Junioren

Der Verlust des defensiven Gewissens

U19: Bittere Enttäuschung nach Aus bei der Heim-EM

Der Verlust des defensiven Gewissens

Restlos bedient: Philipp Ochs.

Restlos bedient: Philipp Ochs. Getty Images

Von der U19-Europameisterschaft in Großaspach berichtet Carsten Schröter

Auf dem Kunstrasenplatz hinter dem Mannschaftsbus verzogen sich einige Spieler in verschiedene Ecken. Alleinsein mit der riesigen Enttäuschung. Oder sich von den Liebsten Trost am Telefon spenden lassen. Fassungslos und niedergeschlagen irrlichterten andere umher. Vor den heimischen Fans in Großaspach drei Tore geschossen und trotzdem verloren, noch dazu keine Chance mehr aufs Halbfinale - von diesem Schock müssen sich die DFB-Junioren erst einmal erholen.

U-19-EM - 2. Spieltag, Vorrunde
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U-19-EM - Tabelle - Gruppe A
Pl. Verein Punkte
1
Portugal Portugal
4
2
Italien Italien
4
3
Österreich Österreich
2

Dabei sind sie anders als bei der im Nachhinein doppelt bitteren 0:1-Auftaktschlappe gegen Italien doch äußerst effektiv ins Spiel gestartet. Erste Gelegenheit - erstes Tor durch den Hoffenheimer Philipp Ochs. Gute 20 Minuten später brachte Max Besuschkow mit einem Lattenkracher aus 26 Metern das portugiesische Gehäuse zum Wanken. Doch weder das zweite Tor noch der Gegner fielen. Stattdessen markierten die Portugiesen wenig später den Ausgleich durch Abubakar nach einer zu kurz geratenen Abwehraktion von Kapitän und Abwehrchef Benedikt GImber.

Trainer Guido Streichsbier beklagte in dieser Szene "fehlendes Turnierglück". Wie beim Siegtreffer der Italiener verwertete der Kontrahent erst den zweiten Ball. Viel fahrlässiger war jedoch das deutsche Abwehrverhalten bei den weiteren Gegentreffern. "Beim 1:2 blocken wir den Torschuss nicht, sondern stehen nur daneben", kritisierte Streichsbier treffend. Nach einer guten Reaktion, die nach einem sehenswerten Spielzug mit einem umstrittenen, von Ochs eiskalt verwandelten Elfmeter belohnt wurde, verlor sein Team jedoch fatalerweise völlig die Balance.

Streichsbiers Erinnerung an 1986

Ein Tor, eine Vorlage: Portugals Buta (li.) hatte einen glänzenden Tag.

Ein Tor, eine Vorlage: Portugals Buta (li.) hatte einen glänzenden Tag. Getty Images

Ballverlust im Mittelfeld, keine Staffelung hinter dem Ball, zu große Räume - eine Einladung, die die dynamische und schnelle Offensivreihe der Portugiesen zweimal dankend annahm. "Da war das defensive Gewissen kurz weg", nannte es Streichsbier, der seine Jungs in der Euphorie nach dem Ausgleich von der Seitenlinie mit der Stimme nicht einzubremsen vermochte. "Das sind junge Burschen", nahm der DFB-Trainer seine Schützlinge in Schutz. "Ich weiß noch wie Franz Beckenbauer 1986 sein Team nach dem 2:2 zurückhalten wollte - und am Ende saßen wir weinend vor dem Fernseher. So etwas passiert also auch ausgebufften Profis", erinnerte der 46-Jährige an das mit 2:3 verlorene WM-Finale gegen Argentinien.

Damals ereilte die DFB-Elf allerdings erst im Endspiel der bittere K.-o., für die U 19 ist nun bereits wie im Vorjahr nach der Gruppenphase Endstation. "Dumm gelaufen, das haben wir uns definitiv anders vorgestellt", meinte der eingewechselte Marvin Mehlem. Einen Strohhalm gibt es aber noch, an den sich Dreifachtorschütze Ochs ("Ich habe noch nie drei Tore geschossen und noch verloren") und Co. klammern können. Ein Sieg im abschließenden Gruppenspiel am Sonntag gegen Österreich (19.30 Uhr in Reutlingen) bedeutet die Zulassung zum Spiel um Platz 5, der wiederum zur Teilnahme an der U-20-WM 2017 in Südkorea berechtigt. Streichsbier: "Dafür sollen sie alles geben und dann nächstes Jahr gereifter ein erfolgreiches Turnier spielen. Wir haben die Jungs nochmal damit konfrontiert, dass Deutschland auch im Jugendfußball für eine gewisse Mentalität steht, nach Rückschlägen in Turnieren zurückzukommen."

Nach dem ersten Tiefschlag zum Auftakt gegen Italien gelang dies gegen starke Portugiesen nicht. Aber mit zwei Siegen besteht wenigstens die Möglichkeit, das zuvor gesteckte Minimalziel zu erreichen und so für einen halbwegs versöhnlichen Abschluss eines viel beachteten Turniers in der Heimat mit Zuschauerrekorden und einer Menge Live-TV-Übertragungen zu sorgen. Denn unterm Strich überwiegt natürlich jetzt schon die Enttäuschung. Das war jedem einzelnen Akteur rund um den Mannschaftsbus deutlich anzusehen.