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Gianluigi Buffon - Der letzte Fußballromantiker?

Juventus Turin: "Grande Gigi" feiert runden Geburtstag

Gianluigi Buffon - Der letzte Fußballromantiker?

Ein Mann für die Ewigkeit: Gianluigi Buffon.

Ein Mann für die Ewigkeit: Gianluigi Buffon. Getty Images

Der Fußball verändert sich seit geraumer Zeit immer mehr - was den weltweit immer noch zahlreich vertretenen romantischen Seelen naturgemäß sauer aufstößt: Profis werden in einer immer hektischer gewordenen Zeit im Eiltempo zu Superstars ausgerufen sowie für astronomische Ablösesummen und Beratergehälter hin- wie herverpflichtet. Zwischendurch wird, falls ein angestrebter Wechsel wegen eines erst kürzlich langjährig verlängerten Vertrags vom derzeitigen Arbeitgeber blockiert wird, noch etwas gestreikt - oder die Sitzung mit der Mannschaft verpasst.

Und wenn ein E.C. in Paris einen Elfmeter nicht schießen darf, weil ein N. unbedingt einen Viererpack bei einem 8:0 gegen Dijon schießen will und dieser nun verständlicherweise Pfiffe kassiert - dann wird munter spekuliert, dass er unglücklich sei und vielleicht bald zu Real Madrid wechseln könne. Dann für 300 Millionen. Oder waren es 400? Gar 500?

Spielersteckbrief Buffon
Buffon

Buffon Gianluigi

Juventus Turin - Vereinsdaten
Juventus Turin

Gründungsdatum

01.11.1897

Vereinsfarben

Weiß-Schwarz

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Italien - Vereinsdaten
Italien

Gründungsdatum

01.01.1898

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Parma Calcio - Vereinsdaten
Parma Calcio

Gründungsdatum

27.07.1913

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Derweil verkünden vereinstreue Altstars wie Francesco Totti oder Philipp Lahm, echte Feingeister wie Andrea Pirlo oder Ronaldinho, stille Genießer wie Xabi Alonso oder Xavi ihre tränenreichen, leisen Abschiede von der ganz großen Fußballbühne. Einer Bühne, die sie alle wie Schauspieler ausgefüllt haben: An ihnen konnte sich der Zuschauer, der Fan, der Liebhaber nicht satt sehen; in ihnen konnte sich jeder verlieren; und über sie konnte man fast nur positiv reden.

Buffon: "Es klingt alles falsch"

Gianluigi Buffon

Kurz nach seinem Wechsel von Parma nach Turin: Torwart-Ikone Gianluigi Buffon. imago

An der Schwelle zwischen diesen beiden Ebenen steht Gianluigi Buffon, der an diesem Sonntag seinen 40. Geburtstag feiert - und immer noch aktiv ist. Die am 28. Januar 1978 in Carrara in der Toskana zur Welt gekommene Torwart-Ikone, die über die Station AC Parma bei seiner großen Liebe Juventus Turin gelandet ist und die italienische Nationalhymne inbrünstig schmettert wie kein Zweiter, hat in ihrer 23-jährigen Profikarriere all das in den letzten drei Jahrzehnten mitgemacht. Der italienische Methusalem, der inzwischen mit Mitspielern auf dem Feld steht, die seine Kinder sein könnten, hat den Umschwung im Fußball hautnah miterlebt.

Selbst einst im Jahre 2001 für die Rekordsumme von 54,1 Millionen Euro von Parma nach Turin gewechselt, sagte der weltweit beliebte wie gefeierte "Grande Gigi" im Sommer 2017 der "Gazzetta dello Sport": "Einige Summen sind inzwischen völlig willkürlich. Es klingt alles falsch. Ich kann die Parameter für die Bewertung eines Spielers nicht mehr verstehen. Es ist alles sehr willkürlich."

