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England fliegt diesmal unter dem Radar

Die "Three Lions" im WM-Check

England fliegt diesmal unter dem Radar

Wieder gefangen? Joe Hart musste nach zahlreichen Fehlern zu Saisonstart kurzzeitig auf der Bank Platz nehmen.

Wieder gefangen? Joe Hart musste nach zahlreichen Fehlern zu Saisonstart kurzzeitig auf der Bank Platz nehmen. Getty Images

Die Problemzonen

Da frohlockte man in England, das ewige Torwartproblem mit Joe Hart auf Jahre hinweg endlich gelöst zu haben. Doch dann zeigte der 26-Jährige im Verein und im Nationalteam ungeahnte Schwächen. Also alles wieder beim Alten im Tor der "Three Lions"? Nicht ganz, denn die zwischenzeitliche Verbannung auf die Bank von Manchester City scheint ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Der Schlussmann zeigte in den letzten Wochen wieder aufsteigende Tendenz.

England - Vereinsdaten
England

Gründungsdatum

01.01.1863

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Die Abwehr kann dennoch nicht mehr als Prunkstück gelten. Einstige Größen wie John Terry oder Rio Ferdinand sind längst in Länderspielrente, Spieler wie Gary Cahill (Chelsea), Phil Jagielka (Everton) oder Phil Jones (ManUnited) stehen zwar für ein ordentliches Niveau, aber längst nicht für Extraklasse. Ashley Cole gehörte mal zu den besten Linksverteidigern der Welt, doch der 33-Jährige (106 Länderspiele), der als erster Engländer zum vierten Mal an einer WM teilnehmen kann, hat seinen Zenit überschritten. Bei Chelsea sitzt er momentan nur auf der Bank. Standardspezialist Leighton Baines (Everton) oder Arsenals Kieran Gibbs könnten ihm auf links den Rang ablaufen.

Ein harter Schlag für Roy Hodgson ist der Ausfall von Theo Walcott (Kreuzbandriss) . Seine Schnelligkeit werden die Engländer auf dem rechten Flügel schmerzlich vermissen. Ein Ersatz könnte Tottenhams Andros Townsend sein, der in der WM-Qualifikation ein furioses Debüt hinlegte. Auch Walcotts Klubkollege Alex Oxlade-Chamberlain ist ein Hoffnungsträger, kam in dieser Saison aufgrund von Verletzungen aber noch kaum zum Einsatz. Ashley Young ist angesichts seiner schwachen Vorstellungen für Manchester United derzeit keine Option, auch Aaron Lennon (ebenfalls Tottenham) ist außen vor. Die "konservative" Variante auf rechts heißt James Milner. Dieser stellt seine Qualitäten, die vor allem in der Defensive liegen, bei Manchester City regelmäßig unter Beweis (z.B. beim CL-Sieg bei Bayern München), ist aber natürlich ein komplett anderer Spielertyp als Walcott.

Die Hoffnungsträger

Eins scheint klar zu sein: Will England eine gute WM spielen, braucht es einen Wayne Rooney in Topform. Seine Extraklasse stellte der 28-Jährige zu Saisonbeginn bei Manchester United eindrucksvoll unter Beweis, zuletzt plagte er sich jedoch immer wieder mit Verletzungen herum. Das könnte zum Problem werden, denn gerade die bei ihm nicht immer selbstverständliche Fitness machte Rooney zum Start der Spielzeit so stark. In Brasilien dürfte sie angesichts der zu erwartenden Bedingungen unverzichtbar sein, wenn Rooney mal wieder ein starkes Turnier spielen will. Mit Daniel Sturridge, der für den FC Liverpool in der Premier League bereits elfmal traf, könnte er ein aufregendes Sturmduo bilden. Auch die Leistungen seines Klubkollegen Danny Welbeck lieferten zuletzt Grund zu Optimismus. Im Angriff schlummert das größte Potenzial - auch wenn die "Three Lions" beim 0:1 gegen Deutschland vergangenen November keinen einzigen Torschuss abgaben.

