Int. Fußball

"Tortur" für den unvollendeten Messi - Chile historisch

Copa America: Erster Titel für Chile - Messi will Trophäe nicht

"Tortur" für den unvollendeten Messi - Chile historisch

Wieder kein Triumph mit Argentinien für Lionel Messi - er bleibt damit auf Landesebene unvollendet.

Wieder kein Triumph mit Argentinien für Lionel Messi - er bleibt damit auf Landesebene unvollendet. Getty Images

"Elfmeterschießen sind beschissen" - diese Klage von Lionel Messi sagt schon alles aus, und dabei entstammt sie nicht einmal der Nachbetrachtung der bitteren Pleite im Finale der Copa America (1:4 n.E.). Nein, diesen Satz hat der auf Landesebene weiterhin unvollendete Messi nach dem gewonnenen Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Kolumbien getätigt.

Zuletzt hatten die Argentinier ja zwei wichtige Elfmeterduelle für sich entschieden, in eben jenem Viertelfinale gegen die "Cafeteros" sowie im Halbfinale der Weltmeisterschaft gegen die Niederlande. Beide Spiele waren ebenso jeweils torlos in die Lotterie gegangen, doch diesmal, beim großen Abend gegen Chile, versagten bis auf Messi, der wie immer als Kapitän voranging und den ersten Elfmeter kühl versenkte, allen anderen Mitspielern die Nerven. Und so sollte Messi mit seiner Aussage Recht behalten.

Spielersteckbrief Messi
Messi

Messi Lionel

Spielersteckbrief Bravo
Bravo

Bravo Claudio

Argentinien - Vereinsdaten
Argentinien

Gründungsdatum

01.01.1893

mehr Infos
Chile - Vereinsdaten
Chile

Gründungsdatum

01.01.1895

mehr Infos

Higuains Déjà-vu - Parallelen des Versagens

Diese Nervenschwäche war am auffälligsten bei Gonzalo Higuain, der seinen zweiten Versuch meilenweit in den Nachthimmel von Santiago de Chile jagte und damit einmal mehr seine psychische Labilität in der bedeutungsvollen Phase unter Beweis stellte. Schon im Saisonfinale der Serie A, beim Entscheidungsspiel um den Einzug in die Champions League zwischen SSC Neapel und Lazio Rom drosch der Angreifer einen Elfmeter so einfallslos wie kümmerlich hoch drüber - es wäre die Führung und womöglich der Sieg für Napoli gewesen, so erklomm Lazio am letzten Spieltag den dritten Rang.

Mehr zum Copa-America-Finale

Nicht nur dieser Elfmeter wies Parallelen zur Vergangenheit auf, auch Argentiniens Leistung zuvor erinnerte durchaus an das ebenso tragisch verlorene WM-Finale gegen Deutschland. Denn die "Albiceleste" wirkte auch beim zweiten großen Endspiel binnen eines Jahres über 120 Minuten seltsam gehemmt, mut- und kraftlos, vor allem aber ohne erkennbaren Plan. Von Esprit, Torgefahr und Spielwitz war wieder einmal kaum bis gar nichts zu sehen, am augenscheinlichsten war das bei Messi, an dem die Partie abermals vorbeilief. Der Floh war in der Spielfeldmitte isoliert - es wirkte, als wüssten die restlichen neun argentinischen Feldspieler gar nicht wirklich, dass sie den besten Fußballer der Welt in ihren Reihen haben, denn sie suchten ihn kaum einmal. Stattdessen wuchteten sie den Ball lieber hoch und weit über das Haupt von Messi hinweg.

Messi weitgehend isoliert - Mascherano leidet

Eine gute Gelegenheit leitete Messi in unnachahmlicher Manier in der Nachspielzeit ein, doch Lavezzis Querpass geriet einen Tick zu weit, Higuain, wer auch sonst, schob das Leder vor dem leeren Tor mit letzter Kraft nur noch ans Außennetz. Doch ansonsten konnte Messi dem Spiel kaum seinen Stempel aufdrücken, ohne Hilfe hatte er es gegen reihenweise bissige Chilenen nicht leicht. "Der Plan war, Messi zu neutralisieren", erklärte Chiles Erfolgscoach Jorge Sampaoli nach der Partie - dieser Schachzug war vollends aufgegangen. Durch Aggressivität und gegenseitige Hilfestellung konnte "La Pulga" seine Genialität bis auf die eine Szene nie ausspielen. Zu allem Überfluss wurde die Familie Messis laut Medienberichten im Stadion auf der Tribüne beleidigt und attackiert und musste sich daher in einem TV-Studio in Sicherheit bringen. Messis Bruder Rodrigo soll sogar von einem Gegenstand getroffen worden sein. Ein Abend zum Vergessen für Messi und Argentinien.

