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La Roja - unkonventionell und unangenehm

Chile im WM-Check

La Roja - unkonventionell und unangenehm

Stürmer Alexis Sanchez, Mittelfeldmotor Arturo Vidal und Linksaußen Eduardo Vargas (v.l.).

Stürmer Alexis Sanchez, Mittelfeldmotor Arturo Vidal und Linksaußen Eduardo Vargas (v.l.). Getty Images

Die Mannschaft

Das Aushängeschild des Teams, deren Spieler ausschließlich außerhalb der Heimat beschäftigt sind, ist Arturo Vidal (Juventus Turin), der Prototyp des technisch versierten Spielers. So verkörpert Häuptling Vidal, der im Mittelfeldzentrum nach vorne wie hinten Freiheiten genießt, die Mentalität der Mannschaft wie kaum ein Zweiter. Vidal ist zweikampfstark, hat ein schier unerschöpfliches Laufpensum und gehört gleichzeitig zu den torgefährlichsten Mittelfeldspielern der Welt. Auch das Selbstvertrauen ist ihm nicht abzusprechen, betitelte er sich doch als "besten Mittelfeldspieler der Welt".

Chile - Vereinsdaten
Chile

Gründungsdatum

01.01.1895

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In vorderster Front agiert der nächste Superstar, Barcelonas Alexis Sanchez. Anders als im Verein, wo er als hängende Spitze über rechts kommt, genießt der 1,69 Meter kleine Angreifer in der Nationalelf mehr Freiheiten. Auch "El Niño Maravilla" (der Wunderjunge) fungiert bereits als erster Verteidiger und läuft die gegnerischen Abwehrspieler unnachgiebig an. Hat Sanchez das nötige Selbstvertrauen, ist er unberechenbar. Flankiert wird er von Eduardo Vargas (FC Valencia), ein ebenso lauf- und dribbelstarker Spieler. Jorge Valdividia operiert auf der "Zehn" und gibt teilweise einen Spielmacher alter Schule, der durch technische Finesse und Übersicht besticht und seine Mitspieler einzusetzen weiß.

In der Abwehr verteidigt der ruppige Gary Medel (Swansea City), genannt "Pitbull" - weshalb er den Namen trägt, kann man sich durchaus denken. Medel ist allerdings klein gewachsen (1,71 Meter) und gelernter defensiver Mittelfeldspieler - was nicht gerade für die Breite des Kaders hinsichtlich gestandener Innenverteidiger spricht und die Schwäche der Mannschaft darstellt. Auch Gonzalo Jara ist alles andere als groß (1,78 Meter) und lediglich beim englischen Zweitligisten Nottingham Forrest angestellt. Der Dritte im Bunde, Marcos Gonzalez von Flamengo Rio de Janeiro, ist der einzige mit Gardemaß, allerdings schon im fortgeschrittenen Alter von 33 Jahren. Erwähnenswert ist auch Torhüter Claudio Bravo von Real Sociedad San Sebastian, dessen Reflexe zuweilen zu beindrucken wissen.

Spielstil und System

Gary "Pitbull" Medel ist fürs Zerstören des gegnerischen Spiels zuständig.

Gary "Pitbull" Medel ist fürs Zerstören des gegnerischen Spiels zuständig. Getty Images

Chile agiert im unkonventionellen 3-5-2 oder sogar im noch offensiveren 3-4-3. Dabei werden vielen Spielern aber Freiheiten gestattet. Hohes Pressing, viel Lauffreude und -bereitschaft sind die Kernkompetenzen der Südamerikaner. Das für viele Gegner ungewohnte System, dazu die Giftigkeit gepaart mit ihrer technischen Finesse, macht "La Roja" zu einem mehr als unbequemen Gegner. Davon durfte sich zuletzt nicht nur die deutsche Nationalmannschaft ein Bild machen, die gegen die wendigen und wilden Chilenen weit unterlegen waren. So erklärte Oliver Bierhoff nach dem mehr als schmeichelhaften 1:0-Sieg im Freundschaftsspiel im März: "Es war beeindruckend. Wir haben sie stark erwartet, aber nicht so stark".

