EM

Der zweite Frühling des Alan Dzagoev

Russland: Youngster im Rampenlicht

Der zweite Frühling des Alan Dzagoev

Geht lieber auf dem Rasen aus sich heraus: Alan Dzagoev.

Geht lieber auf dem Rasen aus sich heraus: Alan Dzagoev. picture alliance

Wie wild lief Alan Dzagoev Wolfgang Stark hinterher. Unfair sei er von den Beinen geholt worden, wollte er dem deutschen Referee lautstark deutlich machen. Der unterbrach das Spiel sofort - und zeigte dem Wüterich Gelb wegen Meckerns.

Auch die Medienvertreter hätten von Dzagoev nach dem Spiel, dem 1:1 gegen Polen am Dienstagabend in Warschau, gerne etwas zu hören bekommen; der Mittelfeldspieler, mit drei Toren die Entdeckung schlechthin der ersten EM-Tage, verschwand jedoch kommentarlos im Mannschaftsbus und erklärte später: "Ich versuche so selten wie möglich Interviews zu geben. Es ist besser, ich spiele gut, als dass ich darüber erzähle. Natürlich spielen wir für die Fans, aber bisher habe ich noch nichts gewonnen, um das Recht zu haben, Interviews zu geben. Das ist noch zu früh."

Ein bemerkenswerter Kommentar, erst recht für einen Spieler, der seit fast sechs Jahren im Profigeschäft unterwegs ist. Dzagoev ist ein Shootingstar und gehört doch längst zum russischen Inventar. Mit 16 Jahren schoss er sechs Tore in der zweiten russischen Liga, ZSKA Moskau schlug sofort zu. Mit 18 Jahren begeisterte er das Oberhaus mit zwölf Toren und neun Vorlagen. Mit 18 Jahren und 116 Tagen wurde er jüngster Feldspieler der russischen Nationalmannschaft aller Zeiten, als Joker traf er beim WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland in Dortmund (1:2) kurz vor Schluss den Pfosten.

Dzagoev spielt nicht wegen des Ruhmes oder wegen des Geldes Fußball, sondern einfach, weil Fußball sein Leben ist.

Igor Rodkin, Jugendtrainer von Alan Dzagoev

Ein Senkrechtstart, gefolgt von den üblichen Abwerbeversuchen (u.a. Real Madrid und AC Mailand), denen er allesamt widerstand. "ZSKA ist für mich wie eine große Familie. Ich hatte großes Glück mit diesem Klub", sagt Dzagoev, wenn er einmal etwas sagt. Zurückhaltung, die er auf dem Rasen regelmäßig abschüttelt: Das 70-Kilogramm-Leichtgewicht liebt es, mithilfe seiner Beidfüßigkeit durch gegnerische Abwehrreichen zu dribbeln und auch mal egoistisch selbst abzuschließen. "Meine Tore waren nur ein Bonus", befand er nach dem 4:1-EM-Auftaktsieg gegen Tschechien trotzdem.

Die Mutter bringt Klein-Alan zum Fußball

Dzagoev ist anders, das zumindest legen einige Anekdoten aus seiner Laufbahn nahe. Seine Mutter war es, die ihn für den Fußball begeisterte, sie meldete ihn einst zusammen mit seinem Bruder Gela im Fußballinternat in Samara an der Wolga an. Seine ersten Fußballschuhe, berichtete er einmal, habe er "einige Tage nicht ausgezogen", nicht mal in der Schule. So begeistert sei er gewesen. Später, in seinen ersten Jahren bei ZSKA, soll ihm sein Vater verboten haben, mit dem Auto zum Training zu fahren. Dzagoev fuhr mit dem Bus, die Teamkollegen mit Luxuskarossen.

"Dzagoev spielt nicht wegen des Ruhmes oder wegen des Geldes Fußball, sondern einfach, weil Fußball sein Leben ist", charakterisiert Jugendtrainer Igor Rodkin seinen ehemaligen Schützling. "In unserer Zeit ist das eine Seltenheit, wenn für einen Spieler der Sieg wichtiger ist als die Prämie. Alan ist genau so ein Typ." Ein anderer, Russlands Ex-Nationaltrainer Valery Gazzaev, sagt: "Dzagoev hasst Pathos, und das ist ein großes Plus." Er sei "der kompletteste Spieler der Sbornaja".

Dzagoev überzeugt bei der EM - er muss es auch

"Der neue Arshavin", jubelte man in Russland nach den ersten beiden Spielen schon. Es könnte eine große EM für den Zweitjüngsten im russischen Kader werden; doch nicht wenige sagen: Das muss sie auch werden. Denn Dzagoevs Stern schien in der abgelaufenen Saison zu verblassen, auf dem Weg zu einem großen Spieler ging es plötzlich nicht mehr weiter.

Wer schafft's ins Viertelfinale?

Da war die Torquote, die mit sechs Treffern in 48 Pflichtspielen so niedrig war wie noch nie. Da war ein Konflikt mit Trainer Leonid Slutsky, der Dzagoev zwischenzeitlich in die zweite Mannschaft verbannte. Und da war eine Verletzung im Frühjahr, die Zweifel aufkommen ließ, ob er zur EURO in der nötigen Verfassung sein werde.

Doch Fußball-Europa entdeckte ihn aufs Neue, mit 21, bald 22 Jahren, erlebt der Youngster seinen zweiten Frühling. Er entschied den Konkurrenzkampf mit Marat Izmaylov für sich, sorgte gegen Tschechien für zahlreiche Überraschungsmomente und zeigte gegen Polen sogar Klasse mit dem Kopf. "Eigentlich hätte ich in der Szene bei der Ausführung des Standards gar nicht in den Strafraum gehen sollen. Aber ich wusste, dass Arshavin oft in diese Zone flankt und habe mich entschlossen einzugreifen", schilderte er inzwischen. "Es war einfach Intuition."