EM

Ein fehlgeleiteter Modus und freundliche Gastgeber

C'est la vie - der kicker unterwegs in Frankreich

Ein fehlgeleiteter Modus und freundliche Gastgeber

Positive und negative Seiten: Die UEFA Euro 2016 in Frankreich.

Positive und negative Seiten: Die UEFA Euro 2016 in Frankreich. picture alliance

Gaudemar Charpinel muss ein glücklicher Mann gewesen sein. Der Gute brauchte kein Internet. Nun, er war ja auch kein Schreiberling. Eher ein Reiterling. 1096 machte er sich auf, im Heer des Grafen von Toulouse das gelobte Land zu erobern. Diesem Sachverhalt ist auch die erste urkundliche Erwähnung seines Heimatdörfchens Dargoire in der Region Auvergne-Rhone-Alpes zu verdanken, quasi mittig zwischen den EM-Spielorten Lyon und Saint-Etienne gelegen, aber eben so gut wie ohne funktionierende Internetverbindung.

Der gute Gaudemar hatte nicht mehr allzuviel von den grün bewachsenen Hügeln seiner Heimat, vom Kreuzzug kehrte er nicht mehr heim.

Kreuzfahrer gab es auch bei dieser EM. Leider. Russische Schlägerbanden, eine Handvoll Deutscher, die in Lille die Reichskriegsflagge hisste. Sport kann missbraucht werden für Botschaften. Das wussten sie schon in den 1930ern. Das wissen sie auch heute, wie der alternativ denkende (?) Teil der politischen Kasten ganz besonders im Dunstkreis der Partien der deutschen Nationalmannschaft in den sozialen Netzwerken beweist.

Man kann ein schlechtes Bild von diesem Turnier haben.
Weil der Fußball - im Übrigen nicht nur der von der Uefa veranstaltete - ein bis zum Gehtnichtmehr durchchoreographiertes Event geworden ist. Weil die Albaner dank eines fehlgeleiteten Modus' drei Tage lang warten mussten, um dann doch nicht in die K.o.-Runde einzuziehen. Weil die Funktionäre ihr Turnier um Gottes Willen nicht mit einem Kindergarten verwechselt wissen wollen - es sei denn, die Kinder tragen die Kluft mit dem Logo des gönnerhaften Sponsoren, dessen Produkt mit Leistungssport so viel zu tun hat wie die Niederlande mit dem 2016er EM-Titel.

Man muss aber kein schlechtes Bild von diesem Turnier haben.
Weil der Sicherheitsmann in Marseille, der bei 35 Grad im Schatten die Journalisten abtasten muss, trotz dieses wirklich zweifelhaften Vergnügens noch so viel gute Laune hat, dass er einen verstohlenen Blick auf meine Akkreditierung wirft und mich mit einem "Bonjour, Bä-Scha-Mäh", also "guten Tag, Benjamin", verdutzt. Weil Evelyne, die Hausherrin unseres Zweitquartiers in Aix-en-Provence, mir kurzerhand ihr Fahrrad leiht. Weil Yvette, Hausherrin der internetfreien Herberge in Dargoire, in unserer fünftägigen Absenz ungefragt alles, was sie an Klamotten in der Wohnung findet, wäscht und bügelt. Weil wirklich jeder Volunteer erstmal ein Lächeln auf dem Gesicht hat und nie die Nerven verliert mit der Journaille - und das ist oft gar nicht so einfach.

Sport verbindet keine Völker. Aber er kann eine Plattform bilden, auf der Menschen agieren im Sinne der Völkerverständigung. Jedes Lächeln in Frankreich zeigt, dass der europäische Gedanke es verdient hat, am Leben zu bleiben. Vive L'amitie!

Zur EM gehört weitaus mehr als nur der Fußball an sich: Land und Leute, Fans und Stimmung, Kultur und Kurioses. 14 kicker-Reporter sind vor Ort in Frankreich, um auch von außerhalb der Stadien zu berichten.

Benni Hofmann