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Schweiz setzt auf Frei-Karte

Jungstars der EURO 2004: Alexander Frei

Schweiz setzt auf Frei-Karte

Der momentan erfolgreichste Schweizer Nationalspieler: Alex Frei.

Der momentan erfolgreichste Schweizer Nationalspieler: Alex Frei. Kicker

Leo Frei ist 73 und der Großvater von Alexander Frei, den alle nur Alex nennen und der momentan der erfolgreichste Schweizer Nationalspieler ist. In 23 Länderspielen erzielte der Stürmer 15 Tore - 0,65 Treffer pro Partie, das ist auch europaweit absolute Spitzenklasse. "Seit ich mit dem Fußballspielen begann, begleitete mich mein Opa", sagt der 24-Jährige. Seit rund zwölf Monaten hat Leo jedoch kein Klubspiel seines Enkels mehr gesehen. "Das klingt banal", sagt Alex, "aber Opas Anwesenheit hat mich mit Stolz erfüllt, und das vermisse ich nun."

Leo gefällt nicht, wie sie in Rennes mit Alex umspringen. Im Januar 2003 wechselte der Angreifer von Servette Genf zum französischen Erstdivisionär. Er gab Rennes gegenüber dem VfB Stuttgart, der ihn erst für den Sommer 2003 verpflichten wollte, den Vorzug. Für knapp 1,5 Millionen Euro und mit einem Vertrag bis 2006 wechselte Frei in die Bretagne.

Rennes sollte für ihn das Sprungbrett zu einem renommierten europäischen Verein sein. Doch sein bisheriger Aufenthalt in Frankreich war eher ein Albtraum. Freis Stammplatz war lange Zeit auf der Ersatzbank oder gar auf der Tribüne. Mehrmals musste er im Nachwuchsteam des Kleinklubs spielen. Trainer Vahid Halilhodzic hatte den Stürmer zum Wechsel nach Rennes überredet, doch kaum war Frei angekommen, ließ ihn der Bosnier fallen. Später, als Halilhodzic den Trainerjob bei Paris St. Germain annahm, machte er das Gleiche mit Hakan Yakin, der nun beim VfB Stuttgart gelandet ist.

Während Yakin Frankreich fluchtartig wieder verließ und mit Ricardo Cabanas ein dritter Schweizer Nationalspieler in der "Grande Nation" frühzeitig die Segel strich - er kehrte nach wenigen Monaten von Guincamp zum Grasshopper-Club Zürich zurück -, wollte Frei von Kapitulation nichts wissen. "Man kann nicht immer davonlaufen", ließ er im vergangenen Herbst verlauten, "solche Erfahrungen machen dich nur stärker. Mich haut so schnell nichts mehr um."

Unter dem neuen Trainer, dem rumänisch-französischen Doppelbürger Laszlo Bölöni ("Alex passt nicht in mein Konzept"), war er anfänglich auch nur zweite Wahl. Inzwischen jedoch hat sich Frei in die Stammelf zurückgekämpft. Elfmeter- und Freistoß-Spezialist Frei: "Ich habe meine Spielweise geändert, bewege mich mehr, arbeite mehr für die Defensive." Sieben Tore erzielte er in der laufenden Saison in 19 Spielen. Er ist in Frankreich nun kein Nobody mehr, seine Autogramme sind gefragt, Radio- und Fernsehstationen schätzen ihn als eloquenten Interviewpartner.

Durch die schwierige Zeit geholfen hat ihm unter anderem Rennes' schwedischer Spielmacher Kim Källström. Mit ihm und Torwart Petr Cech trifft sich Frei auch privat, vorzugsweise im Feinschmeckerlokal "Léon le Cochon", in der "Taverne de la Marine" oder in der Diskothek "Delicatessen".

Im vergangenen November noch wollte der gelernte kaufmännische Angestellte Rennes verlassen. Er sagte Dinge wie "Ich schäme mich für das, was ich verdiene (knapp 500 000 Euro pro Jahr), und was ich dafür leiste" oder "als Schweizer Spieler bekommst du hier so viel Anerkennung wie einer von den Fidschi-Inseln".

Vorbei, vergessen? Vorerst bestimmt, denn Frei hat das erreicht, was er stets wollte - bei Rennes regelmäßig spielen: "Denn ich kann es mir hinsichtlich der EURO 2004 nicht leisten, beim Verein auf der Ersatzbank zu sitzen."

Die EM ist sein großes Ziel. In Portugal will Frei mehr als nur gegen die weitaus höher gewetteten Gruppengegner Frankreich, England und Kroatien spielen. "Wenn unsere Nationalmannschaft einen guten Tag erwischt, kann sie jeden Gegner schlagen", sagt der Angreifer, der mit seinen fünf Toren in acht Spielen maßgeblich dafür verantwortlich war, dass die Schweiz ihre Qualifikationsgruppe auf Rang eins beendete und erstmals nach 1996 wieder an einer EURO teilnimmt.

In Portugal wird Frei mit dem ehemaligen Dortmunder Stéphane Chapuisat das eidgenössische Sturmduo bilden, erster Ersatz ist Marco Streller vom VfB Stuttgart. Mit Streller spielte Frei schon als Junge im selben Team, beim Basler Kleinklub FC Aesch. "Alex ist zwei Jahre älter als ich, und stets habe ich zu ihm aufgeschaut", sagt Streller.

Schon früh war klar, dass Frei dereinst in der höchsten Schweizer Spielklasse unterkommen würde. Er hatte Talent, er war schnell und flink, gesegnet mit einem untrüglichen Torinstinkt. Als junger Spund schloss er sich seinem Lieblingsverein an, dem FC Basel. Glücklich wurde er dort allerdings nicht. Freis größter Förderer, der ehemalige Schweizer Nationalspieler und frühere Dortmund-Verteidiger Andy Egli, holte ihn schließlich zum Provinzverein FC Thun und verpasste ihm dort den Schliff, den er als künftiger Nationalspieler und Auslandssöldner benötigte. Frei verbindet heute eine Art Hassliebe mit Egli. Der Spieler weiß, dass er seinem ehemaligen Trainer viel zu verdanken hat, später gerieten sich die beiden jedoch in die Haare, weil Frei Eglis Auffassung von Fußball nicht (mehr) teilen mochte und Egli seinen Schützling der Aufmüpfigkeit, Überheblichkeit und des Minimalismus bezichtigte.

Großvater Leo ist jedenfalls stolz auf seinen Enkel. Und Vater Paul, der es vom Verkäuferlehrling zum Direktor einer Handelsfirma gebracht hat, stimmt ebenfalls das Hohelied auf Alex an: "Der Erfolg hat meinem Sohn nicht den Kopf verdreht. Er ist bis heute einer von uns geblieben."

Diese Tugenden schätzt auch Nationaltrainer Jakob "Köbi" Kuhn an seinem Paradestürmer, der 2002 mit der Schweizer U 21 EM-Dritter geworden ist. Er ließ Frei auch dann nicht fallen, als er im Nachwuchsteam von Rennes seiner Form hinterherrannte. "Alex ist ein Topstürmer", sagt Kuhn. "Und er passt auch menschlich hervorragend in die Mannschaft." Kuhn setzt bei der EURO auf die Frei- Karte. Auch in Portugal soll er treffen und vielleicht den Coup landen, die Schweiz mit seinen Toren erfolgreich durch die Gruppenspiele zu führen. Und nach der EM, wohin wird Freis Weg führen? Wahrscheinlich zurück nach Rennes. Aber irgendwann, das steht für Frei schon lange fest, möchte er in die Bundesliga - wie sein Spezi Marco Streller.

Andreas Werz