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Thiago Silva fehlen die Worte

Brasilien: Großer Respekt vor Chile

Thiago Silva fehlen die Worte

"Ich kann jetzt nicht weiterreden": Thiago Silvas Auftritt lässt erahnen wie schwer der Druck lastet.

"Ich kann jetzt nicht weiterreden": Thiago Silvas Auftritt lässt erahnen wie schwer der Druck lastet. picture alliance

Aus Belo Horizonte berichtet Jörg Wolfrum

Sie waren zuvor über den Platz gegangen, dann hatten sie sich der Presse gestellt. Und als alles vorbei war, da zogen sie gemeinsam wieder ab. Es sah in den Katakomben des Stadions Mineirao in Belo Horizonte fast so aus, als ob da Vater und Sohn des Wegs gingen, so zurückhaltend, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, zeigte sich Thiago Silva an der Seite von Luiz Felipe Scolari. Doch da war kein Familiendoppel unterwegs, sondern Nationaltrainer und Kapitän der Seleção, und Letzterer hatte sich Momente zuvor gerade noch beherrschen können.

Spielersteckbrief Thiago Silva
Thiago Silva

da Silva Thiago Emiliano

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Scolari

Scolari Luiz Felipe

Brasilien - Vereinsdaten
Brasilien

Gründungsdatum

01.01.1914

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01.01.1895

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Gerettet hatte den Abwehrchef des Gastgebers und Top-Favoriten auf den WM-Titel einen Tag vor dem Achtelfinale gegen Chile das Ende der Fragerunde. "Ich kann jetzt nicht weiterreden", so sehr nehme ihn das alles mit, hatte Thiago Silva erklärt. Es war um den Druck gegangen, in der Heimat die Hexa, den sechsten Titel einfahren zu, ja: zu müssen. Zumindest in der Vorstellung der meisten Brasilianer.

"Druck ist normal für uns"? Silva hinterlässt diesen Eindruck nicht

"Seit Monaten denke ich an nichts anderes, schon als die Saison mit PSG noch lief", erklärte der 29-Jährige. "Die WM in der Heimat" sei ihm seit Jahresbeginn "jede Sekunde" präsent gewesen. Ihm, dem Spielführer und WM-Teilnehmer von 2010. Aber Südafrika, das sei nun mal kein Vergleich. "Hier im Eröffnungsspiel gegen Kroatien, hatte ich gedacht, das Fußballspielen verlernt zu haben, so nervös war ich."

Doch Trainer Scolari habe ihn und die Mannschaft beruhigt. Vor gut zwei Wochen, und erst wieder vor ein paar Tagen im Gruppenfinale gegen Kamerun: "Seid nicht nervös, ihr habt eure Familien, die euch unterstützen", habe Scolari gesagt. Und als er "Familie" sagte, war es um Thiago geschehen an diesem Freitag in Belo Horizonte, obwohl sein Trainer Minuten zuvor noch gesagt hatte: "Druck ist normal für uns." Thiago Silva aber sprach dann einfach nicht mehr weiter. Emotionen beim Kapitän.

Von "leidenschaftlichen Fans" hatte der Verteidiger zuvor berichtet, die man nicht enttäuschen wolle, aber dies manchmal eben doch müsse, und sei es nur bei Autogrammwünschen. Da passt es eigentlich gar nicht – oder vielleicht erst recht, dass das Achtelfinale ausgerechnet in Belo Horizonte stattfindet. Die Seleção kann sich das zurechtlegen, je nach Beschaffenheit des Nervenkostüms.

Luiz Felipe Scolari und Neymar

"Konzentriert, interessiert, taktisch und technisch versiert": Luiz Felipe Scolari lobt Neymar. Getty Images

Die Seleção und das gespaltene Verhältnis zu "BH"

Denn "BH", wie es in Brasilien nur heißt, ist für die Nationalmannschaft keine Hochburg, meint der Lokaljournalist Mamede Filho: "Zu selten hat sich die Seleção hier blicken lassen in den letzten 20 Jahren. Sollte die Mannschaft zurückliegen, dann sind eher Pfiffe denn Anfeuerung zu erwarten." Das Verhältnis sei in den 90ern zerbrochen, als die Seleção trotz eines 4:0 in der WM-Qualifikation gegen Venezuela ausgepfiffen worden sei wegen schlechter Leistung. "Damals war Venezuela ja das Liechtenstein Südamerikas", so Filho. Und Mario Zagallo, damals Sportdirektor, habe danach erklärt, nach "BH" komme man nicht mehr.

An diesem Samstag müssen sie in "BH" ran, ob sie wollen oder nicht. Und auf dass sie nicht die Hosen runter lassen müssen, gibt es ja Argumente, allen voran Neymar, mit vier Toren gleichauf mit Thomas Müller und Lionel Messi an der Spitze der Torjägerliste: "Er kann der Nachfolger von Lionel Messi werden", sagten Trainer und Kapitän im Gleichklang mit Blick auf die Karriere des brasilianischen Superstars. Ein "guter Junge", sei der 22-Jährige, "konzentriert, interessiert, taktisch und technisch versiert", aber: "Ob er besser als Messi wird, das sieht man erst in ein paar Jahren." Momentan, so Scolari, "will Neymar nicht der beste Spieler der Welt werden, sondern Weltmeister".

Doch das wollen andere auch, Chile etwa, die sagen das sogar ganz deutlich. Und auch Thiago und Scolari sagen, dass das die Chilenen sagen: "Auch der Gegner hat Träume, will gewinnen." Es sei daher keinesfalls respektlos, wenn der morgige Gegner nach dem Ausscheiden gegen Brasilien 1962 im Halbfinale und 1998 sowie 2010 im Achtelfinale nun ganz frech den "historischen Erfolg" anstrebt: "Wer soll an Chile glauben, wenn nicht die chilenischen Spieler?" Und: "Chile hat bislang ein gutes Turnier gespielt", so der Seleção-Trainer, der die Tücken eines Turniers kennt, mit Brasilien schon 2002 Weltmeister wurde, mit Portugal 2006 indes im Halbfinale ausschied.

Bei einer WM gebe es so viele "Einflüsse, da hilft auch die Erfahrung manchmal nicht", warnte Scolari noch. Zumal sich Chile seit 2010 "verbessert" habe. Thiago meinte gar: "Sie waren bei dieser WM eines der besten Teams bislang. Wir müssen Vorsicht walten lassen, sonst erleben wir eine Überraschung." Zumal der Gastgeber erst bei "80 Prozent unserer Form vom Sieg beim Confed-Cup" angekommen ist, wie Trainer Scolari zugab. Am Samstag ab 18 Uhr MESZ wäre ein guter Moment, die 100 voll zu machen. Zumindest aus Sicht der Brasilianer.