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"Extrem bitter": Darum verpasste Rausch wirklich die WM

Der ehemalige Kölner im großen kicker-Interview

"Extrem bitter": Darum verpasste Rausch wirklich die WM

Will am liebsten "gar nicht mehr drüber reden": Russlands verhinderter WM-Fahrer Konstantin Rausch.

Will am liebsten "gar nicht mehr drüber reden": Russlands verhinderter WM-Fahrer Konstantin Rausch. picture alliance

Herr Rausch, Sie wurden Anfang Juni aus dem vorläufigen russischen Aufgebot gestrichen, verpassen nun die WM. Wie haben Sie diese Entscheidung erlebt?

Konstantin Rausch (28): Es war extrem bitter. Wir hatten das letzte Training vor der Bekanntgabe des WM-Kaders. Ich wusste da eigentlich schon, dass ich dabei sein sollte. Es war geplant, dass ich gegen die Türkei im Test in der Startelf auflaufe. Es war alles gut, doch dann fuhr mir im Training ein Stich in den Rücken. Ich konnte nicht mehr weitertrainieren. Die Diagnose war schlimm: Eine schwere Zerrung im Rückenbereich über dem Steißbein, Ausfallzeit zwei bis drei Wochen. Der Trainer erklärte mir dann, dass er einen anderen Spieler mitnehmen müsse, was ich verstanden habe.

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Weltmeisterschaft - Vorrunde, 1. Spieltag
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Ein Alptraum.

Rausch: Was soll ich sagen? Die Enttäuschung ist riesengroß. Ich möchte gar nicht mehr so viel darüber reden.

Du wechselst und dann spielst du das erste Spiel bei minus 17 Grad auf Kunstrasen, das war schon gewöhnungsbedürftig.

Sie sind im Januar vom 1.FC Köln zu Dynamo Moskau gewechselt, auch wegen der WM. Wie war das im Januar in Moskau, als Sie dort ankamen?

Rausch: Das war ein Riesensprung. Alles hier war sehr neu für mich. Gerade die Temperaturen. Du wechselst und dann spielst du das erste Spiel bei minus 17 Grad auf Kunstrasen, das war schon gewöhnungsbedürftig. Das kannte ich so gar nicht. Die Umstellung war hart, muss ich sagen. Es war was völlig Neues. Ich musste mich an die neue Mentalität gewöhnen. Das war nicht einfach.

Und dann dieser Verkehr.

Rausch: In Moskau überlegst du dir zweimal, ob du mit dem Auto losfährst oder nicht. Die Stauzeiten sind unfassbar in der Stadt. Wenn man das mit Deutschland vergleicht, dann kennen wir Stau eigentlich nicht. Auch wenn du mit der Mannschaft mit Bus und Eskorte unterwegs bist, hilft dir das wenig. Das ist schon krass.

Sie zogen mit sechs aus Novosibirsk nach Deutschland. Wie sehr fühlen Sie sich als Russe?

Rausch: Ich fühlte mich schon immer als Russe. Das wird auch immer so sein. Ich bin zweisprachig erzogen worden, dennoch war mein Russisch alles andere als perfekt, als ich ankam, aber das ist schon deutlich besser geworden. Ein paar Worte fehlen mir aber immer noch.

Sie haben beinahe in allen deutschen U-Teams gestanden, waren 2011 als U-21-Nationalspieler auch mal im Dunstkreis der deutschen Nationalelf. Hatten Sie da schon im Kopf, eventuell auch mal für Russland zu spielen?

Rausch: Damals habe ich es total genossen, für den DFB zu spielen. Das hat riesig Spaß gemacht und ich konnte mich super weiterentwickeln. Wenn man mich damals zur A-Nationalmannschaft berufen hätte, hätte ich mit Sicherheit ja gesagt. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass es so gekommen ist, wie es jetzt ist. Russland ist das Land, wo ich geboren wurde. Es fühlt sich super und richtig an für mich, das Trikot Russlands zu tragen.

