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Joachim Löws WM-Analyse: "Mein allergrößter Fehler - fast schon arrogant"

Die große WM-Analyse des Bundestrainers

Löw: "Mein allergrößter Fehler - fast schon arrogant"

Rekordverdächtige Pressekonferenz: Joachim Löw am Mittwoch in München.

Rekordverdächtige Pressekonferenz: Joachim Löw am Mittwoch in München. picture alliance

Auf den Powerpoint-Folien, die Joachim Löw am Mittwoch nach München mitgebracht hatte, um nach zweimonatigem Schweigen das historische WM-Aus zu erklären, fehlten die Punkte "abgestelltes WLAN", "eingeflogener Friseur" oder "Kanaken vs. Kartoffeln". Ganz sachlich arbeitete der Bundestrainer vielmehr bei der rekordverdächtigen, weil fast zweistündigen Pressekonferenz im Bauch der Allianz-Arena auf, was er in Russland alles falsch gemacht hat.

Seine "allergrößte Fehleinschätzung", sein "allergrößter Fehler" sei genereller taktischer Natur gewesen: der Glaube, "dass wir mit unserem dominanten Ballbesitz zumindest durch die Vorrunde kommen". Dieser Ansatz, der sich auch durch den Weltmeister-Status seit 2014 entwickelt habe, sei "weiterhin wichtig", findet Löw und nennt die Beispiele Manchester City, Paris St. Germain und Barcelona - aber nur "auf Strecke", sprich in einer Liga: "In einem K.-o.-Wettbewerb ist eine Anpassung gefragt." So habe auch Real Madrid dreimal in Folge die Champions League gewonnen.

Ich war der festen Überzeugung, mit dieser Spielweise kommen wir durch die Vorrunde, und danach justieren wir ein bisschen.

Joachim Löw

Die "totale Dominanz" vor und während der WM 2018 stattdessen "auf die Spitze zu treiben", "das war fast schon arrogant", räumt er ein. "Ich war der festen Überzeugung, mit dieser Spielweise kommen wir durch die Vorrunde, und danach justieren wir ein bisschen." Dabei sei das Mexiko-Spiel ja im Grunde schon ein K.-o.-Spiel gewesen. "Ich hätte die Mannschaft auf eine sicherere Spielweise vorbereiten müssen." Das habe er "absolut unterschätzt".

Die Ausgewogenheit von 2014, die "goldene Mitte", wie Löw es nennt, sei so völlig verloren gegangen. "Es müssen alle Rahmenbedingungen stimmen, damit wir das hohe Risiko auch tolerieren können. Diese Rahmenbedingungen haben nicht gepasst." Künftig will er deshalb die Spielweise "adaptieren", "variabler und flexibler" agieren lassen, "nicht mehr das ganz große Risiko forcieren".

Enthusiasmus? Feuer? "Wir hatten eine kleine Flamme"

Sein zweites großes Versäumnis: Der Mannschaft habe in Russland der Enthusiasmus, das Feuer gefehlt, "wir hatten eine kleine Flamme". "Es wäre meine Aufgabe gewesen, das innerhalb der Mannschaft einzufordern über Ansprache, über Trainingseinheiten über die Emotionalität. Wir sind sehr strategisch an die Dinge rangegangen und haben andere Dinge vermissen lassen." Die viel diskutierte Cliquenbildung förderte die "tiefgehende, detaillierte Analyse" zwar nicht zutage, die Mannschaft sei "untereinander gut klargekommen". Und doch "hatten wir nicht diesen unglaublichen Teamgeist wie 2014. Diesmal war es von Anfang an keine verschworene Gemeinschaft."

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Die Folge aus beidem - der fehlenden Ausgewogenheit und dem fehlenden Feuer - zeigten Löws Powerpoint-Folien: 22 Prozent weniger Sprints nach vorne als noch während der WM-Qualifikation, anteilig 13 Prozent weniger Pässe nach vorne und etwa ein Viertel mehr benötigte Zeit von der Ballannahme bis zum Abspiel (1,51 statt 1,19 Sekunden) als bei der WM 2014 - und dazu eine miserable Chancenverwertung (30 benötigte Schüsse mehr für ein Tor als noch 2014).

"Das sind die zwei allerwichtigsten Erkenntnisse für mich als Trainer", schloss Löw: "Wenn wir diese Dinge jetzt wieder einfordern, dann haben wir wieder ein sehr gutes Fundament."

jpe

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