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Eder und Pelle: Der Brasilianer und der Tänzer

Im Schatten der Stars: Italiens ungewöhnliches Sturmduo

Eder und Pelle: Der Brasilianer und der Tänzer

Im fortgeschrittenen Alter den EM-Durchbruch in Italien gepackt: Eder und Graziano Pelle.

Im fortgeschrittenen Alter den EM-Durchbruch in Italien gepackt: Eder und Graziano Pelle. getty images

Beim Namen Eder wurden vor der EM nicht viele hellhörig. Wenn doch, dann dachte man vielleicht eher an Portugals EM-Angreifer Ederzito Antonio Macedo Lopes, kurz Eder. Den 28-jährigen Stürmer vom OSC Lille, früher bei Swansea und Sporting Braga. Den 28-maligen Nationalspieler.

Oder an Norbert Eder, der einst neun Länderspiele für Deutschland absolvierte und Teil der Startelf war, die am 29. Juni 1986 im WM-Finale im mexikanischen Aztekenstadion gegen Argentinien antrat. Jener Eder hatte beim zwischenzeitlichen 2:2 die Vorarbeit für Torschütze Rudi Völler geliefert, ehe Jorge Burruchaga die Albiceleste zum Titel schoss .

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Citadin Martins Eder

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Conte Antonio

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Inter Mailand

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Blau-Schwarz

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Oder vielleicht sogar an Klaus Eder, den Physiotherapeuten der aktuellen Nationalmannschaft, zu dem Jerome Boateng nach seinem furiosen 1:0 gegen die Slowakei rannte und sich beim gesamten Ärzteteam um Dr. Müller Wohlfahrt für die Behandlung seiner Wade bedankte.

Von Schauspieler Gustav "Gustl" Bayrhammer, der als Meister Eder in der beliebten Kinderserie Pumuckl Berühmtheit erlangte, will man gar nicht anfangen. Doch wer ist nun dieser Eder im italienischen Nationalteam?

"Ein Torjäger, der auch Kolosse unter Druck setzen kann"

Eder

Auf der ganz großen Bühne angekommen: Italiens Stürmer Eder. Getty Images

"Er ist ein Torjäger, der auch Kolosse wie Hummels und Boateng unter Druck setzen kann", sagt zum Beispiel Giuseppe Bergomi (52), legendärer Abwehrspieler der italienischen Nationalmannschaft und beinahe 20 Jahre lang Verteidiger bei Inter Mailand, über Eder. "Gegen die deutsche Abwehr ist er im Duo mit Pelle für Italien eine Erfolgsgarantie. Er ist unermüdlich und physisch auf Topniveau." Diese Worte kann man unterstreichen: Denn Eder, seit Winter 2015/16 bei Inter unter Vertrag, zeichnet sich vor allem durch seine vielen Laufwege, seine Fitness und sein Zutrauen aus. Darauf wurden in der abgelaufenen Saison eben auch die Nerazzurri hellhörig, als sie ihn nach zwölf Treffern in der Serie A von Konkurrent Sampdoria Genua ausliehen.

"Ich bin sehr froh, hier zu sein", sagte der 29-jährige, 1,79 Meter große Stürmer mit brasilianischen Wurzeln (Eder Citadin Martins) damals. "Ich habe jahrelang dafür gearbeitet, bei einem so großen Klub wie Inter spielen zu können." Dort wies er seine Fähigkeiten nicht groß nach - nach der Rückrunde stand lediglich ein weiterer Treffer in 14 Einsätzen zu Buche.

Wir strengen uns an, um junge Spieler auszubilden, am Ende nominieren wir dann Oriundi.

Roberto Mancini (Trainer Inter Mailand)

Zudem hat Eder ein Problem: Er hat einen schweren Stand in Italien. Denn viele sehen in ihm einen Brasilianer - und eben keinen Einheimischen, keinen "wahren Italiener". Ausgerechnet sein Vereinstrainer Roberto Mancini sagte sogar: "Du solltest Italiener sein, wenn du für Italien spielst. Wir strengen uns an, um junge Spieler auszubilden, am Ende nominieren wir dann Oriundi." Oriundi werden südamerikanische Spieler mit italienischen Wurzeln genannt. Ihre Nominierungen sind in Italien traditionell umstritten.

