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Afrika in der Krise

Die Probleme von Kamerun bis Ghana

Afrika in der Krise

Will das Chaos lichten: Samuel Eto'o.

Will das Chaos lichten: Samuel Eto'o. Getty Images

Aus Brasilien berichtet Mounir Zitouni

Samuel Eto’o war nicht nach Urlaub im Anschluss an seine Heimkehr nach Kamerun. Das Debakel seines Teams in Brasilien hatte Spuren hinterlassen. Der Spieler, zuletzt beim FC Chelsea aktiv, ist ja einer, der sich gerne um das große Ganze kümmert. Also lud er in sein großes Appartement im Hotel Hilton in Yaunde ein. Krisengipfel. Der Auftrag: den Fußball Kameruns retten.

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Es kamen unter anderem Kameruns Legenden wie Roger Milla, Stephen Tataw oder Joseph-Antoine, dazu Ex-Nationalspieler wie Emmanuel Maboang Kessak oder Michel Kaham. Die Männer, die zu den bekanntesten Fußballern des Landes gehören, waren zuvor heillos zerstritten gewesen. Milla sprach nicht mit Kessak und Bell, Bell nicht mit Tataw, der wiederum nicht mit Milla. 20 Jahre bekämpften sie sich. Auf Initiative von Eto’o will man nun gemeinsam dem Verband Vorschläge machen, wie der Fußball im Lande in Zukunft aussehen könnte.

Milla und Co. wollen endlich den Fußball in ihrem Land mitgestalten. Ein Treffen, das eine Menge über den Fußball in Afrika aussagt. Ein Kontinent, wo sich aktive Spieler ständig Einfluss sichern wollen. Ein Kontinent, wo verdiente Ex-Akteure nur selten Gelegenheiten bekommen, ihre europäischen Erfahrungen in die Verbandsarbeit einfließen zu lassen. Ein Kontinent, wo es hinter den Kulissen um Macht und fast immer uns Geld geht.

Bei der WM in Brasilien spielten 98 von 115 afrikanischen WM-Fahrern in europäischen Profiligen. Sie sind oftmals sogar in Europa geboren, laufen seit Jahren für Spitzenklubs dort auf, und doch ist es alle vier Jahre das Gleiche: Den Mannschaften wird fast alles zugetraut, doch dann sorgt der afrikanische Virus für ein frühes Ausscheiden. Symptome: Disziplinlosigkeit, Desorganisation und mangelnde Professionalität. In Brasilien schaffte es allein das nordafrikanische Algerien skandalfrei durchs Turnier zu kommen, ließ dazu mit modernem und attraktivem Spiel aufhorchen. Nigeria immerhin sorgte auf dem Feld für einen guten Gesamteindruck, schaffte es wie die Algerier ins Achtelfinale. Und die anderen Teams? Überboten sich an Peinlichkeiten.

Geldkoffer für Ghana und Nigeria

Vor dem entscheidenden Spiel Ghanas gegen Portugal ließ der Verband der "Black Stars" drei Millionen US-Dollar in bar ins Trainingscamp einfliegen. Die Spieler hatten Angst, dass sie von dem ihnen zustehenden Geld nach Beendigung des Turniers nichts mehr sehen würden und drohten mit Streik. Diskussionen auf den Zimmern statt Arbeit mit dem Ball.

Auch Nigerias Akteure wollten erst das Geld für das Erreichen des Achtelfinales sehen, bevor sie auf den Trainingsplatz gehen. Der Sportminister brachte es schließlich persönlich und flog mit Gefolge ein. Und das einen Tag vor dem Achtelfinalspiel. Ein jämmerliches Bild für den Sport und für die Organisation des Fußballs in Afrika.

