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Fragezeichen hinter Finkes "unzähmbaren Löwen"

Kamerun im WM-Check

Fragezeichen hinter Finkes "unzähmbaren Löwen"

Kameruns Superstar Samuel Eto'o (re) freut sich mit Jean Makoun über einen Treffer in der Relegation gegen Tunesien.

Kameruns Superstar Samuel Eto'o (re) freut sich mit Jean Makoun über einen Treffer in der Relegation gegen Tunesien. imago

Die WM-Qualifikation

Dass sich Kamerun angesichts der extremen Widrigkeiten überhaupt für die WM 2014 qualifizieren konnte, grenzt fast schon an ein Wunder. Denn die Begleitumstände waren alles andere als leistungsförderlich. Der heimische Fußball liegt am Boden, zwischenzeitlich wurde der nationale Verband "Fédération Camerounaise de Football" (Fecafoot) von der FIFA gar suspendiert. Stein des Anstoßes war die umstrittene Wiederwahl des Fecafoot-Präsidenten Mohammed Iya (62) Mitte des Jahres 2013, bei der die Politik Einfluss genommen haben soll. Die Suspendierung wurde zwar wieder aufgehoben, doch ein gewähltes Gremium steht dem kamerunischen Fußball derzeit nicht vor. Denn seitdem führt eine von der FIFA eingesetzte Notfall-Kommission "zur Normalisierung" die laufenden Geschäfte des Verbands.

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Und auch im sportlichen Bereich blieben Querelen nicht aus. Verantwortlich dafür war Kapitän und Stürmerstar Samuel Eto'o. Der Chelsea-Angreifer erklärte im September 2013 mal wieder seinen Rücktritt aus der Nationalelf, kehrte aber rechtzeitig für die Play-offs gegen Tunesien zurück. Dass Kamerun überhaupt in die entscheidende Phase einzog, war auch dem Umstand geschuldet, dass die mit 0:2 verlorene Partie in Togo nachträglich in einen 3:0-Sieg für die "unzähmbaren Löwen" umgedeutet wurde, da die Togolesen einen nicht spielberechtigten Akteur eingesetzt hatten. In den Play-offs setzte sich Kamerun dann aber souverän mit 0:0 und 4:1 gegen Tunesien durch.

Der Trainer

Volker Finke

Volker Finke auf der Trainerbank Kameruns. imago

Die Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien war auch ein persönlicher Triumph für Nationaltrainer Volker Finke. Als der deutsche Coach im Mai 2013 im dem fußballverrückten Staat nahe des Äquators anheuerte, wurde er noch kritisch beäugt. "Wir brauchen keinen neuen Trainer, erst recht keinen Ausländer, der ein riesiges Monatsgehalt verdient" wettere Kameruns Fußball-Idol Roger Milla gegen die Verpflichtung Finkes, der als vierter deutscher Trainer nach Peter Schnittger, Winfried Schäfer und Otto Pfister die "unzähmbaren Löwen" übernahm.

Finke belehrte seine Widersacher aber schnell eines Besseren. Der 66-Jährige bezog einen Wohnsitz in der Hauptstadt Yaoundé, bereiste das Land von Norden bis Süden und Westen bis Osten um bei etlichen Partien vor Ort Spieler zu sichten. Der der französischen Sprache mächtige Finke konnte zudem seine profunden Kenntnisse über den afrikanischen Fußball in die Waagschale werfen. Eine Folge seiner Zeit beim SCF, in der er etliche afrikanische Spieler geholt und trainiert hatte, sowie seiner regelmäßigen Besuche des Africa Cup of Nations. Peu à peu steigerte sich Kamerun unter Finkes Leitung und belohnte sich am Ende mit der WM-Qualifikation selbst.

Der gute Auftritt der Nationalmannschaft und die WM-Teilnahme sind Vorbild für die ganze Nation und beflügeln alles, was in Kamerun geschieht.

Nationalcoach Volker Finke über die Bedeutung der "unzähmbaren Löwen" für Kamerun

Doch Finke überzeugte nicht nur durch Sachverstand, sondern auch durch Glaubwürdigkeit. Denn der welterfahrene und eloquente Finke passte sich schnell den heimischen Gegebenheiten und der Mentalität an und konnte durch tatkräftige Unterstützung auch abseits des Rasens bereits viel bewegen. Spätestens mit der Qualifikation für die WM 2014 ist ihm ungeteilte Akzeptanz im ganzen Land gewiss.

