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Warum "New England" für Aufregung sorgen könnte: Gareth Southgates "Three Lions" im WM-Porträt

Gareth Southgates "Three Lions" im Porträt

Warum "New England" für Aufregung sorgen könnte

"Wir können weiter kommen, als manche erwarten": England fühlt sich gerüstet für die WM 2018.

"Wir können weiter kommen, als manche erwarten": England fühlt sich gerüstet für die WM 2018. imago

David Beckham zirkelte den Freistoß ins ecuadorianische Tor an diesem 25. Juni 2006 und konnte natürlich nicht ahnen, dass er gerade eine Durststrecke ausgelöst hatte, deren Ende bis heute nicht bekannt ist: Seit zwölf Jahren, seit jenem WM-Achtelfinale in Stuttgart (1:0) , hat die englische Nationalmannschaft kein einziges K.-o.-Spiel mehr bei einer WM oder EM gewonnen, seit dem Titel 1966 waren es genau sechs. Jetzt, bei der WM 2018 in Russland, soll mal wieder alles anders werden. Neu ist, dass es berechtigte Hoffnung gibt, dass wirklich alles anders wird - weil schon alles anders ist.

Seit er im September 2016 68-Tage-Nationaltrainer Sam Allardyce abgelöst hat, verfolgt Gareth Southgate konsequent seinen Weg, an den sich manch alteingesessener TV-Experte auf der Insel erst einmal gewöhnen musste.

England hat den drittjüngsten Kader und fast den unerfahrensten

Erfahrene Kräfte? Southgates WM-Kader ist mit einem Durchschnittsalter von 26,1 der drittjüngste nach Nigeria (25,9) und Frankreich (26,0) - Deutschland ist Sechster (27,1) -, nach Länderspielen der zweitunerfahrenste nach Tunesien mit gerade einmal 21 im Schnitt.

Große Namen? Southgate nahm von Beginn an keine Rücksicht, verzichtet in Russland freiwillig auf Joe Hart oder Jack Wilshere, weil er andere, neue, ganzheitliche Pläne hat und die stete Rückendeckung des Verbands.

Keine taktischen Experimente? Southgate lässt seit Ende der erneut souveränen Qualifikation flexibel in einem 3-4-3, 3-5-2 oder 3-3-3-1 spielen, nutzt, was seine Spieler unter Guardiola, Klopp oder Pochettino gelernt haben. Er will Offensivfußball sehen, fragt, warum "andere Nationen gegen uns mehr Ballbesitz haben sollten".

Kuschen vor der schamlosen "Yellow Press"? Southgate lässt sich nicht stressen, die Unruhe, die die "Sun" mit Raheem Sterlings Gewehr-bei-Fuß-Tattoo gewohnt rechtzeitig zu schüren versuchte, schien nicht bei ihm anzukommen.

Nüchtern betrachtet ist 2018 der Testlauf für 2022

England hat gute Aussichten, eines der aufregenderen Teams in Russland zu werden. Frisch, "mit einem Lächeln" sollen die "Three Lions" nach Southgates Vorstellung auftreten, "den Fußball genießen". Dafür, dass sein junger Kader seine Ideen vorbehaltlos und wissbegierig umsetzt, verzichtet er gerne auf die Erfahrung von ein paar hundert Länderspielen. Wo sich einst Stars die Startelf-Plätze neideten, scheint jetzt eine Einheit auf dem Rasen zu stehen. Sogar die Fans glauben wieder an ihre Nationalelf, die sich vor zwei Jahren noch gegen Island lächerlich gemacht hatte .

"Okay, vielleicht sind sie noch nicht so weit, dass wir Weltmeister werden", sagte Southgate im großen kicker-Interview über seine Schützlinge, die in den WM-Tests (2:1 gegen Nigeria, 2:0 gegen Costa Rica) weniger Probleme hatten als andere Nationen. "Aber wir können die Leute überraschen und weiter kommen, als manche erwarten. Es ist eine Investition in die Zukunft. Wir sehen es als Nachweis der Entwicklung." 2017 wurde England U-19-Europameister, U-17- und U-20-Weltmeister, stand im U-21-EM-Halb- und im U-17-EM-Finale. Nüchtern betrachtet könnte 2018 also zum Testlauf für 2022 werden, das Titel-Fernziel, das Ex-FA-Boss Greg Dyke schon 2013 nannte.

Bei Torwart Pickford und Torjäger Kane bleiben Fragezeichen

In der Gruppe mit Tunesien (18. Juni), Panama (24. Juni) und Belgien (28. Juni) wird "New England" gleich in jeder Hinsicht auf die Probe gestellt: erst gegen tiefstehende Mannschaften, dann gegen die Premier-League-"Teamkollegen" De Bruyne, Hazard, Lukaku & Co., gegen Underdogs und einen Titelmitfavoriten.

Über wie viel Kraft verfügen die Spieler nach der vorletzten Saison ohne Winterpause noch? Ist Jordan Pickford (24), die technisch starke neue Nummer eins mit den drei A-Länderspielen, wirklich bereit für die ganz große Bühne? Zeigt Harry Kane, torlos bei der U-21-EM 2015 und der EURO 2016, endlich, dass er für seine Tore nicht unbedingt Christian Eriksen braucht? Ist das kreative Mittelfeld mit Jordan Henderson, Jesse Lingard oder Dele Alli stark genug besetzt? Es sind schnelle Antworten zu erwarten.

"Wir sind jung und unerfahren, unabhängig und hungrig", sagt Kane, "wir können Schaden anrichten." Im Viertelfinale könnte beim Gruppensieg Deutschland warten. Doch dazu müsste England ein Achtelfinale gewinnen, erstmals seit Beckham.

jpe