1. Schweinsteiger herrscht wieder - aber nur 70 Minuten
Die FIFA kürte Bastian Schweinsteiger am Donnerstag nicht zum "Man of the Match" - doch da irrte der Weltverband. "Da muss man schon ein Tor schießen", sagte der stattdessen Ausgezeichnete - doch da irrte Thomas Müller. Im WM-Viertelfinale 2010 gegen Argentinien (4:0) nämlich, als Schweinsteiger letztmals diese persönliche Trophäe entgegennehmen durfte, war er ebenfalls nicht unter den Torschützen, sondern vor allem, wie der "kicker" damals notierte, der "Herrscher im Mittelfeld".
Und genau dieser Rolle kam Schweinsteiger vier Jahre später im dritten WM-Gruppenspiel gegen die USA (1:0) mal wieder sehr nah, nah wie lange nicht mehr. "Er war kämpferisch, solange seine Kräfte gereicht haben, sehr, sehr gut, hatte ein hohes Laufpensum und war auch dafür verantwortlich, dass wir eine gute Organisation hatten", adelte ihn Bundestrainer Joachim Löw. Schweinsteiger den Vorzug vor dem ausgelaugten Sami Khedira zu geben, zahlte sich im regnerischen Recife voll und ganz aus.
Die Balance, beim 2:2 gegen Ghana nach der Pause der Schwachpunkt schlechthin, kehrte ins deutsche Spiel zurück. Mit Schweinsteiger, dem Strategen. "Man sieht, dass er den Rhythmus vorgibt", beobachtete Keeper Manuel Neuer. "Da tut uns einfach gut, dass jemand ein bisschen die Kontrolle hat. Man merkt einfach, dass er wieder da ist." Wenn auch nur für 70 Minuten, dann, merkte Müller an, "war er ein bisschen platt".
Dass Schweinsteiger in der Mittelfeld-Schaltzentrale von zwei Bayern-Kollegen, Philipp Lahm und Toni Kroos, unterstützt wurde, half gewiss: Die Abstimmung in diesem Bereich stimmte, die DFB-Elf war stabil, kaum anfällig. "Unser Mittelfeld", stellte Löw demonstrativ die Fortschritte gegenüber dem Ghana-Spiel hervor, "war insgesamt sehr stark, hat das Spiel beherrscht und gut Druck gemacht." Herrschen - an diesem Wort kam man wie damals 2010 nicht vorbei.
2. Ballbesitz ist nicht alles - hat aber unbestreitbare Vorteile
Das deutsche Mittelfeld war gegen zurückhaltende Amerikaner der Hauptgrund für eine Passquote von 91 Prozent, einen Zweikampfwert von 54 Prozent, einen Ballbesitzanteil von 68 Prozent. "Es war ein deutscher Monolog", philosophierte die spanische Zeitung "Sport" anerkennend. Nur: Ein Monolog kann auf Dauer auch ganz schön langweilig sein.
Im ersten Durchgang sah das deutsche Spiel zu oft so aus: viele Pässe, einige Flanken, manche Halbchance, kein Ertrag. Wieder einmal tat sich Löws Elf mit einem tiefstehenden Kontrahenten schwer, weil es vorne an Bewegung und Kreativität mangelte. "Der entscheidende Pass, der entscheidende Laufweg - da müssen wir besser harmonieren", räumte Kapitän Philipp Lahm ein. Auch der Bundestrainer sah am Donnerstag "die Pässe im letzten Drittel" als größtes Manko an.
Allerdings demonstrierte Deutschland auch, worin der unbestreitbare Vorteil dieser Pass-Dauerschleife liegen kann, die gerne als langweiliges Ballgeschiebe verunglimpft wird: Der Gegner läuft hinterher, ist auf Fehler angewiesen, um selbst die Initiative zu ergreifen, findet seinerseits nicht ins Spiel. Und genau diese Fehler stellten Lahm & Co. diesmal ab, zu einem offenen Schlagabtausch wie noch gegen Ghana kam es nicht. "Die Organisation", konstatierte Löw erleichtert, "war schon wieder viel besser."
