Man kann getrost davon sprechen, dass José Nestor Pekerman weiß, wie man eine Mannschaft bei einem WM-Turnier anpackt. In Russland wartet die dritte globale Endrunde als Cheftrainer auf ihn. Die Bilanz bislang kann sich sehen lassen: Von zehn WM-Auftritten gewann der 68-Jährige sieben (18:10 Tore), schied zweimal im Viertelfinale arg unglücklich aus. 2014 scheiterten die Kolumbianer denkbar knapp an Gastgeber Brasilien ( 1:2 ), 2006 zog Pekerman mit Argentinien gegen Gastgeber Deutschland erst im Elfmeterschießen (Jens Lehmann hatte "Zettel"-Hilfe) den Kürzeren.
Ein Selbstläufer wird der Sprung in die K.-o.-Runde in Russland aber nicht: In Gruppe H warten mit Polen, Senegal und Japan durchaus anspruchsvolle Gegner. Wirklich Freude kam bei den drei Kontrahenten nach der Auslosung aber auch nicht auf. Im kicker erklärte Robert Lewandowski unlängst: "Der Favorit ist für mich Kolumbien. Diese Mannschaft hat super Spieler."
Werden die Cafeteros ihrer Rolle gleich zum Auftakt gerecht? Am heutigen Dienstag (14 Uhr, LIVE! bei kicker.de) geht's gegen Japan. Ein Gegner, dem die Südamerikaner vor vier Jahren eine schmerzhafte 1:4-Pleite zugefügt haben. Entscheidender Mann damals: James (kicker-Note 1,5), der in nur 45 Minuten zwei Tore vorlegte und eines selbst erzielte. Seiner Meinung nach sein schönster Treffer bei der Endrunde in Brasilien.
Starke Runde bei den Bayern
Auch in 2018 ruhen die größten Hoffnungen auf Bayerns feinem Techniker. Nach der unbefriedigenden Zeit bei Real Madrid hat ihn die Leihe nach Deutschland deutlich vorangebracht, speziell unter Jupp Heynckes blühte der Linksfuß auf. Der unangefochtene Anführer Kolumbiens kam auf 23 Bundesligaspiele (sieben Tore, elf Assists, kicker-Notenschnitt 2,86) und zwölf Einsätze in der Champions League (ein Treffer, zwei Vorlagen, kicker-Notenschnitt 3,18).
Er ist die geborene Führungspersönlichkeit.
René Higuita über James
In den höchsten Tönen lobte René Higuita, exzentrischer Ex-Nationaltorhüter, den 26-Jährigen im FIFA-Interview: "Er ist die geborene Führungspersönlichkeit. Daher ist er heute auch das absolute Aushängeschild unserer Nationalmannschaft und unseres Landes. Dafür schätzen wir ihn sehr. Er hat das alles mit Talent, Bescheidenheit und harter Arbeit erreicht." Ein Lautsprecher war James wahrlich noch nie, er lässt lieber Taten auf dem Platz folgen.
Der Torschützenkönig der WM 2014 (sechs Tore in fünf Spielen) sei laut Higuita mittlerweile ein "kompletter Spieler" mit unschätzbarem Wert für die Cafeteros. "Er deckt seine Gegenspieler, ist technisch sehr versiert und mannschaftsdienlich. Er kann eine gute Flanke schlagen, Tore erzielen, überraschende Vorstöße starten. Jedes Team der Welt will einen solchen Spieler haben." Speziell bei der Arbeit gegen den Ball hat er in München große Fortschritte gemacht.
Direkte Qualifikation - natürlich dank James
Wer sonst? Das Tor von James gegen Peru ließ Kolumbien aufatmen. imago
Und tatsächlich war es auch James zu verdanken, dass Kolumbien ohne den Umweg über die Play-offs das Ticket für Russland löste. Der Kreativkopf traf in der Qualifikation bei 13 Einsätzen satte sechsmal, das wichtigste Tor gelang ihm dabei am letzten Spieltag in Peru. Durch das 1:1 sicherte James den vierten Platz ab.
Geht es diesmal übers Viertelfinale hinaus? Carlos Valderrama wäre der große Wurf einiges wert. Die kolumbianische Legende mit der wilden Haarpracht kündigte an, im Falle des WM-Triumphs die Schere auszupacken. "Wenn Kolumbien Weltmeister wird, schneide ich mir die Mähne ab", erklärte Valderrama vor nicht allzu langer Zeit. Nun ist es doch eher unwahrscheinlich, dass Valderrama tatsächlich seine Locken verliert. Aber allein die Tatsache, dass der 56-Jährige sie verwettet, zeugt vom neuen Selbstbewusstsein der Cafeteros. "Nicht immer schaffen wir es, bei einer WM dabei zu sein. Deshalb müssen wir bei dieser Gelegenheit alles geben", forderte Valderrama. Und vielleicht fallen die Locken am Ende ja wirklich zu Boden.