Buffon, der auch Parma übrigens lange Zeit treu geblieben war, Angebote abgelehnt und 1999 den UEFA-Cup gewonnen hatte, schob damals eine Metapher hinterher: "Warum ist Neymar 220 Millionen Euro und nicht 600 Millionen Euro wert? Mein Großvater sagte immer: 'Aufpusten und aufpusten, aber der Ballon wird trotzdem immer platzen'."

Buffon: Treu auch in der dunkelsten Stunde

Das große Platzen der Blase wird "Super-Gigi" sicher nicht mehr als Aktiver erleben, wenngleich sein am 30. Juni 2018 auslaufender Vertrag noch nicht das letzte gesprochene Wort sein könnte. Juve-Vizepräsident Pavel Nedved sagte erst kürzlich, dass die Tür für eine weitere Saison mit Buffon offen stehe: "Er selbst entscheidet das gemeinsam mit Präsident Agnelli. Gigis Leistungen sind immer großartig und wir sind froh, ihn hier bei uns zu haben. Er hat außerdem noch nicht verkündet, dass er am Ende der Saison aufhört."

Gianluigi Buffon

Nach Verletzung zurück im Tor von Juventus Turin: Gianluigi Buffon. Getty Images

Allein dieses Zitat von einer ebenfalls weltweit geschätzten Fußballikone wie Nedved zeigt schon, was für einen Stellenwert der fünfmalige Welttorhüter (2003, 2004, 2006, 2007, 2017) bei Juve hat. So ein Spieler, der mit der Alten Dame auf sportlichem Wege acht Meisterschaften (zwei wurden später wegen des Manipulationsskandals 2005/2006 aberkannt) sowie drei Pokalsiege erreicht hat und längst zur lebenden Legende aufgestiegen ist, findet sich nicht alle Tage. Vielleicht heutzutage gar nicht mehr.

Denn ausschließlich sportliche Fakten werden dem 40-jährigen Dauerbrenner nicht gerecht. Allein eine Geschichte spricht Bände. Als Weltmeister von der WM in Deutschland 2006 zurückgekehrt, blieb Buffon seiner Liebe Juventus auch in der dunkelsten Stunde treu: Denn trotz des Zwangsabstieges der Bianconeri in die Serie B zur Saison 2006/07 verließ der Torwart - anders als viele Mitspieler - den Klub nicht. Stattdessen stürmte Buffon, der selbst im Mai 2006 unter Verdacht geraten war, illegal auf Spiele der Serie A gewettet zu haben und schließlich freigesprochen wurde, mit der damals von Didier Deschamps trainierten Mannschaft zurück ins Oberhaus. Obendrein verlängerte er am 7. Juni 2007 seinen Vertrag langfristig und beendete sämtliche Wechselgerüchte um seine Person.

Über die damaligen Wettbeschuldigungen sagte Buffon, der zwischenzeitlich eingeräumt hatte, im gesetzmäßig erlaubten Rahmen tatsächlich gewettet zu haben, übrigens einst: "Ich war über diese Wetten nicht stolz. Dieser Skandal hat mich schwer belastet. Meine Loyalität und meine Sportlichkeit sind stark angegriffen worden. Ich habe den Staatsanwälten klargemacht, dass ich nichts mit illegalen Wetten zu tun hatte. Ich habe bis zu 3000 Euro in diese Wetten investiert und nichts zurückgewonnen."

Maldini-Rekord 2017/18 nicht mehr erreichbar

Ein Sportsmann sondergleich ist Buffon aber trotz Manipulationsunterstellungen in jedem Fall - auf und abseits des Feldes. So klatschte der Schlussmann zum Beispiel Mitte November beim Play-off-Rückspiel der WM-Qualifikation gegen Schweden lautstark, als Tifosi bei der Nationalhymne der Skandinavier gepfiffen hatten - und bat damit um mehr Respekt.