Mannschaft & Spielsystem

Finke kündigte an, der Mannschaft "einen modernen Fußball, wie er sich in Europa durchsetzt, spielen zu lassen". Die Grundzutaten dazu sind aus seiner Freiburger Zeit bekannt: Hohe Laufbereitschaft, taktische Flexibilität, Pressing und Gegenpressing sollen die Löwen zum Erfolg führen. Als Grundformation dient dabei ein 4-3-3-System, ohne allerdings darauf fixiert zu sein.

Mittlerweile hat die Mannschaft die Vorstellungen Finkes im Großen und Ganzen verinnerlicht. Die Abwehr mit den beiden Innenverteidigern Nicolas Nkoulou (Olympique Marseille) und Aurelien Chedjou (Galatasaray Istanbul) steht stabil. Im defensiven Mittelfeld ist Alexandre Song gesetzt, auch wenn der Neffe von Rekordnationalspieler und Teammanager Rigobert Song über eine Ergänzungsrolle beim FC Barcelona nicht hinauskommt. Im zentralen Mittelfeld zieht Jean Makoun (Stade Rennes) die Fäden.

Der absolute Star der Mannschaft ist aber Angreifer Samuel Eto'o, auf den folgerichtig die Hoffnungen am Zuckerhut ruhen. "Er ist immer noch der Spieler, der den Unterschied machen kann. Ein entscheidender Spieler für uns", urteilt Finke diplomatisch über den kapriziösen Stürmer, der mit 55 Treffern Rekordtorschütze seines Heimatlandes ist. Denn Eto'os Verhältnis zu Finke und auch zu Song ist selbst nach seinem Comeback nicht ganz ungetrübt. Der 33-Jährige klagte über eine angebliche Isolierung im Team und äußerte krude Befürchtungen vor einem Giftanschlag im Mannschaftsquartier. "Das ist Kindergarten-Niveau", stutzte Finke sein Aushängeschild bereits zurecht.

Finke wird am Zuckerhut auch auf Power aus Deutschland setzen. Denn Schalkes Verteidiger Joel Matip kann sich ebenso Hoffnungen auf eine Berufung machen wie die Angreifer Jacques Zoua (Hamburger SV), Eric Maxim Choupo-Moting (1. FSV Mainz 05) und Mohamadou Idrissou von Zweitligist 1. FC Kaiserslautern.

Erwartungen & Aussicht

Die Qualifikation Kameruns haben die Träume der Fans zwischen Garoua, Yaoundé und Douala in ungeahnte Höhen sprießen lassen. "Im Grunde ist die Erwartungshaltung, dass wir ins Endspiel kommen", berichtet Finke von der Stimmung vor Ort. Dabei erwischten die "unzähmbaren Löwen" mit Gastgeber und Rekordweltmeister Brasilien, Kroatien und Mexiko nicht gerade eine leichte Gruppe, ein erneutes Aus schon nach der Vorrunde wäre keine Überraschung.

Im Grunde ist die Erwartungshaltung, dass wir ins Endspiel kommen.

Kameruns Trainer Volker Finke

Denn auch bei der WM 2010 scheiterte Kamerun ohne einen einzigen Punkt bereits nach der Vorrunde aus und präsentierte sich nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz als reine Ansammlung von zerstrittenen Individualisten. Zudem wurden die beiden letzten Afrikameisterschaften 2012 und 2013 verpasst. Eine nicht für möglich gehaltene Schande für den viermaligen kontinentalen Titelträger. Doch all diese Fakten tangieren die Euphorie der Anhänger nicht im Geringsten. Viele hoffen stattdessen auf eine Wiederholung des "Wunders von 1990", als Kamerun um die Lichtgestalt Milla mit tollem Offensivfußball als erste afrikanische Mannschaft überhaupt bis ins Viertelfinale stürmte.

Ob ein solcher Parforceritt am Zuckerhut gelingt, hängt vor allem davon ab, wie gefestigt der von Finke neu eingeimpfte Teamgeist wirklich ist. Hält der Zusammenhalt an, könnte Kamerun tatsächlich eine deutlich bessere Rolle als bei den letzten Turnieren spielen. Sollten allerdings bei ersten Rückschlägen alte Gräben wieder aufreißen, steht ein erneut bescheidenes Abschneiden zu befürchten. Wie es um die Stärke Kameruns, mit sieben WM-Teilnahmen seit 1982 übrigens Rekordhalter Afrikas, bestellt ist, können sich die deutschen Fans übrigens noch vor der WM persönlich ein Bild machen: Denn am 1. Juni trifft die DFB-Auswahl in Mönchengladbach in ihrem vorletzten Testspiel auf die "unzähmbaren Löwen".

Samuel Eto'o: Der Anführer der "unzähmbaren Löwen"