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Guido Streichsbier: "Wir können nicht sagen: Wir spielen alle an die Wand"

U-20-Coach Streichsbier vor WM-Start

"Wir können nicht sagen: Wir spielen alle an die Wand"

Geht entspannt in die Nachwuchs-WM: Deutschlands U-20-Trainer Guido Streichsbier.

Geht entspannt in die Nachwuchs-WM: Deutschlands U-20-Trainer Guido Streichsbier. imago

"Ich bin relativ entspannt", sagt der 47-Jährige kurz vor dem Auftakt seiner Mannschaft an diesem Samstag um 7 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Daejeon gegen Venezuela. Für den kicker nahm sich Streichsbier am Montag, dem Tag des Abflugs nach Fernost, Zeit für ein Gespräch über die Gruppengegner, Stärken und Schwächen seiner Mannschaft, Schwierigkeiten beim Übergang in den Männerbereich und die heiße Nominierungsphase.

kicker: Herr Streichsbier, provokant gefragt: Venezuela und Vanuatu sind Fußballzwerge, mindestens Platz zwei sollte ja in der Gruppe, in der Sie auch noch auf Mexiko treffen, quasi gebucht sein?

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Streichsbier Guido

Guido Streichsbier: Genau das ist die Krux - wäre Brasilien, die in der Südamerika-Quali hinter Venezuela geblieben sind, bei uns in der Gruppe, hieße es: Monstergruppe. Venezuela ist das gleiche Kaliber. Bei der U-20-Kontinental-Meisterschaft in Ecuador haben wir sie gesehen. Da waren sie extrem emotional unterwegs. Jetzt waren sie zehn Tage in Italien, sind schon in Südkorea, hatten also anders als wir eine echte Vorbereitung. Dazu kommt die Frage: Pusht sie die politische Lage in der Heimat nochmal? Wir haben Respekt, aber an uns selbst auch den Anspruch eines Siegs.

kicker: Welche Stärken haben die drei Gruppengegner?

Streichsbier: Venezuela kommt übers Konterspiel und hat mit Yeferson Soteldo einen außergewöhnlichen Individualisten auf der Zehn. Vanuatu ist die große Unbekannte und der Außenseiter, die müssen wir schlagen. Die Mexikaner haben prinzipiell eine gute Ausbildung, Struktur im Spiel und gute Einzelakteure. Sie haben zudem eine gewisse Turniererfahrung.

Wäre Brasilien, die in der Südamerika-Quali hinter Venezuela geblieben sind, bei uns in der Gruppe, hieße es: Monstergruppe. Venezuela ist das gleiche Kaliber.

Guido Streichsbier

kicker: Im finalen Test gegen die Schweiz gab es für Ihr Team ein 1:2. Ihre Mannschaft tat sich vor allem mit dem Ball schwer: Zollen schon die Junioren der Tatsache Tribut, dass mittlerweile fast nur noch auf Arbeit gegen den Ball und Umschalten geachtet wird?

Streichsbier: Zur Abrundung der Ausbildung ist diese Körperlichkeit nicht schlecht. In der U17 und U19 wird sehr viel technisch-taktisch gearbeitet. Man sieht das an Trainern aus dem Bereich wie Julian Nagelsmann oder Hannes Wolf, die es nach oben geschafft haben: Die Spielkultur, die die beiden verkörpern, orientiert sich stark am Technisch-Taktischen. Die Jungs kommen nach der stark fußballerisch orientierten Ausbildung meinetwegen in die 2. Liga. Da spielst du Ergebnisfußball - und es ist gut für sie, denn sie sehen: Es braucht auch Basics, Kämpfen, Dagegenhalten. Wenn sie die spielerischen Elemente damit verknüpfen, ist das das Optimum.

kicker: Wie kriegt man das aber in die Köpfe, dass es neben Tempo, Umschalten, Kondition, Kampf auch im Männerbereich um Fußballspielen geht?