Gianluigi Buffon

Tränen in den Augen, die letztmögliche WM verpasst: Gianluigi Buffon. Getty Images

Nur einer von vielen Auszügen, wie fair der Torwart ist - zumal an diesem Abend seine Karriere in der italienischen Nationalmannschaft, mit der er sich 2006 zum Weltmeister gekrönt hatte, am seidenen Faden hing. Der Faden sollte später reißen - und damit ein bitteres Jahresende für Buffon einläuten: Erst verhinderte das Play-off-Aus gegen Schweden seine sechste und damit die Rekordteilnahme bei einer WM. Damit war nach 174 Länderspielen - Rekord - auch obendrein die Karriere im Dress der Squadra Azzurra beendet, was mit Tränen von "Grande Gigi" besiegelt wurde. Zudem zwickte in den letzten Wochen auch der verflixte Oberschenkel - eine Blessur, die eine nicht uninteressante Bestmarke verhindert.

Denn aktuell steht Buffon bei 629 Serie-A-Spielen, was Platz zwei in der ewigen Rangliste hinter Milan-Ikone Paolo Maldini (647) bedeutet. Die Crux nun: Mit den restlichen 16 Ligaspielen, die der Torhüter noch in dieser Saison zur Verfügung hat, kann Buffon nur auf 645 kommen.

Buffon: "Was reißt dich mehr mit als Fußball?"

Und Buffon fehlt in seinem x-ten Karrierefrühling immer noch ein Titel - und zwar der Gewinn der Champions League. Trotz dreier Finalteilnahmen (2003, 2015, 2017) hat er den Henkelpott bislang nie gewonnen. Sein sympathischer Kommentar dazu in einem ausführlichen Interview mit dem kicker im Jahr 2017: "Oft frage ich mich, was mich antreibt, weiterzuspielen. Hätte ich mit Juventus die Champions League gewonnen, hätte ich keine Motivation mehr. Die Tatsache, dass ich den Champions-League-Titel noch gewinnen muss, spornt mich an. Ohne Frage, der Gewinn der Königsklasse fehlt mir noch im Lebenslauf - und jünger werde ich nicht. Ich habe aber keine Besessenheit, den Henkelpott hochhalten zu müssen. Ich habe ihn lieb und zwinkere ihm zu."

Jedes Mal, wenn ich mich umgedreht und dich angesehen habe, habe ich versucht, erhobenen Hauptes deine enttäuschte Miene auszuhalten - und fühlte mich doch meiner Schuld bewusst.

Gianluigi Buffon zu seinem gehüteten wie geliebten Tor

Vielleicht klappt es mit seinem Traum in diesem Jahr, schließlich hat Juventus Turin wieder die Chance, bis ins CL-Finale zu stürmen. Mit Buffon, der sagt: "Seit fünf Jahren frage ich mich rund alle zwei Wochen: Warum tue ich mir das alles noch an? Und genau dieser innere Kampf bringt mich immer noch voll motiviert auf den Platz." Und lässt das Feuer im Inneren des Kult-Keepers, der vor und nach Spielen auch nach Niederlagen mit Umarmungen für Gegenspieler glänzt, weiter lodern: "Nur weil ich fast das Ende meiner Karriere erreicht habe, heißt das nicht, dass ich aufhören kann, mich weiterzuentwickeln." Emotionen seien "der Motor des Lebens. Und was reißt dich mehr mit als Fußball? Eventuell Drogen, aber die habe ich nie genommen."

Gianluigi Buffon

Der Juve-Capitano - und die wohl ewige Nummer 1 in Turin: Grande Gianluigi Buffon. Getty Images

Romantische Worte eines Fußballromantikers, der mit seinem Gehäuse liiert ist - und einst über das Gebälk nach dem Ende von 973 Minuten ohne Gegentor geschrieben hatte: "Jedes Mal, wenn ich mich umgedreht und dich angesehen habe, habe ich versucht, erhobenen Hauptes deine enttäuschte Miene auszuhalten - und fühlte mich doch meiner Schuld bewusst."

mag

"Grande Gigi" Buffon: Turins Tausendsassa