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Blatter: "2015 könnte ich das Zepter übergeben"

Schweizer schließt weitere Amtszeit aber nicht aus

Blatter: "2015 könnte ich das Zepter übergeben"

Ist in seiner vierten Amtszeit bis 2015 im Amt: FIFA-Präsident Sepp Blatter.

Ist in seiner vierten Amtszeit bis 2015 im Amt: FIFA-Präsident Sepp Blatter. imago

kicker: Die Bundesliga feiert 50. Geburtstag. Wie haben Sie ihren Start 1963 erlebt, Herr Blatter?
Sepp Blatter: Ich entsinne mich noch an die Regionalmeisterschaften in der Oberliga, aus denen die Bundesliga hervorgegangen ist. Ich kenne sogar den ersten Bundesligatrainer, der für die FIFA zum Einsatz kam. Das war Karl-Heinz Marotzke, der in den sechziger Jahren Schalke 04 trainiert hatte und danach Nationaltrainer von Ghana geworden ist. Ich gratuliere Deutschland. Die Bundesliga ist ein Vorzeigemodell. Gerade auch im internationalen Vergleich. Ihr Aufbau, ihr Controlling, ihr Verantwortungsbewusstsein in wirtschaftlichen Fragen und ihr Zuschauerzuspruch – da muss ich sagen: Kompliment!

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kicker: Bei der FIFA-Gala im Januar wurde erneut kein Bundesligaspieler in die Weltelf gewählt und landete der beste deutsche Spieler bei der Wahl zum "Fußballer des Jahres" auf dem 15. Rang.
Blatter: Angesichts der Platzierung in der FIFA-Weltrangliste und der Erfolge der deutschen Nationalmannschaft bei den letzten Welt- und Europameisterschaften ist es etwas unverständlich, dass kein Bundesligaspieler bei diesen Wahlen in die Endausscheidung kommt. Im Moment sind mit Messi und Cristiano zwei Spieler auf der Welt, die derart fokussieren, dass es für alle schwer ist, auf das Treppchen zu kommen. Beide sind Goalmaschinen. Aber würde man eine Wertung der Ligen machen, wäre Deutschland ganz oben. Weltweit genießt die Premier League im Fernsehen das höchste Interesse. Aber von der Konstanz und der Seriosität würde ich die Bundesliga auf den ersten Platz setzen.
kicker: Sie schwärmen über die Bundesliga, obwohl gerade Sie als Präsident der FIFA in Deutschland und in England kritischer hinterfragt werden als in anderen Ländern der Welt.
Blatter: Ich war gerade in England. Dort ist die Stimmung gegenüber der FIFA und ihrem Präsidenten gut. In England kann ich die Enttäuschung darüber verstehen, dass man die Weltmeisterschaft nicht bekommen hat. Da suchte man einen Prügelknaben. In diesem Zusammenhang muss ich etwas zu Deutschland sagen: Wir bekommen sehr viel Post mit Wünschen an die FIFA und an ihren Präsidenten. Meist verbunden mit Autogrammwünschen. Die meiste Post bekommen wir aus Deutschland.
kicker: Sie haben nicht für die WM 2022 in Katar gestimmt.
Blatter: Ich sage nicht, für wen ich gestimmt habe.
kicker: UEFA-Präsident Michel Platini hat gesagt, dass er für Katar gestimmt hat.
Blatter: Das war eine geheime Wahl, daran halte ich mich.

kicker: Wird im Sommer oder im Winter gespielt?
Blatter: Die Entscheidung der FIFA-Exekutive steht. Die Weltmeisterschaft wird alle vier Jahre im Juni und Juli ausgetragen. Wenn Katar etwas anderes wünschen sollte, müssen sich die Katari an die FIFA wenden.
kicker: Müsste dann die Vergabe der Weltmeisterschaft neu ausgeschrieben werden?
Blatter: Nein, es würde eine neue Situation entstehen, über die wir dann entscheiden müssten. Katar hat bisher keinen Schritt in Richtung eines anderen Zeitpunktes gemacht. Sie haben auch noch Zeit bis 2016, dann wird der internationale Terminkalender bis 2022 gemacht.
kicker: Könnte Platini mit seinen Beziehungen zu Katar auf eine Verlegung der Spiele einwirken?
Blatter: Der FIFA-Präsident muss sich an die Entscheidung des Exekutiv-Kommitees halten; und auch der Noch-Immer-UEFA-Präsident Michel Platini.
kicker: Platini ist wegen seiner Stimme für Katar in die Kritik geraten.
Blatter: In diesen Spitzenpositionen steht man immer im Rampenlicht. Wenn man momentan mehr über Platini spricht, soll mir das recht sein.
kicker: Platini hätte nach seinem Treffen mit dem damaligen französischen Staatspräsidenten Sarkozy vor der WM-Vergabe an der Abstimmung nicht teilnehmen dürfen.
Blatter: Dazu möchte ich mich nicht äußern.
kicker: Hatte Platini die FIFA von diesem Treffen unterrichtet?
Blatter: Das war bekannt.
kicker: Ist das kein Problem?
Blatter: Das ist kein Problem.
kicker: Warum?
Blatter: Wenn man in die Kandidatur für eine Weltmeisterschaft geht, muss die Regierung jedes Bewerbers dahinter stehen. Da gibt es Kontakte auf diplomatischer Ebene mit den Staatschefs. Die Staatschefs versuchen die Leute, die eine Stimme haben, von ihrer Kandidatur zu überzeugen. Sie vertreten die Interessen ihres Landes, das ist normal.
kicker: Frankreich war kein Bewerber.
Blatter: Aber die Bewerber haben ihre Kontakte spielen lassen. Es gab auch Kontakte zu Deutschland. Deutschland ist ein sehr engagiertes Land in Katar. Unter anderem mit Unternehmen wie der Deutschen Bahn, Hochtief und Siemens. Bei der Vergabe einer Weltmeisterschaft und Olympischer Spiele spielen diplomatische und politische Komponenten eine wesentliche Rolle.
kicker: Der Kontrast ist groß, wenn 2020 eine Europameisterschaft in 13 Ländern ausgespielt wird und zwei Jahre später eine Weltmeisterschaft in Katar, dessen Fläche einem Bundesland wie Hessen entspricht. Wie sehen Sie diese EURO?