In Russland ist alles etwas strenger, etwas härter. Die Menschen, das Wetter, es geht rauer zu. Das heißt aber nicht, dass die Menschen nicht nett sind.

Was sind denn die Hauptunterschiede in der Mentalität zwischen Russen und Deutschen?

Rausch: In Russland ist alles etwas strenger, etwas härter. Die Menschen, das Wetter, es geht rauer zu. Das heißt aber nicht, dass die Menschen nicht nett sind. Aber oftmals verstecken sie das hinter einer Schale.

Sie debütierten im Oktober 2017 für Russland. Was ist von diesem Spiel hängengeblieben?

Rausch: Alles. Wenn du das erste Mal die Trainingsklamotten anziehst, mit dem Bus zum Spiel fährst, das Trikot mit dem Adler überziehst, dann die Einwechslung. Es ist alles abgespeichert.

Russland ist der größte Staat der Erde, hat knapp 180 Millionen Einwohner. Wie fühlt sich das an, für ein solch großes Land zu spielen?

Rausch: Klar ist die Vorstellung, dass Menschen dir von Sankt Petersburg bis Alaska die Daumen drücken, unglaublich.

Wie haben Sie denn das erste Halbjahr in der Premier Liga in Russland erlebt?

Rausch: Sportlich ist es super gelaufen. Wir haben sehr viele Punkte geholt, waren das drittbeste Team in den zehn Spielen. Was die Stadien angeht, sind natürlich ein paar neue dabei, aber mal hast du gegen ZSKA oder Spartak 25 bis 30 000 Zuschauer in einem relativ engen Stadion. Das macht Spaß, doch du hast auch andere Spiele wie in Ufa, wo du dann 3000 Zuschauer hast. In Khabarov hast du noch weniger, auch in Perm waren es nur vier-, fünftausend.

Wie ist das Niveau?

Rausch: In Deutschland wird einen Tick schneller gespielt. Es ist intensiver und es werden weniger Fehler gemacht. Der Fußball in Russland ist nicht schlecht, aber kommt an die Bundesliga nicht ran.

Wie begeisterungsfähig sind die russischen Fans?

Rausch: Fußball hat eine große Bedeutung, ist neben Eishockey der große Volkssport. Aber allein in Moskau sind die Wege so beschwerlich, dass viele Fans nicht ins Stadion gehen, weil sie die Anfahrt schreckt.

Ist etwas von WM-Euphorie zu spüren?

Rausch: Schon, auf jeden Fall. Die Leute können es kaum erwarten, dass es anfängt. Überall wird über die WM und die Nationalmannschaft gesprochen. Natürlich ist die Erwartungshaltung hoch und die Öffentlichkeit will Ergebnisse sehen. Das gehört auch zu der russischen Mentalität. Man erwartet immer Bestleistungen, deshalb ist man derzeit auch nicht ganz so zufrieden, weil die Ergebnisse nicht so positiv waren. Aber wir hoffen natürlich, dass das Team so spielt, dass wir Begeisterung entfachen können. Aber auch unabhängig davon glaube ich, dass es ein großes Fest wird.

Was wird denn erwartet?

Rausch: Wenn es um unsere Gruppe geht, dann heißt es, dass wir da praktisch durch sind. Aber das wird dennoch schwer. Gerade Ägypten und Uruguay sind zwei gute Mannschaften. Das wird kein Spaziergang. Wenn wir ins Achtelfinale kommen, dann ist alles möglich. Die Isländer haben gezeigt bei der EURO, was man erreichen kann, wenn der Spirit stimmt.

Keines der letzten sieben Testspiele wurde gewonnen. Ist das nicht alarmierend?