Jack Wilshere

Halten die maladen Knöchel? Jack Wilshere ist einer der großen englischen Hoffnungsträger. imago

Der Hoffnungsträger im Mittelfeld, in dem Hodgson mit Kapitän Steven Gerrard, Frank Lampard oder Michael Carrick ansonsten eher auf Spieler setzen wird und muss, die die 30 längst überschritten haben, ist zweifellos Jack Wilshere. Nachdem ihn eine langwierige Knöchelblessur für anderthalb Jahre außer Gefecht gesetzt hatte, schien Wilshere lange noch mit angezogener Handbremse zu spielen. Inzwischen ist das Vertrauen in den eigenen Körper offenbar wieder zurück, der 22-Jährige läuft bei Arsenal wieder zu Topform auf. Das lässt nicht nur das Herz von Arsène Wenger schneller schlagen, sondern auch das von Hodgson. Bleibt Wilshere von Verletzungen verschont, könnte er für die "Three Lions" am Zuckerhut zum Trumpf werden.

Die jungen Wilden

Hodgson warf in der Quali nicht nur Townsend als Debütant ins kalte Wasser. Vor allem Evertons Ross Barkley (20) wird eine große Zukunft vorausgesagt, er wird in England schon mit dem jungen Paul Gascoigne verglichen. Adam Lallana (25) und Jay Rodriguez (24, beide Southampton) könnten ebenfalls auf den WM-Zug aufspringen, auch Ravel Morrison (20, West Ham) und Raheem Sterling (19, Liverpool) räumt Hodgson Chancen ein. Wilfried Zaha (21) war vergangene Saison noch in aller Munde, bei ManUnited hält er bislang jedoch nur die Bank warm, was seine Aussichten nicht gerade verbessert.

Die Qualifikation

England blieb auf dem Weg nach Brasilien zwar ungeschlagen, riss in der Qualifikation dennoch niemanden vom Hocker. Auswärts gewannen die "Three Lions" nur in Moldawien und San Marino, spielten ansonsten dreimal bloß remis. So wuchs am Ende mal wieder der Druck, dem die Engländer in den beiden finalen Spielen in Wembley gegen die Ukraine (4:1) und Polen (2:0) nach jeweils zittriger erster Hälfte jedoch standhielten und die beiden nötigen Siege für den Gruppensieg einfuhren.

Stimmung & Aussichten

Zwei Niederlagen in Folge in Wembley (0:2 gegen Chile, 0:1 gegen Deutschland), das hatte es seit 36 Jahren nicht mehr gegeben. Die Begeisterung rund ums Nationalteam hält sich in England daher aktuell in Grenzen.

Roy Hodgson

Erleichtert: Das 2:0 gegen Polen zum Quali-Abschluss ersparte Roy Hodgson und den "Three Lions" den Weg über die Play-offs. picture alliance

Vor der Auslosung sorgte sich Hodgson weniger um die Gegner als vielmehr um die Spielorte. "Es wird wirklich schwierig, in bestimmten Städten zu spielen", meinte er und hob besonders Manaus hervor, was am Amazonas auf wenig Gegenliebe stieß. Und natürlich kam es, wie es kommen musste: England muss nicht nur in Manaus spielen, sondern erwischte auch noch eine schwere Gruppe mit dem gesetzten Uruguay, dem viermaligen Weltmeister Italien und Costa Rica. Zum Auftakt wartet gleich das Duell mit den Italienern. In Manaus, bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit und hohen Temperaturen. Dass die Partie auf 18 Uhr Ortszeit vorverlegt wurde, ist in diesem Kontext sicherlich nicht sonderlich hilfreich.

Mit Tests gegen Peru (in Wembley), Ecuador und Honduras (im Rahmen eines "Hitze-Trainingslagers" in Miami) will Hodgson sein Team in der heißen Vorbereitungsphase auf die Gegner Uruguay und Costa Rica einstellen. Mit Italien machte man zuletzt im Viertelfinale der EURO 2012 Bekanntschaft, als mal wieder im Elfmeterschießen das Aus kam.

Schlechte Testspielergebnisse, ungelöstes Personalpuzzle, schwierige Gruppe - hinter dem Erfolg der "Three Lions" stehen viereinhalb Monate vor Turnierbeginn mehrere Fragezeichen. Vorhersagen lassen sich daher nur schwer treffen. Von Vorrunden-Aus bis Viertelfinale ist alles drin.

Rooney - der (geläuterte?) Hitzkopf