EM

Ein Kaff, das in Frankreich jeder kennt

C'est la vie - der kicker unterwegs in Frankreich

Ein Kaff, das in Frankreich jeder kennt

Ruhe zur Vorbereitung: Das Leistungszentrum des französischen Fußballverbandes.

Ruhe zur Vorbereitung: Das Leistungszentrum des französischen Fußballverbandes. picture alliance

Aus Clairefontaine berichtet Mounir Zitouni

Der Unterschied könnte nicht größer sein. Dort die pulsierende Hauptstadt, die einen mit den vielen Menschen, Autos und Bussen nie zur Ruhe kommen lässt, da der kleine beschauliche Ort mit seinen gut 850 Einwohnern mitten im Nirgendwo, umsäumt vom Foret de Rambouillet, einem 200 Quadratkilometer großen Forst, der zu den größten der "Ile de France" gehört.

Kilometerlang fährt man nach der Autobahnabfahrt durch den Wald und dann ist man plötzlich da: Clairefontaine. Für jeden französischen Fußball-Fan ein Name mit magischen Klang. "In Frankreich kennen alle dieses Kaff", sagt TV-Journalist Clement Cheveau. Der Grund dafür liegt gut geschützt hinter hohen Mauern und nennt sich "Centre Technique Nationale du Football", das Leistungszentrum des französischen Fußballverbandes.

1988 eröffnete der ehemalige Verbandspräsident Fernand Sastre diesen Komplex, der mit der Fußball-WM 1998 im eigenen Land weltweite Berühmtheit erlangte. "Die Bilder, wie der Bus der französischen Mannschaft vor dem Finale in Paris hier losfuhr und aufgrund der Menschenmassen kaum vorankam, hat sich für jeden in der Erinnerung eingenistet", erzählt Cheveau. Im Ort gibt es nicht viel. Der Verband hat 150 Flaggen verteilt, um ein wenig EURO-Stimmung zu verbreiten. Doch auf den menschenleeren Straßen will die nur schwer aufkommen. Nach dem Sieg gegen Irland hatten sich immerhin 20 Bewohner am Eingang eingefunden, unter anderem der Bürgermister, um das Team von Didier Deschamps zu empfangen. Eine nette Geste.

Ort der Vorbereitung seit fast 30 Jahren

Mitten auf dem Geländer: Ein großer WM-Pokal.

Mitten auf dem Geländer: Ein großer WM-Pokal. picture alliance

Seit nun beinahe 30 Jahren bereitet sich die Nationalmannschaft in Clairefontaine auf die großen Spiele und Turniere vor. Das Gelände ist 56 Hektar groß, und bietet alles, was das Fußball- und Wissenschaftsherz begehrt. Neun Fußballplätze, ein kleines Stadion, ein modernes Pressezentrum, sportwissenschaftliche Einrichtungen auf höchstem internationalem Niveau und ein Schloss, in dem die Spieler bestens nächtigen. Der herausragende Dokumentarfilm "Les yeux dans les bleus", der die WM-Kampagne 1998 aus allernächster Nähe mit höchst beeindruckenden Bildern schilderte, ließ das große Publikum vor 18 Jahren zum ersten Mal auch visuell an dem Leben der Equipe Tricolore hinter den Mauern teilhaben. "Das Symbol ist das Schloss. Wenn du dort an den Treppen angekommen bist, die nach oben führen, bist du bei der Nationalmannschaft angekommen", sagt der französische Journalist, der an diesem Tag wie 50 andere Medienvertreter nach Clairefontaine gekommen ist. Eine Pressekonferenz mit Olivier Giroud und Adil Rami steht an. Gegenüber des Geländes ist ein Medienzentrum eingerichtet worden. Die französischen Medien sind hier dauerhaft zu Gast, so dass ein Großteil der Journalisten im nicht weit entfernten Rambouillet nächtigt. "Wenn die Nationalmannschaft hier ist, ist Rambouillet in der Hand von Journalisten. In Clairefontaine gibt es nämlich keine Hotels. Für die meisten lohnt es sich nicht, jeden Tag von Paris hier raus zu fahren, also bleiben sie hier", erzählt Cheveau.

Erinnerung an 1998

30 Minuten vor Beginn der Pressekonferenz versammeln sich die Journalisten vor dem Eingangstor der Sportschule. Als es geöffnet wird, geht es zehn Minuten über das Gelände zum futuristisch anmutenden Pressezentrum. Überall stehen Ordner, die aufpassen, dass kein Journalist Abwege betritt. Auch Fotos sind nicht erlaubt. Kurz vor dem Ziel würde sich ein Schnappschuss allerdings lohnen. Mitten auf der Wiese steht ein mannshoher Weltpokal. Die Erinnerung an 1998. Olivier Giroud war da gerade mal elf Jahre alt. Er bildet die vierte Generation an Spielern, die sich hier auf große Turniere vorbereiten. Auch er kennt die Bilder vom 13. Juli, als sich mehrere tausende Fans zum Schloss aufmachten, um ihre Weltmeister zu grüßen. Gibt es am 11. Juli eine Wiederholung? Giroud hofft es. Dann würde Clairefontaine ein weiteres prächtiges Kapitel seiner bald 30-jährigen Geschichte anfügen.

Zur EM gehört weitaus mehr als nur der Fußball an sich: Land und Leute, Fans und Stimmung, Kultur und Kurioses. 14 kicker-Reporter sind vor Ort in Frankreich, um auch von außerhalb der Stadien zu berichten.