Rausch: Das sollte man nicht überbewerten. Klar, die Spiele waren nicht so gut. Aber zum Turnierstart ist das alles egal. Es kommt darauf an, gut gegen die Saudis ins Turnier zu starten, Selbstvertrauen zu tanken, und dann kann es eine ganz eigene Entwicklung im Laufe des Turniers geben.

Was sind die Stärken des Teams?

Rausch: Wir kommen über die Einheit. Wir haben nicht die großen Individualisten. Wir sind nicht Brasilien oder Deutschland, die individuell extrem gut besetzt sind. Wir kommen über die Kompaktheit, die Teamleistung. Wir können schnell umschalten, nachdem wir den Ball erobert haben.

Smolov laut Rausch ein "begnadeter Kicker"

Auf welche Spieler muss man achten?

Rausch: Zum einen haben wir Fedor Smolov vorne, das ist unser Starstürmer. Er ist ein begnadeter Kicker, spielt aktuell für Krasnodar. Und dann haben wir die jungen Miranchuk-Zwillinge von Lok Moskau, beide in der Offensive unterwegs. Auch die werden Eindruck hinterlassen, da bin ich sicher. Und natürlich gibt es noch Yuri Zhirkov von Zenit, der sehr erfahren ist, bei der EURO 2008 ja schon spektakulär aufspielte.

Wie kam es eigentlich, dass Sie Köln im Winter verließen?

Rausch: Jonas Hector kam nach einer Verletzung zurück. Er hatte unter Peter Stöger zuvor immer auf der Sechs gespielt und ich hinten links. Mir wurde dann klargemacht, dass Jonas wieder hinten links spielen wird. Es war damit klar, dass ich noch kaum auf Spielzeiten kommen würde und ich habe mich umgeschaut, um meine WM-Chancen zu wahren. Es war nicht leicht, den Schritt zu machen, doch es ist bislang der richtige Schritt gewesen.

Ich bin stolz darauf, dass ich trotz der Anfeindungen immer wieder rausgegangen bin, um Ecken oder Freistöße zu schießen.

Es gab in Köln aber auch Anfeindungen der Fans, die Ihnen zusetzten.

Rausch: Ich bin keine Memme. Ich kann mit Kritik umgehen, aber ich kann gut einschätzen, wie ich spiele. In Köln hatten mich die Zuschauer irgendwann auf dem Kieker, weil Ecken oder Freistöße nicht so kamen, wie ich das wollte. Alles andere war dann nicht mehr so wichtig. Ich habe aber zur Mannschaft immer gesagt, es ist gut, dass alle auf mir herumhacken, dann ist die Mannschaft ein bisschen raus. Ich hatte damit kein Problem. Ich habe immer das Beste gegeben, mehr interessierte mich nicht. Ich bin stolz darauf, dass ich trotz der Anfeindungen immer wieder rausgegangen bin, um Ecken oder Freistöße zu schießen.

Wie haben Sie den Abstieg des FC erlebt?

Rausch: Ich habe sehr mitgefiebert. Wir waren eine geile Truppe mit richtig guten Jungs. Ich habe viele Freunde dort gefunden. Das Mainz-Spiel, was man zu Hause nicht gewinnen konnte, das war so der Knackpunkt. Danach fehlte die Überzeugung. Doch der Abstieg war gar nicht mehr so schlimm, weil sich die Jungs und die Fans schon auf nächste Saison eingeschworen haben. Das schafft nicht jeder Verein so. Das war echt klasse. Das passt zu Köln.

Wo verfolgen Sie das Auftaktspiel gegen Saudi-Arabien?

Rausch: Ich werde nicht in Moskau sein, bin im Urlaub und schaue mir das Spiel am TV an.

Welche Spezialität empfehlen Sie den deutschen Touristen?

Rausch: Ich kenne ja so gut wie alles durch meine Mutter, die immer schon russisch gekocht hat. Aber bei Pelmeni kann ich nie nein sagen, das ist eine Art Ravioli mit Fleischfüllung.

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