"Zu verlieren ist eine Tortur, eine große Traurigkeit": Javier Mascherano.

"Zu verlieren ist eine Tortur, eine große Traurigkeit": Javier Mascherano. Getty Images

Und so schlichen die Himmelblauweißen wieder einmal nur als zweiter Sieger vom Platz, oder besser gesagt: als erster Verlierer. Denn das entspricht viel mehr der allgemeinen Empfindung am Rio de la Plata. "Zu verlieren ist eine Tortur, eine große Traurigkeit", sagte ein geknickter Javier Mascherano, der schon vor dem Elfmeterschießen den Tränen nahe war - so als hätte er gespürt, dass es das Schicksal wieder nicht gut mit seinen Argentiniern meinen wird. "Wir haben die Dinge gut gemacht, aber bekommen einfach nichts dafür. Mit diesem Karma müssen wir leben", so Mascherano, der bereits sein drittes Copa-Finale nach 2004 und 2007 verloren hat. "Ich habe keine Erklärung dafür", so der aschfahle Abräumer.

Messi will die Trophäe als bester Spieler nicht

Nicht nur Mascherano litt abermals, die komplette argentinische Volksseele, die naturgemäß der Melancholie zugeneigt ist, erleidet wieder einmal seelische Schmerzen. "Alptraum II" titelte die argentinische Sportzeitung "Olé", während "La Nación" klagte: "Nächstes Finale, nächster Frust." Über Messis Makel heißt es: "Seine Kategorie Ausnahmekönner steht nicht zur Diskussion, aber in der Seleccion kehrt ihm der Ruhm weiter den Rücken zu." Übrigens: Offenbar weigerte sich der viermalige Weltfußballer, die Auszeichnung als bester Spieler des Turniers anzunehmen. Das berichten mehrere Medien in Spanien und Argentinien übereinstimmend. Die spanische Tageszeitung Marca veröffentlichte auf ihrer Internetseite ein Video, in dem der Pokal für den besten Spieler kurz vor der Siegerehrung vom Podium entfernt wird. Schon beim verlorenen WM-Finale 2014 wurde er als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet, diesmal hatte Messi anscheinend keine Lust auf dieses "Trostpflaster".

"Es lebe Chile, es lebe der Champion"

Geschichtsträchtiger Triumph: Claudio Bravo reckt die Copa-America-Trophäe in die Luft.

Geschichtsträchtiger Triumph: Claudio Bravo reckt die Copa-America-Trophäe in die Luft. Getty Images

Enttäuschung pur also bei Argentinien - ganz anders natürlich der Gemütszustand bei den Chilenen, die endlich ihren ersten Titel überhaupt einfahren konnten und so eine Befreiung verspürten. Auf dem Rasen, den Rängen und im ganzen Land gab es kein Halten mehr. Stadion und Straßen bebten, auch die Journaille jubilierte. "Es lebe Chile, es lebe der Champion", jauchzte die Zeitung "La Tercera".

Torhüter Claudio Bravo, der erst die Trophäe als Kapitän in Empfang genommen hatte und nachher vor Überschwang auf die Torlatte kletterte, betonte stolz: "Ich habe immer davon geträumt, diesen Pokal eines Tages hochzuhalten." Bravo gewann damit den vierten großer Titel binnen weniger Wochen, zuvor hatte er mit dem FC Barcelona schon das Triple eingeheimst. Welcher Titel ihm am meisten bedeutet, dürfte indes klar sein. Trainer Sampaoli, ein Argentinier, erklärte froh: "Die Copa America hier gewonnen zu haben, in Chile, mit diesen euphorischen Menschen...ich danke meiner Mannschaft, dass sie mir erlaubt, ein Teil von alldem zu sein." "Feiertag, Feiertag", riefen Chiles Helden in der Siegesnacht auf dem Balkon des Präsidentenpalastes "La Moneda" Richtung Staatschefin Michelle Bachelet, die im Stadion und beim Blitz-Empfang in ihrer Residenz hautnah dabei war, als Chile mit dem ersten Titel Geschichte schrieb. Eine Geschichte, die für die einen nicht schöner hätte enden können - und die für die anderen quälend weiter geht.

atr

Chilenischer Wahnsinn in Rot - Argentinien bestürzt