WM

Seleçao im Aufwind: Wie Brasilien das 1:7 gegen Deutschland abgehakt hat

Vier Jahre nach dem Halbfinal-Drama gegen Deutschland

Zwei Klassen besser? Wie Brasilien das 1:7 abgehakt hat

Gefühlt zwei Welten: Brasilien 2018 und Brasilien 2014.

Gefühlt zwei Welten: Brasilien 2018 und Brasilien 2014. Getty Images

Wo warst Du, als der nationale Fußball zusammenbrach?

Die Frage - eine niederländische Abendzeitung hatte sie am Tag nach dem historischen WM-Halbfinale gegen Deutschland gestellt - kann auch heute noch jeder Brasilianer beantworten.

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Ramses Becker Alisson

Weltmeisterschaft - Tabelle - Gruppe E
Pl. Verein Punkte
1
Serbien Serbien
3
2
Brasilien Brasilien
1
Schweiz Schweiz
1

Heute, das sind fast vier Jahre nach dem 1:7, der "größten Schande der Geschichte", dem "historischen Debakel", der "Tragödie", dem "Massaker", der "Demütigung", dem "deutschen Amoklauf", dem Tag, an dem Brasilien "den Preis für sieben Todsünden" bezahlte.

Niemals wird dieses Halbfinal-Aus der Seleçao in Vergessenheit geraten, schon gar nicht beim erneuten Aufeinandertreffen mit dem Weltmeister. "Das 7:1 ist ein Gespenst", ließ Nationalcoach Tite im kicker-Interview (Montagsausgabe) tief blicken. "Es ist passiert und es ist weiter präsent, die Wunde ist noch immer offen." Er selbst war damals noch nicht im Amt, saß wie mehrere hundert Millionen Zuschauer als Fan vor dem Fernseher. "Nach dem dritten Gegentor fing meine Frau an zu weinen."

Tor für Deutschland! Brasiliens langer Galgenhumor

Die schmerzlichen Worte der in Belo Horizonte anwesenden Kommentatoren hatten den Alltag der stolzen Fußballnation auch ein Jahr danach noch begleitet. Wenn immer etwas schiefging, soll "Gol da Alemanha" als passende Umschreibung gedient haben. Tor für Deutschland. Die Witze darüber hätten etwas Spielerisches, meint Tite, "nichts Verunglimpfendes".

Ob Brasilien das "Drama daheim" überwunden hat oder nicht, spielt 2018 erst mal keine Rolle. Natürlich wird darüber gesprochen werden, sollte der Rekordweltmeister in Russland erneut die Runde der letzten Vier erreichen oder gar vorher - vielleicht auch nachher - wieder auf Deutschland treffen. Für Tite ist der Test in Berlin "Teil des Prozesses der Verarbeitung".

Das 7:1 ist ein Gespenst. Es ist passiert und es ist weiter präsent, die Wunde ist noch immer offen.

Brasiliens neuer Trainer Tite

Bis zur Endrunde hat das Wundenlecken nahezu perfekt geklappt. Das Olympia-Finale gegen eine deutsche Nachwuchself gewann eine brasilianische Nachwuchszehn plus Neymar im Elfmeterschießen. Nach Gastgeber Russland hat sich Tites Team als erstes für das Turnier im Juni qualifiziert.

Am Dienstag (20.45 Uhr, LIVE! bei kicker.de) steht eine von vier Generalproben an, im Olympiastadion kann Marcelo sich zum ersten Mal zumindest etwas für das "Massaker" revanchieren. Außer dem Linksverteidiger ist fast keiner übriggeblieben von der Elf, die Anfang Juli 2014 für bittere Tränen bei Kindern, Eltern, Großeltern und Tites Frau gesorgt hatte.

Die letzten Verbliebenen und der Neuanstrich

Fernandinho dürfte der andere Verbliebene sein, der es eventuell noch in die Anfangself schafft, ansonsten hat Tite dem Aufgebot einen völlig neuen Anstrich verpasst. Dani Alves, damals nur als Bankwärmer gefragt, wird wohl den Gegenpart zu Marcelo auf der rechten Abwehrseite übernehmen.

Torhüter Julio Cesar, der anders als große Teile der fast 60.000 Zuschauer erst nach Abpfiff seinen Emotionen freien Lauf gelassen hatte, ist längst nicht mehr dabei. Dafür steht mit Roma-Schlussmann Alisson, einer der gefragtesten Shootingstars der laufenden Saison , zwischen den Pfosten. Maicon, David Luiz, Luiz Gustavo, Dante, Bernard, Oscar, Hulk, Fred - sie alle sind entweder zu alt oder nicht mehr gefragt.

Aggressivität, Stabilität, viel Tempo - und Renato Augusto

Paulinho

Eine der zentralen Figuren unter Tite: Paulinho. imago

Stattdessen reist die Seleçao mit einem der talentiertesten Kader nach Russland - ob mit Neymar oder ohne. Im Mittelfeld ist neben Casemiro und Paulinho (2014 ebenso Joker) - Spielern, die nur selten einen Zweikampf verlieren - ein etwas alternder Renato Augusto so gut wie gesetzt. Das Trio (zum Teil auch mit Fernandinho anstelle von Renato Augusto) sorgt für eine viel bessere Balance zwischen Defensive und Offensive.

Ganz vorne hat Tite die Qual der Wahl: Ist Neymar fit, wird der Kapitän auch auflaufen. Als Alternative für die linke Offensivseite stünde mit Coutinho derjenige bereit, der Neymars Erbe in Barcelona angetreten hat. Natürlich können auch beide gemeinsam spielen. Ansonsten sorgen Willian, Douglas Costa, Roberto Firmino und Gabriel Jesus für mehr Tempo als Usain Bolt beim BVB-Probetraining .

Ich finde Brasilien zwei Klassen besser als 2014.

Toni Kroos über die "neue" Seleçao

Eine echte "Neun", wie sie Joachim Löw mit Sandro Wagner oder Mario Gomez wieder haben könnte, braucht Tite daher nicht. Die echte Neun, die 2014 beim 1:7 auf dem Feld gestanden hatte, bekam wie fünf ihrer Kollegen die kicker-Note 6. Danach lief Fred nie wieder für sein Land auf.

Tempo und Technik, Stabilität und Aggressivität; die fast perfekte Qualifikation (eine Niederlage in 18 Spielen) war eine Ansage an die Konkurrenz, die Tordifferenz (41:11) ein Beleg für die stimmende Balance und das wiedererlangte Selbstvertrauen. Es passt vorne und hinten, weil - so sieht es Bundestrainer Joachim Löw - "selbst Neymar und Coutinho wahnsinnig intensiv nach hinten arbeiten".

Brasilien 2018 ist nicht Brasilien 2014. Toni Kroos pflichtete Löw bei, der den kommenden Gegner "entscheidend verbessert" und mit einer "neuen Mentalität" sieht, "seit der neue Trainer da ist". "Ich finde Brasilien zwei Klassen besser als 2014", meint Kroos. Das 1:7 sei abgehakt, aber nicht vergessen. Denn - so schön der neue Anstrich auch glänzt - "das wird man so schnell nicht".

Mario Krischel

Bundesliga, Doping, 1:7: Brasiliens Kader im Porträt