Was sich nach dem Hinspiel (0:0) an der Anfield Road zumindest weiterhin als 50:50-Chance ausnahm, mit womöglich einem leichten Plus für die vor eigenem Publikum spielenden Münchner, wurde nach der Halbzeitpause des Rückspiels zu einer eindeutigen Angelegenheit für Jürgen Klopp und seine Reds. Nun, beim 1:1-Gleichstand, dominierte der FC Liverpool, kontrollierte und gestaltete das Spiel meist in der Münchner Hälfte, so dass das 2:1 und schließlich das 3:1 für die zudem flinkeren, beweglicheren, ball- und kombinationssicheren Engländer eine logische Folge waren.
Dem Aufbau der Bayern fehlten, wenn denn die Liverpooler Pressinglinien - was selten genug stattfand - überwunden waren, der Spiel- und Kombinationsfluss, die Anspielpartner vorne, generell die Präsenz, so dass nur ganz wenige Strafraumszenen und Torchancen entstanden. Zudem waren keine Ausstrahlung und Körpersprache zu spüren, wo doch nach dem 1:2-Treffer immerhin noch 20 Minuten zur Wende blieben: Da war nichts zu merken von den Mia-san-mia-Bayern, die diesen Großauftrag insgesamt viel zu mutlos bearbeiteten.
Die Wende mit Renato Sanches?
Betretene Mienen auf der Bank und eine irritierende Einwechslung: Niko Kovac. imago
Auch von Trainer Niko Kovac kamen keine nachhaltigen Korrekturen und Anregungen. Die Auswechslung des - an diesem Abend sicherlich fehlerhaften - Kreativspielers James gut zehn Minuten vor Schluss, als noch zwei Treffer nötig waren, überraschte. Wollte er tatsächlich mit dem überhasteten Renato Sanches das Ding noch drehen? Nach vorne mangelte es, wie immer wieder in dieser Saison, insgesamt am Gesamtplan, am strukturierten Aufbau, an automatisierten Abläufen. Da ist auch der Trainer gefordert.
Ribery und Rafinha: Der letzte Vorhang mit Bayern in Europa
Einzelaktionen reichen auf diesem Niveau nicht, auf diese Tour konnte sich allein der sonst blasse Serge Gnabry mit zwei Flankenläufen - der erste vor dem 1:1-Treffer - inszenieren. Es wurde deutlich, dass diese Bayern-Mannschaft in dieser personellen Zusammensetzung nicht stark genug war: Der Ausfall der etablierten Kräfte Thomas Müller, Joshua Kimmich, Kingsley Coman und auch Arjen Robben war nicht zu kompensieren. Robben wird - jedenfalls im FCB-Trikot - nicht mehr in der Champions League zu sehen sein, für den wirkungslosen Franck Ribery und den überforderten Rafinha war es ebenfalls der überfällige Abschied von dieser Bühne.
Neuers Leistung wirft Fragen auf - Lewandowski in der Luft
Trost vom Sieger und Ex-Trainer: Jürgen Klopp und Robert Lewandowski. imago
Und auch weiteren Akteuren wurden Grenzen aufgezeigt: Robert Lewandowski ist ohne den Service seiner Kollegen vorne verloren; der bemühte Thiago schaffte es einmal mehr nicht, ein großes internationales Spiel nachhaltig zu prägen; genauso wenig der engagierte James. Javi Martinez, jüngst als Stabilisator gefeiert, ist ein wackerer Kämpfer, aber kein Gestalter in der Mittelfeldzentrale. Der kopfballstarke Spanier wie der ebenfalls in der Luft wuchtige Mats Hummels wurden beim 1:2 von Virgil van Dijk gnadenlos übersprungen. Und Manuel Neuer patzte vor dem 0:1. Der Torwart ringt nach seiner schweren Fußverletzung noch immer um seine einstige Glanzform, um das Timing in seinem Tun.
Das Double als Ziel des Übergangsjahrs
Die Bayern-Führung wird bei der definitiven Personalplanung für die kommende Saison die kommenden Wochen abwarten und da genau hinschauen müssen. Das frühe internationale Aus soll mit dem deutschen Double gekontert werden. Es wäre im veranschlagten Übergangsjahr ein positiver Jahresabschluss. Aber eigentlich definieren sich die Münchner über ihre europäische Bilanz. Und die fällt in diesem Jahr mau aus, auch wenn der Knockout gegen die starke Vertretung des FC Liverpool erfolgte.
kicker-Chefreporter Karlheinz Wild