Streichsbier: Wir kennen die Halbwertzeiten von Trainern im Männerbereich, es geht um den Arbeitsplatz. Wie viele Trainer mit einem Vierjahresplan haben wir schon erlebt, die zukunftsorientiert aufgebaut haben, aber nach nur zwei Siegen aus zehn Spielen wackeln? Entweder der Trainer ist weg, oder er stellt auf Pragmatismus um.

kicker: Das heißt?

Streichsbier: Wenn ein junger Spieler hochkommt, muss der Vereinstrainer vorgeben, was er erwartet. Wenn der sagt: Ich will kein riskantes Aufbauspiel am eigenen Sechzehner, sondern den Ball schnell im Mittelfeld haben, dann muss der Spieler sich anpassen. Damit möchte ich nicht sagen, dass in der zweiten Liga kein technisch anspruchsvoller Fußball gespielt wird. Aber: Wir als Ausbilder können natürlich nicht aufgrund unserer Spielidee zu einem Zweitligatrainer sagen, welche Elemente wir uns in seinem Spiel wünschen. Dann sagt der: "Schön, aber dann bin ich in zwei Wochen vielleicht nicht mehr da." (lacht) Um beim Aufbau-Beispiel zu bleiben: Die Jungs müssen selbstbewusst genug sein, einer risikofreien Vorgabe des Vereinstrainers gerecht zu werden und dennoch ihre technischen Fertigkeiten, die sie auf dem ganz hohen Niveau brauchen werden, einzubringen.

kicker: Das heißt, Sie wollen einen gepflegten Ball sehen in Südkorea?

Streichsbier: Es geht aufgrund der schwierigen Nominierung und nur drei Trainingseinheiten vor dem ersten Gruppenspiel darum, dass sich die Mannschaft schnell findet. Wir arbeiten an einfachen Dingen, wobei die Jungs nicht erst seit drei Tagen zusammenkicken. Da haben wir Vertrauen, sie haben freie Hand in einer vorgegebenen Struktur. Sie kennen sich über einige Jahre, da ist auch zwischenmenschlich eine tolle Basis da. Die Robustheit aus dem Männerbereich, die sie sich jetzt geholt haben, brauchen wir. Aber wir müssen unsere spielerischen Elemente einbauen, sonst verschenken wir unsere Stärken.

kicker: Inhaltliche Arbeit wird bei der kurzen Vorbereitung nicht möglich sein ...

Streichsbier: Nein, wir haben in den vergangenen Lehrgängen vorgearbeitet. Wir wissen schon lange um diese Konstellation und brauchen nicht zu jammern. Und: Wir sind froh um unsere Ligastruktur. Dazu kommen die Jungs aus dem Spielbetrieb, sind also im Rhythmus.

kicker: Bei der U-19-EM vergangenes Jahr war die Abwehr die große Achillesferse. Haben Sie dieses Problem in den Griff bekommen?

Streichsbier: Das wissen wir am Samstag (lacht). Wir hatten die schwierige Konstellation, dass wir nur Benedikt Gimber und Lukas Böder als Innenverteidiger hatten. Felix Uduokhai und Jordan Torunarigha waren verletzt, Freddy Ananou war angeschlagen, wir haben Gökhan Gül aus dem Jahrgang 1998 hochgezogen. Wir sind defensiv besser aufgestellt als letztes Jahr, viele haben sich über ihre Vereine reingespielt. Gimber sowieso, Phil Neumann hat eine gute Entwicklung genommen, Ananou hatte in Kerkrade viele Einsätze und wurde auch freigegeben vom Klub.

kicker: Sie sprechen es an: Sind Sie enttäuscht, dass Vereine wie Nürnberg mit drei potenziellen Mitfahrern (Lukas Mühl, Patrick Kammerbauer, Cedric Teuchert) ihre Spieler gar nicht freigeben, also auch nicht nach dem 34. Spieltag?

