Argentinien macht Druck
Argentiniens Coach Alejandro Sabella musste nach dem 3:2-Erfolg gegen Nigeria im letzten Gruppenspiel auf Aguero (muskuläre Probleme) verzichten und ließ dafür Lavezzi stürmen. Der Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld, der trotz eines Trauerfalls in der Familie auf der Bank saß , vertraute auf dieselbe Startelf vom 3:0-Sieg gegen Honduras . Mit Benaglio, Djourou, Rodriguez, Xhaka, Shaqiri, Mehmedi und Drmic standen insgesamt sieben Bundesliga-Akteure von Beginn an auf dem Rasen.
Die Albiceleste machte sofort klar, wer Herr im Haus ist: Die Südamerikaner störten die Eidgenossen schon früh, gewannen viele Zweikämpfe und erarbeiteten sich viel Ballbesitz. Zwar hatte Argentinien die Kugel lange in den eigenen Reihen (bis zu 70 Prozent Ballbesitz), doch biss sich der zweimalige Weltmeister die Zähne an einer massierten Schweizer Defensive aus. Die Nati war die meiste Zeit in der Defensive gebunden und konnte nur punktuell mit Kontern entlasten.
Drmic versiebt Alleingang
Das Achtelfinale im Überblick
Blieb es in der Anfangsphase in den Strafräumen noch ruhig, gingen die Spieler mit fortschreitender Spieldauer immer mehr Risiken ein und wagten sich häufiger in die gegnerische Box: Den ersten gefährlichen Warnschuss gaben die Eidgenossen ab, als Xhaka nach einer Ecke aus zentraler Position von der Strafraumgrenze an Keeper Romero scheiterte (27.). Auf der anderen Seite fand Lavezzi eine Lücke im eng gestrickten Verteidigungsnetz der Nati und prüfte Benaglio mit einem Schuss vor dem rechten Fünfmetereck - der Wolfsburger Schlussmann aber parierte sicher (30.).
Auch im weiteren Verlauf saß die Albiceleste im Fahrersitz, dominierte das Geschehen, kam aber zu selten in Schussposition. Gefahr entwickelte die Sabella-Elf vor allem nach Standards. Spielerisch erarbeitete sich Argentinien hingegen kaum Zählbares. Superstar Messi wurde zwar in fast jeden Angriff mit eingeflochten, aber auch streng von den Schweizern bewacht und teilweise gedoppelt. Dieses Geduldsspiel hätten die Südamerikaner beinahe verloren, als Drmic mit einem Steilpass alleine aufs Tor geschickt wurde. Frei vor Romero setzte der Stürmer zum Heber an, chippte das Leder aber schwach in die Arme des Keepers (39.). Auf der anderen Seite durfte auch Benaglio noch einen Arbeitsnachweis erbringen: Einen di-Maria-Aufsetzer entschärfte der Torwart erneut sicher (41.).
Albiceleste lang und hoch - Nati flach und schnell
Immer wieder Lionel Messi! Der Argentinier (M.) war aktiv, wurde aber auch intensiv bewacht. Getty Images
Nach dem Seitenwechsel nahm das Spiel an Fahrt auf. Es wurde weniger taktiert, stattdessen das Mittelfeld mit schnellen Vorstößen überbrückt. Hierbei setzte Argentinien bevorzugt auf Flanken und lange Bälle, die Schweiz setzte ihre schnellen Dribbler entsprechend in Szene. Vor allem die Eidgenossen trauten sich mehr und kamen durch einen Shaqiri-Freistoß, den Romero entschärfte (50.), zu einer guten Möglichkeit. Insgesamt nahm die Zahl der klaren Torchancen aber weiterhin kaum zu. Die jeweiligen Abwehrreihen standen sicher und wirkten zeitweise undurchdringbar. Eine Ausnahme bildete eine Rojo-Flanke auf Higuain, der in der Mitte ungedeckt stand und aufs Tor köpfte. Benaglio rettete mit einem Reflex (62.).
Fortan erspielte sich die Albiceleste wieder ein Übergewicht und baute vermehrt Druck auf. Die Nati verteidigte in dieser Phase leidenschaftlich und wehrte sich mit Händen und Füßen. Ein Messi-Knaller rauschte knapp über die Latte (67.), eine Flanke von "La Pulga" (dt.: der Floh) fand vor dem Tor den eingewechselten Palacio, der nur knapp rechts vorbeiköpfte (75.). Erneut war es der argentinische Superstar, der wenig später mit einem feinen Solo fast die komplette Defensive der Schweizer band und dann aus zwölf Metern feuerte. Den durch zwei (!) Mitspielern verdeckten Flachschuss parierte Benaglio trotz kürzester Reaktionszeit sehenswert mit einem Blitz-Reflex (78.).
Auch in der Schlussphase boten die Südamerikaner Einbahnstraßenfußball. Die Hitzfeld-Schützlinge standen tief und konnten sich nur noch selten befreien. Argentinien hielt den Druck aufrecht, schaffte es aber nicht, den Alpen-Beton zu knacken. Es ging in die Verlängerung.
Verlängerung: Benaglio ist zur Stelle
Argentiniens Rodrigo Palacio (l.) und Schweizer Stephan Lichtsteiner im Kopfballduell. Diego Benaglio (r.) beobachtet die Szene. Getty Images
Direkt nach Wiederanpfiff machte die Albiceleste da weiter, wo sie nach 90 Minuten aufgehört hatte: sie drängte nach vorne. Entsprechend durfte sich Benaglio sofort wieder über ausreichende Beschäftigung freuen. Der Wolfsburger fing Flanken ab, spielte gut mit und beherrschte weiterhin sein Kerngeschäft: Bälle entschärfen (92. gegen Garay, 94. gegen Palacios, 109. gegen di Maria). Ansonsten machte sich der Kräfteverschleiß im sonnigen Sao Paulo immer stärker bemerkbar. Die Nati konzentrierte sich fast ausschließlich aufs Verteidigen und stand mit bis zu zehn Feldspielern im eigenen Drittel. Auch die Südamerikaner liefen bereits mit dem Reservetank und konnten den Druck nicht dauerhaft aufrecht erhalten.
Di Maria trifft ins Tor, Dzemaili nur den Pfosten
Der Schuss ins Viertelfinale: Argentiniens Angel di Maria (l.) trifft zum 1:0 n.V. Getty Images
Alles roch nach Elfmeterschießen, doch dazu kam es nicht. Stattdessen startete eine dramatische Schlussphase: Nach einem Ballverlust von Lichtsteiner schaltete die Albiceleste blitzschnell um: Messi trieb das Spielgerät in Richtung Strafraum und spielte im richtigen Moment auf di Maria ab. Der Angreifer nahm aus rechter Position im Sechzehner Maß, zog ab, und der Ball landete flach im linken Eck (118.). Nun warf die Schweiz alles nach vorne, sogar Benaglio stürmte mit. Die Eidgenossen hatten den Torschrei schon auf den Lippen, doch Joker Dzemailis Kopfball knallte an den Pfosten und von seinem Schienbein aus kurzer Distanz ins Toraus (120.+1). Atemlos auch die weitere Nachspielzeit: Erst rauschte ein di-Maria-Heber aufs leere Tor knapp vorbei (120.+3), mit der letzten Aktion donnerte Shaqiri einen 18-Meter-Freistoß in die Mauer (120.+5).
Damit zieht Argentinien ins WM-Viertelfinale ein und trifft am Samstag um 18 Uhr (MESZ) in Brasilia auf den Sieger der Achtelfinal-Begegnung Belgien gegen die USA. Für die Nati ist die Weltmeisterschaft vorbei.