3. Löw hat einen WM-Torjäger - braucht Klose aber unbedingt
Die Debatte um die vier Innenverteidiger, die Debatte um Lahm (die Debatte, ob sich Löw in der Halbzeit gegen die USA die Haare geföhnt hat): Fußball-Deutschland hat schon so manches Thema bei dieser WM beschäftigt. Über die falsche Neun dagegen spricht aktuell keiner mehr. Und das hat Thomas Müller ganz alleine geschafft.
Mit seinem neunten Tor im neunten WM-Spiel machte sich der erst 24-Jährige schon zum zweiten Mal in Brasilien zum Matchwinner, gleichauf mit Lionel Messi und Neymar führt er die Torschützenliste an. "Er hat schon in der Vorbereitung gezeigt, dass er körperlich und mental unglaublich gut drauf ist. Er ist für den Gegner schwer zu packen, weil er sehr schlaue Wege geht. Und er ist im Strafraum immer da", fühlt sich Löw in seinem Credo bestätigt, seine Mannschaft enthalte sehr wohl Spieler, die Tore schießen können.
Es ist fast schon pervers, wie er uns immer auch zur richtigen Zeit Tore beschert.
Per Mertesacker über Thomas Müller
Volland? Kruse? Kießling? Löw hat seinen WM-Torjäger gefunden. Dass Müller gegen die USA erst nach der Pause zuschlug, ist aber vermutlich trotzdem kein Zufall: Auch Löw war nicht entgangen, dass die fehlende Durchschlagskraft in Hälfte eins auch mit Müllers "schlauen Wegen" zusammenhing - oft fehlte er dann in der Mitte. Klose machte das deutsche Spiel zielführender und unterstrich: Ihn, den 36-jährigen Stürmerfuchs, braucht die DFB-Auswahl bei dieser WM unbedingt.
4. Auch die USA überraschen Löw - aber diesmal stimmt die Reaktion
Ein bisschen mulmig konnte es einem schon werden, als man Fabian Johnson gegen Portugal (2:2) die Außenbahn entlangflitzen sah, als würde er nicht gerade an einem Fußballspiel mitten im Dschungel teilnehmen. Der Neu-Gladbacher war immer anspielbar, gelangte immer wieder hinter Portugals Viererkette. Und hatte Linksverteidiger Benedikt Höwedes gegen Ghana nicht mit genau solch einem Spieler größte Mühe gehabt?
Internationale Pressestimmen
Johnson im Vorwärtsgang - gegen Deutschland war das dann dennoch ein seltenes Bild. Weil er defensiv viel stärker gebunden war, aber auch, weil Jürgen Klinsmann seine US-Jungs weit zurückgezogen agieren ließ. "Ich habe sie etwas aktiver erwartet", gestand Löw. Wohl auch deshalb waren Deutschlands Angriffe zunächst zu statisch. Die USA verblüffte die Nationalelf, wie es schon Ghana getan hatte. "Sie spielten ganz anders, als wir erwartet hatten", sagte Klose nach dem 2:2 im kicker-Interview. Gefeit ist Löws Team vor derlei Überraschungen auch in Zukunft nicht. Darauf cool zu reagieren wie am Donnerstag (mit Geduld und Kloses Einwechslung), das muss das Ziel für das restliche Turnier sein.
5. Diese Vorrunde war nicht perfekt - aber sie hält wach
Das 4:0 gegen Portugal war nicht so überwältigend, das 2:2 gegen Ghana nicht so miserabel, wie es hinterher gemacht wurde; das 1:0 gegen die USA lag vermutlich irgendwo dazwischen. Wie lautet also das Fazit nach einer Vorrunde, die mal furios, mal fahrig war? "Wir wollten unbedingt Gruppenerster werden, das haben wir geschafft", hielt sich Löw an die Fakten. Fakten, die Spanien oder Italien auch gerne geschaffen hätten.
"Grundsätzlich ist es ein komisches Turnier", bilanziert Neuer vor der K.o.-Phase, die für Deutschland am Montag in Porto Alegre gegen Algerien (22 Uhr MESZ, LIVE! bei kicker.de) beginnt. "Man muss echt vorsichtig sein." Dass Deutschland bislang nicht nur technisch, sondern auch "charakterlich" gefordert war, wie der "Gazzetta" auffiel, ist sicherlich keine schlechte Ausgangslage. Es war eine Gruppenphase mit Höhen und Tiefen. Und nur so bleibt man aufmerksam.