Teilweise agierten die Chilenen mit Manndeckung über das komplette Spielfeld – Mesut Özil und Co. wurden immer und überall unter Druck gesetzt. "Sie sind läuferisch und technisch hervorragend", sagte Bundestrainer Joachim Löw und sprach von einem unorthodoxen Stil, mit dem Deutschland gehörige Schwierigkeiten hatte. Nicht nur das DFB-Team durfte sich ein Bild von der Dynamik der Chilenen machen, besonders die Engländer wurden im heimischen Wembley förmlich überrannt und verloren ihr Freundschaftsspiel im November 2013 folgerichtig mit 0:2. Auch gegen die Topfavoriten Brasilien (2:2 und ein unglückliches 1:2) und Spanien (2:2) zeigten die Südamerikaner in Testspielen jüngst ihre Stärke.

Der Trainer und die Qualifikation:

Chile löste das Ticket zur WM dank eines 2:1-Heimsieges gegen Ecuador - und feierte danach ausgelassen.

Chile löste das Ticket zur WM dank eines 2:1-Heimsieges gegen Ecuador - und feierte danach ausgelassen. Getty Images

Chile konnte sich als Dritter der Südamerikastaffel (hinter Argentinien und Kolumbien) für die WM-Endrunde qualifizieren. Dabei startete "La Roja" holprig in die Qualifikationsrunde. Im November 2012 übernahm schließlich Jorge Sampaoli das Amt von seinem Vorgänger Claudio Borghi, der nach drei Niederlagen in Folge gegen Argentinien, Ecuador und Kolumbien entlassen wurde. Zum damaligen Zeitpunkt war die Qualifikation für die WM-Endrunde in höchster Gefahr.

Sampaoli verlor das erste Spiel nach Amtsantritt in der Höhe von Peru (0:1) zwar, legte anschließend aber eine fulminante Serie hin und gewann insgesamt fünf der sieben ausstehenden Begegnungen. Besonders die Abwehr stand stabiler, unter Borghi hatte Chile im Schnitt noch satte zwei Tore pro Partie kassiert. Dank eines 2:1-Sieges am letzten Spieltag gegen Ecuador qualifizierten sich die Chilenen das erste Mal in der Landeshistorie für zwei aufeinanderfolgende Weltmeisterschaften. Von den Trainer-Kollegen wurde Sampaoli anschließend zum besten Coach der Südamerika-Quali gewählt. Vor seiner Tätigkeit als Nationalcoach feierte der Argentinier mit Universidad de Chile große Erfolge: Drei Meisterschaften und eine Copa Sudamericana, das Pendant zur Europa League, gewann er mit "La U".

Sampaoli impfte der Mannschaft seit Amtsantritt Gier und Siegeswillen ein und brachte Vidal und Co. dazu, wieder auf dem ganzen Spielfeld das unnachahmlich dynamische Pressing zu vollziehen, für das sie schon unter Trainerikone Marcelo Bielsa berüchtigt waren, der sie zur WM 2010 führte. Sampaoli gestand ein, ein Jünger der Bielsa-Schule zu sein und das Erbe nur weitergeführt zu haben: "Was Bielsa getan hat, war wertvoller. Wir konnten einen Weg fortführen, der frühzeitig vorgegeben wurde", zeigte sich der neue Trainer demütig: "Wir haben die Dinge mit ähnlichen Merkmalen und reiferen Spielern weitergeführt."

Jorge Sampaoli impfte "La Roja" wieder Leidenschaft und Kampfgeist ein.

Jorge Sampaoli impfte "La Roja" wieder Leidenschaft und Kampfgeist ein. Getty Images

Gruppenkonstellation und Aussichten

Chile hat die schwerste Gruppe der WM erwischt, in der Vorrunde warten Champion Spanien, Vizeweltmeister Niederlande und die nicht zu unterschätzenden Australier. Doch es sind nicht nur die Chilenen, die sich deswegen Sorgen machen. "Man muss auf Chile aufpassen", empfahl Vidal jüngst. Spaniens Alvaro Negredo sieht die Südamerikaner beileibe nicht nur als das drittbeste Team der Gruppe: "Sie haben ein höheres Level als Holland", so der Stürmer von Manchester City anerkennend.

Der gestiegene Erwartungsdruck aufgrund der zuletzt starken Leistungen ist Sampaoli jedoch ein Dorn im Auge: "Mich beunruhigt die Tatsache, dass die Fans hoffen, dass ich Chile zu einem WM-Sieg verhelfen kann - insbesondere wenn ich an die Schwierigkeiten und die Unterschiede zu anderen Mannschaften denke, die wirklich über uns stehen", erklärte der Coach. Selbst wenn Chile seinem Geheimtipp-Image gerecht wird und die Gruppenphase übersteht, könnte im Achtelfinale mit Brasilien schon der nächste Kracher lauern. Oder die nächste Herausforderung.