Bundesliga

"Boss, wir müssen Spiele kaufen!"

Vor 45 Jahren kam der Bundesliga-Skandal ins Rollen

"Boss, wir müssen Spiele kaufen!"

Als man im Gericht noch rauchen durfte: Horst Gregorio Canellas beim DFB-Prozess gegen Schalke am 27. Juli 1971.

Als man im Gericht noch rauchen durfte: Horst Gregorio Canellas beim DFB-Prozess gegen Schalke am 27. Juli 1971. imago

"Profifußball hat mit Sport nichts zu tun!" DFB-Chef-Ankläger Hans Kindermann kehrt mit eisernem Besen über die Lieblings-Liga der Deutschen. Als sich die Offenbacher Kickers aus der Beletage des deutschen Fußballs als Vorletzter verabschieden, ahnt noch niemand, dass ihr Präsident die Bombe platzen lässt. Am 6. Juni, einem strahlend-blauen Sommertag, drückt Horst-Gregorio Canellas um 12 Uhr den Knopf seines Tonbandes. Die eingeladene Prominenz seiner Geburtstagsfeier traut ihren Ohren nicht: Die aufgezeichneten Telefonate mit Spielern, Funktionären und Vermittlern löst einen Skandal unvorhersehbaren Maßes aus: Es geht um manipulierte Spiele und Schmiergelder von über einer halben Million Mark.

50 Spieler und sechs Funktionäre werden bestraft

Gerüchte gibt es längst, allein die Beweise fehlen. Ein dreckiger Sumpf bringt plötzlich ans Tageslicht, was nie hätte an die Oberfläche kommen sollen. 2300 Mark erhält etwa jeder Schalker Spieler als "Belohnung" für eine Niederlage gegen die abstiegsbedrohte Arminia aus Bielefeld am 17. April. Klaus Fischer und Rolf Rüssmann müssen tief in die Taschen greifen: Über 12.000 DM Geldbuße wird ihnen auferlegt, dazu Spielsperren von einem Jahr. Andere, wie Reinhard "Stan" Libuda, sollen nie mehr spielen dürfen. Er wird am 5. Januar 1974 begnadigt. Über 50 Spieler, zwei Trainer (Egon Piechaczek von Bielefeld und Günther Brocker von Oberhausen) und sechs Funktionäre werden drakonisch bestraft. Zwei Klubs (Kickers Offenbach und Arminia Bielefeld) wird die Lizenz entzogen.

Die kicker-Ausgabe vom 10.6.1971:  Canellas (re.) präsentiert das legendäre Tonband.

Die kicker-Ausgabe vom 10.6.1971: Canellas (re.) präsentiert das legendäre Tonband. imago

Viereinhalb Jahre zieht sich der Prozess, vor allem gegen die Schalker Spieler, hin. Dann legen die "Knappen" ein Geständnis ab und entgehen so nur hauchzart einer Gefängnis-Strafe. "Boss, wir müssen Spiele kaufen", wird in jener Zeit zu einem traurigen running gag. Viele Spieler holen sich später clevere Anwälte an die Seite und zerren den DFB immer wieder vor Gericht. Nach und nach werden viele kleine und große Bestechungssünder begnadigt. Die junge Bundesliga erleidet indes einen bösen Image-Verlust: In der Folge-Saison 1971/72 kommen 800.000 Zuschauer weniger in die Stadien, ein Jahr später gar 1,3 Millionen weniger. Pro Spiel sinkt der Schnitt auf 16.372 - ein Minusrekord bis heute.

Kobluhn bekommt die Kanone verspätet

Torschützenkönig wird übrigens Lothar Kobluhn. Lothar wer? Es kann nur einen geben, heißt es zu dieser Zeit in der Torschützenliste der Bundesliga: Gerd "Bomber" Müller. Ein 28-jähriger Nobody unterbricht mit 24 Treffern die Serie des Bayern-Knipsers, der zwei Jahre vorher und drei Jahre danach der Schrecken aller Keeper war und wird. Ein Mittefeldspieler sichert somit RW Oberhausen den Klassenerhalt. Da RW in den Bundesliga-Skandal verwickelt ist, wird Kobluhn die Torjäger-Kanone verwehrt. 2007 entscheidet der kicker, ihm diese nachträglich zukommen zu lassen: "Kaum sind 36 Jahre vorüber, sind die Diskussionen auch schon beendet", so der süffisante Kommentar des 64-jährigen gebürtigen Oberhauseners.

kon

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