WM

Kovac: "Das braucht dieses Team nicht"

Kroaten hadern mit dem Elfmeterpfiff

Kovac: "Das braucht dieses Team nicht"

Der Griff zur Schulter, der zum Elfmeter führte: Lovren "foult" Fred.

Der Griff zur Schulter, der zum Elfmeter führte: Lovren "foult" Fred. imago

Der Gastgeber profifierte von dem Geschenk eines "Witz-Elfmeters" durch Schiedsrichter Yuichi Nishimura, der mit dieser Fehlentscheidung wesentlich dazu beitrug, dass der Topfavorit keinen Fehlstart in das Turnier verbuchte.

"Alle im Stadion und Billionen am Fernseher haben gesehen, dass dies kein Strafstoß war", wetterte Niko Kovac über den falschen Pfiff des Unparteiischen aus Japan. Die WM war nicht mal eine Stunde alt und hatte somit schon ihren ersten Skandal. Die Kroaten, die um den Lohn ihrer mehr als ansehnlichen Vorstellung vor allem in der ersten Hälfte gebracht worden waren, konnten sich kaum beruhigen über die Szene: Brasiliens Torjäger Fred nutzte einen leichten Körperkontakt von Dejan Lovren, ließ sich theatralisch fallen und mogelte sich so zu einem spielentscheidenden Vorteil. Der Spielleiter aus Asien fiel auf diesen Bauerntrick herein und zeigte zum Entsetzen der aufgebrachten und wüst protestierenden Kovac-Schützlinge auf den Punkt.

Es sei eine Schande, meinte hinterher Ivica Olic. "Nun reden wir alle über den Schiedsrichter", redete sich der Wolfsburger in Rage. "Unglaublich, dass man so viele Fehler machen kann. In allen wichtigen Momenten hat er die falschen Entscheidungen getroffen."

Die sich betrogen fühlenden Südosteuropäer, bei denen der Ex-Schalker Ivan Rakitic sowie Olic und sein Wolfsburger Kumpel Ivan Perisic herausragten, waren insgesamt mit der Leistung des 23. Mannes nicht einverstanden. Olic reklamierte, dass dieser ein Foul von Dani Alves bei seinem Solo in Richtung Torwart Julio Cesar übersehen habe. Auch bei seinem Kopfball-Duell mit dem Keeper vor dem nicht gegebenen Jelavic-Treffer in der Schlussphase sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Schließlich noch dieser Aufreger mit dem Machtwinner Neymar, der seinen Widerpart Luka Modric mit dem Arm malträtierte, was mit einer Verwarnung geahndet worden ist und laut Olic auch Rot hätte sein können.

Unglaublich, dass man so viele Fehler machen kann.

Ivica Olic

Das Wort Heimschiedsrichter nahm Trainer Kovac nicht in den Mund, doch er machte deutlich Herrn Nishimura als Schuldigen aus. Dieser habe heute wohl ein "falsches Rendezvous" gehabt, meinte der ehemalige Bundesliga-Profi, der nicht den brasilianischen Schmierenkomödianten Fred auf die Strafbank setzte, sondern den Mann in Schwarz. "Ich mache dem Schiedsrichter den Vorwurf. Er ist auf das Spielchen hereingefallen." Dass sie am Ende ohne Punkte dastehen würden, liege einzig und allein an ihm. Kovac' süffisanter Beitrag zum Thema der Bevorzugung der Heimmannschaft Brasil: "Ich habe viel gehört und gelesen, dass es diesen Wind von hinten geben könnte. Dies hat diese Mannschaft gar nicht nötig. Das braucht Brasilien nicht."

Am ersten WM-Abend in der mit 62.103 Zuschauern ausverkauften Arena in Sao Paulo benötigte die nicht restlos überzeugende und schwer in Gang kommende Selecao schon diese Mithilfe. Nach Marcelos Eigentor drohte ein Debakel, bis die große Stunde Neymars schlug. Erst nicht so präsent auf dem Platz, drehte der Spieler mit der legendären Nummer 10 das Spiel. Sein Distanzschuss an den Innenpfosten sorgte für den Ausgleich. Beim Elfmeter, den er mit einem unorthodoxen Anlauf zelebrierte, half das Glück mit, denn Stipe Pletikosa war noch mit den Fingerspitzen dran und hätte ihn beinahe pariert. Zwei Tore bei seinem WM-Debüt, die ihn zum Spieler des Spiels avancieren ließen, lösten beim 22-Jährigen ein Glücksgefühl aus, das er so beschrieb: "Es lief besser, als ich gedacht habe."

Aus Sao Paulo berichtet Hans-Günter Klemm (li., mit Kroatiens Trainer Niko Kovac).

Aus Sao Paulo berichtet Hans-Günter Klemm (li., mit Kroatiens Trainer Niko Kovac). kicker

Die Fans feierten den Matchwinner und die gesamte Elf, für die der überragende Oscar den Schlusspunkt zum 3:1 setzte. Böllerschüsse und ein beispielloses Feuerwerk am Abendhimmel über Itaquera bildeten die Szenerie für den Jubeltaumel, der eine ganze Nation erfasste.

Die ganze Welt habe heute zwei starke Mannschaften gesehen und bestaunen können, zu was die Selecao fähig sei, triumphierte Luiz Gustavo, nach den Geschehnissen naturgemäß anders aufgelegt als sein Vereinskollege Olic: "Ich bin glücklich und zufrieden, doch jetzt müssen wir unseren Weg weitergehen."

Zum Pfiff des Tages wollte der Mittelfeld-Malocher im Team von Luiz Felipe Scolari nichts weiter sagen. Sein verschmitztes Lächeln gab eine Wertung ab, als Luiz Gustavo eine Floskel bemühte: "Der Schiedsrichter hat eben gepfiffen." Dies sagen Profis immer dann, wenn sie ein schlechtes Gewissen haben.

Hans-Günter Klemm