Vorschau

Nationalcoach Antonio Conte hält dagegen - und nimmt seinen Angreifer Eder Citadin Martins, der schon bei Criciuma, Empoli, Frosinone, Brescia und Cesena unter Vertrag stand, in Schutz: "Er ist ein anständiger Mann. Eder hat bewiesen, wie wichtig er sein kann und dass er immer alles fürs Team gibt." Das hat er - nicht nur bei seinem einzigen Tor bei dieser EM, dem 1:0-Siegtreffer gegen Schweden . Sondern auch mit viel Arbeit nach hinten, mit viel Einsatz fürs Team. Mit der Passion, die die gesamte Mannschaft der Azzurri bislang so groß vorlebt.

Pelé? Pellè!

Graziano Pelle

Auf der Überholspur in Frankreich: Graziano Pelle. Getty Images

Was Eder aber vor allem wertvoll macht: die Symbiose mit Sturmpartner Graziano Pelle vom FC Southampton. Während Letzterer häufig als erste Anspielstation gesucht wird und mit seinem bulligen Körper gekonnt den Ball abschirmt, zündet der italienisch-brasilianische Nebenmann seinen Turbo. Dieses Muster hat Europa bei der EM schon einige Male gesehen. Eventuell werden es auch die Deutschen am Samstag (21 Uhr, LIVE! bei kicker.de) zu spüren bekommen.

Doch wer ist nun eigentlich dieser andere? Dieser Pelle, auf den einige vielleicht erst bei Turnierstart, beim 2:0 gegen Belgien , aufmerksam wurden? Und vielleicht auch nur, weil der Kommentator seinen Namen fälschlicherweise wie den der brasilianischen Legende Pelé aussprach? Spätestens das sehenswerte 2:0, als er einen herrlichen Pass von Antonio Candreva volley ins Netz drosch, dürfte aber Eindruck hinterlassen haben. Europaweit.

Italiens Ex-Nationalspieler Bergomi, 1986 in Mexiko, 1990 in Italien und 1998 in Frankreich bei drei Weltmeisterschaften im Einsatz, sagt: "Vor einem Stürmer wie Pelle müssen auch die Weltmeister zittern. Bei dieser EM hat er außerordentliche Leistungen gezeigt. Er ist für die Gegner unberechenbar und äußerst talentiert. In Conte hat er den Trainer gefunden, der das Beste aus ihm herausholt."

Der Reisende, der Verirrte, der Tänzer

Zeit wurde es, denn im Juli wird der Sturmpartner von Eder schon 31 Jahre alt. Bei seinem Heimatverein US Lecce gab er 2004 bereits sein Profi-Debüt, wurde häufig verliehen. Auf Dauer konnte er sich nicht durchsetzen in der Heimat: Pelle ging 2007 in die Niederlande zu Alkmaar. Sein Trainer damals: Louis van Gaal. Ab hier klappte es - mit der Meisterschaft 2009.

Graziano Pelle

Tanzt auch beim FC Southampton - nach Toren: Graziano Pelle. Getty Images

Nach vier Jahren ging seine Wandertour weiter: Parma, Sampdoria (2. Liga), Feyenoord Rotterdam. Zurück in Holland platzte der Knoten endgültig: In 66 Pflichtspielen schoss er 55 Tore. Danach ging es zum FC Southampton in die Premier League. Bei den Saints hat er bislang kontinuierlich getroffen (30 Tore in 80 Partien) und es mit 29 endlich auch in die Squadra Azzurra geschafft.

Dabei hätte der blutjunge Pelle beinahe einen komplett anderen Weg eingeschlagen. Mit zarten elf Jahren wurde er italienischer Meister im Turniertanz, seine Partnerin war seine ältere Schwester Fabiana. "Meine Mutter wollte, dass ich tanze, mein Vater war für Fußball", erzählt der Stürmer der "Gazzetta dello Sport". "Irgendwann musste ich mich für eine Karriere entscheiden. Nun, schwer fiel mir das nicht", sagt der 1,94 Meter große Schönling mit der perfekt sitzenden, gegelten Frisur. Pelle wählte den Fußball - er wurde belohnt, wenn auch spät.

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Gebracht hat seine erste "Ausbildung" dann auch etwas: Denn profitiert hat der bullige Wandspieler von seiner Erfahrung als Tänzer. "Das hat geholfen, besonders bei der Koordination", berichtet er und zählt auf: "Walzer, Cha-cha-cha, Tango, ich habe alles getanzt. Wissen Sie, was ich jederzeit könnte? Ich könnte vorgeben, keine Ahnung vom Tanzen zu haben - und dann alle verblüffen."

Vielleicht verblüfft "Il Ballerino" am Samstag ab 21 Uhr ja Bollwerk Boateng , Mats Hummels oder Manuel Neuer mit der ein oder anderen kecken Bewegung - in Zusammenarbeit mit "Tanzpartner" Eder, versteht sich.

mag/sid

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