, das Spiel zu gestalten, Chancen zu kreieren, Tore zu erzielen. Aber das Wichtigste ist, dass bisher jeder Einzelne seine Rolle in der Mannschaft ausgefüllt hat. Das gibt Gelassenheit", so Pekerman. Eben jene von ihm vorgelebte Gelassenheit fehlt dem aufgedrehten Viertelfinalkontrahenten Brasilien im Angesicht eines Scheiterns vor heimischer Kulisse scheinbar völlig.