"Der EURO 2020 fehlen Herz und Seele"

Sepp Blatter

Blatter: Ein Turnier gehört in einem Land gespielt, dadurch schafft man Identität und Euphorie. Nehmen Sie das Sommermärchen in Deutschland. Das Turnier 2020 hat man verzettelt. Sonst ist es keine Europameisterschaft mehr. Das muss man anders bezeichnen - ich weiß nicht wie. So einer Europameisterschaft fehlen Seele und Herz. Ich habe mal zu Michel Platini gesagt: Der frühere Staatschef von Libyen, Colonel Gaddafi, hat bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2010 an Südafrika mir erklärt, dass in den 53 Ländern Afrikas in jedem Land ein Spiel ausgetragen wird und die Finalspiele in Südafrika stattfinden sollen. Er glaubte an diese Idee, ich sagte ihm, dass dies undenkbar sei. Deshalb habe ich Platini auch gesagt, seine Idee sei nicht neu.
kicker: Nicht neu ist auch die Idee, dass Platini Sie eines Tages als Präsident der FIFA beerben soll.
Blatter: Wenn er will. Ich weiß nicht, ob er will.
kicker: Weil er nicht weiß, ob Sie 2015 für eine weitere Amtszeit kandidieren wollen?
Blatter: Er hat eine Idee über die Zukunft der FIFA, die er irgendwann den anderen Kontinenten erklären will. Aber er hat sich noch nicht festgelegt. Ich werde erst einmal auf dem Kongress in Mai in Mauritius die große FIFA-Reform durchboxen. Dann spielen wir den Worldcup 2014 in Brasilien. Danach ist alles offen. Wenn dann sichergestellt ist, dass die FIFA so weitergeführt wird, dass sie global bleibt und die Pyramide nicht zusammen stürzt, dann übergebe ich das Zepter 2015 sehr gerne an einen neuen Präsidenten.
kicker: Warum sollte die Pyramide einstürzen?
Blatter: Schon 1995 wurde der Gedanke verfolgt, dass die FIFA nicht mehr von allen Landesverbänden zusammengesetzt ist, sondern nur noch von den Konföderationen. Regional statt global. Dezentral statt zentral. Das wurde abgelehnt. Das ist auch heute kein zukunftsträchtiges Modell.
kicker: Schließen Sie eine erneute Kandidatur aus?
Blatter: Was darf man ausschließen, wenn man nicht genau weiß, was die Zukunft bringen wird?

FIFA-Präsident Sepp Blatter (Mi.) mit den kicker-Chefredakteuren Jen-Julien Beer (li.) und Rainer Franzke.

FIFA-Präsident Sepp Blatter (Mi.) mit den kicker-Chefredakteuren Jen-Julien Beer (li.) und Rainer Franzke.