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Die Verbände erhalten für die WM-Qualifikation hohe Millionenbeträge, doch das wenigste Geld landet auch da, wo es hin soll. Weder bei den Spielern, denen die ausgehandelten Erfolgs- und Auflaufprämien nach Absprache zustehen, noch im Land selbst. Wer sich die sportliche Infrastruktur in Kamerun oder in der Elfenbeinküste anschaut, kann sich nur wundern. Alte Stadien und Strukturen aus den 90er Jahren. Die prestigeträchtige afrikanische Champions League hat ein Klub aus der Elfenbeinküste zuletzt vor 16 Jahren gewonnen, für einen ghanaischen Verein ist das 14 Jahre her, ein nigerianisches Team siegte zuletzt 2004 und ein Klub Kameruns schaffte das noch nie. Doch dafür wird für eine horrende Summe lieber ein neuer Sitz für den Verband in Yaunde gebaut. Dringend benötigtes Geld für die Sichtung und Förderung von Talenten oder für den Aufbau und Erhalt von professionellen Strukturen dagegen versickert.

Boateng wundert sich - Eto'o bald Trainer?

Didier Drogba

"Es fehlte uns oft Einigkeit": Didier Drogba. Getty Images

Der Schalker Kevin-Prince Boateng wunderte sich, dass er beim Flug aus den USA nach Brasilien vor dem Turnier zwölf Stunden Economy flog, in der 1. Klasse es sich dagegen die Herren vom Verband gut gehen ließen. "Das System in Afrika ist anders als in Europa", sagte der Coach Ghanas Kwasi Appiah. Doch das System muss sich ändern, sonst bleiben die Afrikaner auch in den nächsten Turnieren Zuschauer, wenn es ernst wird. Verbände und Politiker sind deshalb gefragt, um Strukturen zu ändern, aber auch die Spieler stehen in der Pflicht, die sich in Brasilien mit dilettantischem sportlichen Verhalten und Undiszipliniertheiten auf dem Feld und außerhalb selbst schwächten.

Aussetzer wie die vom Ghanaer John Boye gegen die USA und Portugal oder das stümperhafte Eingreifen von Giovanni Sio von der Elfenbeinküste kurz vor Ende im Spiel gegen Griechenland sind kaum nachvollziehbar. Genauso wenig wie die sinnfreie Tätlichkeit von Alexandre Song gegen Mario Mandzukic im Spiel gegen Kroatien. Und wenn zwei Spieler Kameruns wie Benoit Assou-Ekotto und Benjamin Moukandjo auf dem Platz aufeinander losgehen, sagt das eine Menge über den Zustand einer Mannschaft aus.

Der Clan Eto'o und der Clan Song verstehen sich nicht

Doch in Afrika sind die verschiedenen Regional-, Clan- oder Stammeszugehörigkeiten wichtiger als in Europa. So antwortete Didier Drogba vor dem Turnier auf die Frage, warum die goldene Generation seines Landes so wenig zuvor gewann: "Es fehlte uns oft Einigkeit und Solidarität in der Mannschaft." Ein Satz, der vieles andeutet. Verstehen kann man das als Außenstehender nur schwer, wenn es heißt, dass sich beispielsweise bei Kamerun der Clan Eto'o und der Clan Song nicht verstehen würden. Aber so ist das oft auf dem Kontinent. "Sag mir, woher du kommst, und ich sage dir, wen du magst." Verbandsfunktionäre in Afrika, aber auch Führungsspieler nehmen deshalb gerne Einfluss, wenn es um Personalfragen geht. Akteure, die zu ihrem "Kreis" gehören, sollen, wenn möglich, gefördert werden. Samuel Eto'o ist seit längerem dafür bekannt, im Nationalteam alles unter Kontrolle haben zu wollen.

Denis Lavagne, Ex-Trainer Kameruns, dazu: "2012 kündigte ich an, ihm die Kapitänsbinde wegzunehmen, eine Woche später war ich entlassen. Eto'o hat dort einen riesigen Einfluss." Und den will er auch behalten. Im Land ist man sicher, dass der aktuelle Star des Teams schon 2018 als Trainer der "Lions Indomptables" bei der WM in Russland auf der Bank sitzen will. Eine politische Runde, wie die von letzter Woche in Yaunde, kann ihm da nur helfen. Ob es auch den Fußball in seinem Land weiterbringen wird, wird man in den nächsten Monaten sehen. Das Ansehen der afrikanischen Nationen hat auf jeden Fall insgesamt gelitten. Besserung ist derzeit noch nicht in Sicht.

Es ging hoch her ... und einige fielen tief