Nationalelf

Der Fall Reus: Persönlich tragisch, für Löw verkraftbar

Kommentar von kicker-Redakteur Thiemo Müller

Der Fall Reus: Persönlich tragisch, für Löw verkraftbar

Schambeinprobleme sorgen für sein Aus: Marco Reus.

Schambeinprobleme sorgen für sein Aus: Marco Reus. imago

Vor wenigen Tagen hatte Joachim Löw in Bezug auf Marco Reus' Trainingspause noch von einer reinen "Vorsichtsmaßnahme" und "Adduktorenproblemen" gesprochen. Nun, nach der verletzungsbedingten Streichung des Dortmunders aus dem endgültigen EM-Aufgebot, war es Mitspieler Sami Khedira, der die konkreteste Diagnose verlautbarte: Bereits "länger anhaltende Probleme am Schambein" kosten Reus erneut die Teilnahme an einem großen Turnier. Unmittelbar vor der WM 2014 hatte der Flügelflitzer im Testspiel gegen Armenien einen Syndesmoseriss erlitten.

Dass der fußballerisch so hoch veranlagte und körperlich so mitgenommene Reus diesmal ausgerechnet an seinem 27. Geburtstag traurige Gewissheit erhielt, treibt die persönliche Tragik auf die Spitze. Für die deutsche Nationalmannschaft ist der Verlust ebenfalls immens - wenn man von einem Reus in Bestform ausgeht. Von dieser zeigte sich der Offensivkönner in den vergangenen beiden Jahren zumindest im DFB-Dress allerdings regelmäßig weit entfernt.

Löw hat genug Optionen

Ein ganz großer Hoffnungsträger wie noch 2014 bis zu seinem Ausfall war der Dortmunder nun nüchtern betrachtet ohnehin nicht. Und: Etatmäßige Alternativen auf dem linken Flügel gibt es reichlich für Löw in Person von Julian Draxler, André Schürrle und Lukas Podolski sowie dem dort ebenfalls tauglichen Mario Götze. Da konnte es sich der Bundestrainer sogar locker leisten, in Julian Brandt eine weitere Option für diese Position zu streichen.

Die Verabschiedung des jungen Leverkuseners war angesichts des genannten Überangebots absehbar. Dass auch Brandts Klubkollege Karim Bellarabi gehen muss, entspricht ebenfalls den Erwartungen, nicht allein wegen der kürzlich erlittenen Zerrung. Bellarabis Stellenwert bei Löw war schon seit geraumer Zeit im Sinken begriffen, was sich an seinen Spielanteilen zweifelsfrei ablesen ließ. Der ebenfalls pfeilschnelle Schalker Leroy Sané bringt als Alternative auf dem rechten Flügel vor allem in puncto Spielverständnis mehr mit und erhält daher nachvollziehbar den Vorzug.

Rudys Aus überrascht

Am überraschendsten kommt, abgesehen vom Fall Reus, letztlich das Aus für Sebastian Rudy. Denn: Der Hoffenheimer besaß nach Dafürhalten etlicher Beobachter so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal als Rechtsverteidiger mit ausgesprochenen Offensivqualitäten. Für das taktische Modell mit Dreier-Abwehr und nach vorne ausgerichteten Außenbahnspielern, wie jüngst beim 1:3 gegen die Slowakei praktiziert, schien er daher erste Wahl.

Rudys Streichung könnte nun auch darauf hindeuten, dass Löw sich nach den Eindrücken des vergangenen Sonntags von diesem System mit Blick auf die EM verabschiedet hat. Dann wäre auch diese Personalie logisch angesichts der Tatsache, dass Benedikt Höwedes, Emre Can, Joshua Kimmich oder auch Shkodran Mustafi für größere Defensivstärke bzw. Robustheit stehen. Durch den Verzicht auf Rudy auch noch Platz für Julian Weigl zu gewinnen, kommt mindestens als erfreulicher Nebeneffekt hinzu. Hätte der Dortmunder, wie von vielen erwartet, abreisen müssen, wäre das unter Leistungsaspekten der womöglich größte Härtefall gewesen.

kicker-Redakteur Thiemo Müller

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