kicker: Zur nahen Zukunft: der Confederations Cup in Brasilien steht im Juni vor der Tür.
Blatter: Wir sind froh, dass wir den Confederations Cup haben. Es ist der Wettbewerb der Champions aus den Kontinenten. Es ist ein großartiger Testlauf für die Weltmeisterschaft, für die Stadien, für Logistik und Sicherheit. Ich habe noch keine Weltmeisterschaft erlebt, wo ein Jahr vor Beginn alle gesagt haben, es wird keine Probleme geben, es wird nichts passieren. Auch den Brasilianern muss man das Vertrauen schenken. Ich bin überzeugt: die Weltmeisterschaft wird großartig. Das wird ein Fest des Fußballs.
kicker: Beschneiden in Europa die Organisationen der Ligen (EPFL) und der Profiklubs (ECA) zunehmend die Arbeit der Verbände?
Blatter: Eine interessante Frage. Wir hatten kürzlich eine Sitzung mit der EPFL. Die Ligen haben sich bei uns beklagt, weil die UEFA mit ihren Klubwettbewerben, besonders der Champions League mit der Ausweitung der Spieltermine im Achtelfinale, den Ligen Termine nimmt. Früher fanden alle Spiele am Mittwoch statt. Dann kam der Dienstag hinzu. Jetzt wird das Achtelfinale an acht Tagen ausgetragen. Doch diese Problematik müssen die Ligen in Europa mit der UEFA klären.
kicker: Wie geht die FIFA gegen Rassismus vor?
Blatter: Wir haben gerade ein Task Force "Anti- Rassismus" gegründet. Es geht nicht nur um Rassismus, auch um Diskriminierung im Allgemeinen. Die große Erziehungsarbeit muss in der Jugend beginnen. Wir brauchen einen rigorosen Strafenkatalog. Theo van Seggelen von der Spielergewerkschaft FIFPro ist mit Punkteabzug bis hin zu Ausschluss aus den Wettbewerben einverstanden, wenn Sanktionen in allen Fällen greifen - auch bei den Großen. Nur mit Geldbußen und Geisterspielen bekommt man die Probleme nicht in den Griff. Die Exekutive wird die Vorgehensweise demnächst absegnen.
kicker: Stichwort Exekutive, wie schlägt sich der frühere DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger?
Blatter: Theo Zwanziger ist in diesem ganzen Prozess der Reform mein Mitstreiter Nummer eins. Er ist in der Exekutive eine sehr beachtete und respektierte Persönlichkeit.
kicker: Was sind die Kernpunkte der Reform?
Blatter: Wir haben die Kontrollorgane neu aufgestellt. Die Ethikkommission mit zwei verschiedenen Organen: die Staatsanwaltschaft als Ermittler und das Gericht, das urteilt. Die Exekutive wird nicht mehr über die Vergabe der Weltmeisterschaft entscheiden, sondern der Kongress. Die Wahl des Präsidenten wir anders. Ein Verband, der einen Kandidaten vorschlägt, benötigt fünf bis zehn, vielleicht auch mehr Unterstützer aus mindestens zwei Konföderationen. Darüber hinaus werden alle Mitglieder der Kommissionen nicht mehr von der Exekutive benannt, sondern vom Kongress gewählt. Ob ein Alterslimit kommt oder eine Amtszeitbeschränkungen, das ist bei dem großen Reformpaket nebensächlich. Wichtig ist der Integritätscheck, den die Schiedsrichter seit Jahren machen. Wegen der Einführung des Leumundszeugnis gab es einen Aufschrei. Das macht jedes Unternehmen bei der Einstellung eines Mitarbeiters. Und das wird auch bei der FIFA kommen, bevor jemand ein Amt übernehmen kann.

"Der Fußball ist wie ein Motor meines Herzens."

Sepp Blatter

kicker: Kommen Sie noch dazu, Spiele zu sehen?
Blatter: Ich genieße Fußball jeden Tag. Auf jeder Reise sehe ich Fußball, und ich verfolge Fußball am Fernsehen. Ich bin der größte Zapper am Fernsehen. Ich habe 600 Programme, und irgendwo gibt es immer Fußball. Der Fußball ist wie ein Motor meines Herzens.
kicker: 209 Verbände gehören der FIFA an. Sehen Sie sich als deren Präsident als der mächtigste Mensch der Welt?
Blatter: Nein. Das ist eine verantwortungsvolle Position mit viel Einfluss. Ich versuche die Entwicklung des Fußballs auf der ganzen Welt positiv zu beeinflussen. Die FIFA hat über den Fußball ein Beziehungsnetz, das bis in Regierungskreise reicht. Denn es gibt kein Land auf der Welt, dem der Fußball nichts bedeutet. Ausgenommen von den großen europäischen Ländern, in denen sich der Fußball selbst gut organisiert, ist in mindestens 150 Ländern der Welt der Fußball Teil der Aufgabenbereiche von Sportministern bis hin zu Regierungschefs. Wir versuchen über dieses riesige Netzwerk nicht nur das Spiel, sondern das Gute des Spiels zu transportieren: Disziplin, Respekt, Fairplay, Zielstrebigkeit und Durchsetzungsvermögen. Wenn wir das über das Spiel in Gesellschaften einbringen, dann haben wir wirklich etwas Großes erreicht.
kicker: Welchen Titel würde eine Biografie von Sepp Blatter tragen?
Blatter: Der Fußball – mein Leben.
kicker: Welche Schlagzeile würde der frühere Sportjournalist Blatter über den FIFA-Präsidenten Blatter produzieren?
Blatter: Wenn es nicht ein Pleonasmus wäre, würde ich sagen: ein harter Walliser!

Interview: Jean-Julien Beer und Rainer Franzke