Riedle zu heißen ist nicht immer einfach für ihn. "Die Öffentlichkeit", sagte Riedle, "erwartet automatisch viel mehr von mir. Dabei bin ich doch nur ein Fußballer wie viele andere." Sein Vater Karl-Heinz "Kalle" Riedle, der Weltmeister und Champions-League-Sieger, war zu aktiven Zeiten hingegen eine Lichtgestalt. "Er hat so viel erreicht, dass es für mich eigentlich unmöglich ist, an seine Erfolge anzuknüpfen", meint Riedle Junior. "Trotzdem werde ich häufig mit ihm verglichen. Das ist eher belastend für mich."
Nur ganz selten gelingt es Söhnen herausragender Fußballer, in die großen Fußstapfen ihrer Väter zu treten. Oft liegt das im fehlenden Spitzentalent begründet, manchmal aber auch an der Erwartungshaltung, die wegen des glanzvollen Nachnamens auf dem Trikot noch einmal größer ist. Bei Alessandro Riedle, der vom Boulevard den Spitznamen "Klein Kalle" verpasst bekam, spielt das Verletzungspech sicherlich auch eine Rolle. Trotzdem hofft der 23-Jährige weiter auf den dauerhaften Sprung ins Profigeschäft.
Dieser soll nun mit Viktoria Köln gelingen, bei dem der Mittelstürmer seit wenigen Wochen unter Vertrag steht. Der von Mäzen Franz-Josef Wernze gesponserte Tabellenführer der Regionalliga West setzt sich den Profifußball zum Ziel. "Es wäre super, wenn wir in die 3. Liga aufsteigen würden", betonte Riedle, der bei diesem Vorhaben bislang allerdings noch nicht durch Einsätze mithelfen konnte. Nach wenigen Trainingseinheiten verletzte sich der 23-Jährige. "Ich habe mich gut gefühlt, war in guter Form. Ein bitterer Rückschlag für mich", so Riedle mit bedrückter Stimme. Seitdem schuftet er im Kraftraum für sein Comeback. Schon bald will er wieder auf dem Rasen stehen.
Ich habe mich gut gefühlt, war in guter Form.
Alessandro Riedle über die Verletztung
Den Kopf in den Sand zu stecken, das ist nicht die Art des gebürtigen Allgäuers. Schließlich hat er gerade erst damit begonnen, sich in Köln wohlzufühlen. Nach Jahren des Umzugs will Riedle am Rhein endlich sesshaft werden. "Ich bin in den vergangenen Jahren viel herumgekommen. Nun aber habe ich eine Frau und einen Sohn. Deshalb habe ich nach einer sicheren Stadt gesucht, in der ich mir etwas aufbauen kann", erzählte Riedle. Um auch für die Zeit nach dem Fußball gewappnet zu sein, will er bald den Studiengang International Business in Köln aufnehmen: "Ein zweites Standbein ist mir wichtig."
Trotz seiner erst 23 Jahre blickt Riedle bereits auf eine bewegte Vita zurück. Als sein Vater 1997 von Borussia Dortmund zum FC Liverpool wechselte, ging Riedle junior mit auf die Insel. Dort wurde er in den Jugendabteilungen der "Reds" und des FC Fulham auf höchstem Niveau ausgebildet. "Es war einfach nur klasse", schwärmte der Angreifer, dessen Herz heute noch für Liverpool schlägt. "An der Anfield Road herrscht eine Hammer-Atmosphäre. Ich war noch nie in einem besseren Stadion." Nachdem Karl-Heinz Riedle seine Karriere 2001 beendet hatte, zog die Familie in die Schweiz. Der Junior schloss sich dort dem Nachwuchs der Grasshoppers Zürich an – und fand sich plötzlich im Kader der ersten Mannschaft wieder. Hanspeter Latour, der später auch den 1. FC Köln trainierte, war von den Qualitäten des Nachwuchsstürmers überzeugt. Mit drei Treffern in zehn Spielen weckte der 17-Jährige das Interesse anderer Klubs.
Alessandro Riedle (li.) will nicht am Erfolg seines berühmten Vaters Karl-Heinz "Kalle" Riedle gemessen werden. imago
2009 entschied er sich für einen Wechsel zum VfB Stuttgart, wo er über die zweite Mannschaft an die Profis herangeführt werden sollte. "Es war aufregend, nach Deutschland zu wechseln, um hier den Durchbruch zu schaffen", sagte Riedle. Doch als er sich an der Leiste operieren lassen und sein Fürsprecher Markus Babbel gehen musste, wurde es immer schwieriger für ihn. Babbels Nachfolger Christian Gross setzte auf andere Spieler. Riedle kehrte zu den Grasshoppers zurück, hatte aber mit fehlender Spielpraxis zu kämpfen und ließ sich an den Schweizer Zweitligisten AC Bellinzona verleihen. "Dort lief es super für mich – doch nach zwei Jahren ist der Verein in Konkurs gegangen."
Erneut musste er sich einen neuen Klub suchen. Als der türkische Erstligist Akhisar Belediyespor ein Trainingslager in Deutschland abhielt, machte Riedle mit, überzeugte – und erhielt einen Zweijahresvertrag. "Dort zu leben war eine riesige Umstellung", gibt der Familienvater zu. Trotzdem wäre er gerne länger geblieben, doch nach einem Jahr war vorzeitig Schluss.
Nun ist er zurück in Deutschland. Und träumt weiter den Traum, dauerhaft den Sprung in den Profifußball zu schaffen. Die Vergleiche mit seinem Vater würde er dafür sicherlich auch gerne in Kauf nehmen.
Tobias Carspecken