Streichsbier: Mir tut es für die Jungs leid. Es ist kein DFB- und kein "Guido-Streichsbier-Turnier", sondern eines für die Spieler. So ein Turnier hat einen Mehrwert. Sportlich, menschlich, von der Lebenserfahrung her in einem fremden Land. Es ist keine Werbereise, der Turniermodus bringt die Spieler weiter. Mit Felix Zwayer ist ein deutscher Top-Schiri vor Ort, das allein zeigt den Stellenwert. Auch Spiele gegen Süd- und Mittelamerikaner, die taktisch ganz anders arbeiten, oder Afrikaner sind wichtige Erfahrungswerte.

Lieber VfL Wolfsburg, ihr habt am Samstag euer K.o.-Spiel in Hamburg, wir wollen aber den Jannes Horn haben ... So sind wir nicht gestrickt.

Guido Streichsbier

kicker: Wären Sie für eine Abstellungspflicht im Juniorenbereich?

Streichsbier: In dem Fall haben wir dann ein Terminproblem, weil das Turnier während der Saison beginnt. Wir als DFB wollen nicht hingehen und sagen: "Lieber VfL Wolfsburg, ihr habt am Samstag euer K.o.-Spiel in Hamburg, wir wollen aber den Jannes Horn haben ..." So sind wir nicht gestrickt. Abstellungspflicht wäre gut, dann müsste das Turnier aber hinter die Saison gelegt werden.

kicker: Wie waren insgesamt die Verhandlungen mit den Klubs?

Streichsbier: Meistens positiv, weil alle die potenziellen Erfahrungswerte des Turniers erkannt haben. Das Problem war die Nominierung am 8. Mai mit den Ungewissheiten über Abstiege und nun der Abreisetermin. Dass die Klubs uns aber unterstützen, sah man an Rouven Schröder, der mich am vergangenen Samstag, nachdem Mainz den Klassenerhalt geschafft hatte, um 20 Uhr angerufen und gesagt hat: "Suat Serdar darf direkt mit." Oder an Hertha, die Maximilian Mittelstädt jetzt schon ziehen ließ, obwohl sie noch um Europa spielen (Anm.: Klubkollege Torunarigha reist nach dem 34. Spieltag nach).

kicker: Sie sprachen vorhin den Ergebnisdruck für Vereinstrainer an - aber auch Sie werden ja am Abschneiden gemessen. Wenn Sie in der Vorrunde rausgehen, möglicherweise auch, weil Spieler gar nicht oder verspätet kommen, dann stehen Sie ja medial auch in der Kritik ...

Streichsbier: Ich hoffe nicht, dass die Schlagzeilen kommen (lacht). Nochmal: Das Turnier ist für die Jungs. Wenn wir ihnen die Möglichkeit geben, sich gut zu präsentieren, dann steht vielleicht auch irgendwo etwas Gutes über den Trainer. Die Jungs sollen nach dem Turnier ihr Limit erhöht und ihr Standing im Verein verbessert haben. Jeder im Haus weiß um die terminlichen Schwierigkeiten. Ich weiß auch, dass das öffentlich mal vergessen wird, wenn es schlecht läuft. Aber da bin ich relativ entspannt.

kicker: Muss man sich im U-Bereich von Forderungen nach Titeln lossagen?

Streichsbier: Die U19 wurde 2014 Europameister. Es ist nicht so, dass der letzte U-Titel Jahrzehnte her ist. Man muss zwei Dinge betrachten: Unsere wirklich guten Nachwuchsleistungszentren haben in den letzten Jahren in der Youth League keine Chance gehabt. Und: Die Bayern waren 2013 Champions-League-Sieger, ansonsten war auf europäischer Ebene im letzten Jahrzehnt auch kein Titel da. Also können wir nicht zu einer Junioren-WM fahren mit der Ansage, wir spielen alle an die Wand. Diese Gleichung passt nicht. Horst Hrubesch (DFB-Sportdirektor, d. Red.) hat dennoch zurecht den Anspruch, dass wir ganz vorne landen wollen. Und dann muss es trotz Erfolgsdruck erlaubt sein, zu fragen: War die Mannschaft am Limit? Hat sie alles rausgeholt? Oder war es einfach unglücklich? Auf diesen Fragen muss die Analyse basieren.

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