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Deutliches Nein zur Dreierkette - Klares Ja zu Gomez

kicker-Kolumne: Wenn ich Bundestrainer wäre ...

Deutliches Nein zur Dreierkette - Klares Ja zu Gomez

Für Mario Gomez sprechen seine zwei EM-Tore sowie das pralle Selbstbewusstsein.

Für Mario Gomez sprechen seine zwei EM-Tore sowie das pralle Selbstbewusstsein. Getty Images

Aus Bordeaux berichtet kicker-Chefreporter Karlheinz Wild

Ende März, beim 4:1-Sieg gegen Italien in München, formierte sich das Trio Rüdiger-Mustafi-Hummels vor Torwart Marc-Andre ter Stegen - damals übrigens gegen im 3-4-3-System sich dahin schleppende Italiener. Antonio Rüdiger fehlt in Frankreich verletzt, dafür kehrte Jerome Boateng topfit zurück: Also wieder jenes Dreier-Modell wählen mit Shkodran Mustafi in der Mitte, Mats Hummels (halb-) links und jetzt mit Boateng (halb-)rechts? Nein.

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Boateng und Hummels verrichten ihr Werk in diesem kontinentalen Turnier so zuverlässig gut, dass sie es in den direkten Duellen immer aufnehmen können, auch wenn sich die zwei italienischen Angreifer Pelle und Eder in starker Verfassung präsentieren. Boateng hat die Geschwindigkeit, den flinken, dribbelstarken Eder immer abzulaufen; Hummels zeichnet ein gewiefter Blick aus, im richtigen Moment vor dem Gegner am Ball zu sein oder im Zweikampf zielsicher zuzupicken, was wichtig wird gegen den wuchtigen, technisch starken Pelle, der die Bälle gekonnt prallen lässt.

Kimmich und Hector müssen abriegeln

Boateng und Hummels sind eingespielt, ihre Außendienstler Joshua Kimmich und Jonas Hector haben für sich geworben und Vertrauen verdient. Diese Viererkette findet sich, also gibt es keinen Anlass zu taktischen oder personellen Neuerungen.

Dieser Befund gilt ebenso für das zentrale Mittelfeld. Die Partnerschaft zwischen dem umsichtigen Gestalter Toni Kroos und seinem fleißigen Assistenten Sami Khedira harmoniert. Beide Sechser müssen gegen die flott nachstoßenden Italiener die Mittelspur sperren. Ebenso haben Kimmich an der rechten Außenlinie sowie Jonas Hector an der linken ihre Bereiche für die emsigen italienischen Flügelspieler Florenzi oder de Sciglio abzuriegeln.

Ein Team: Jerome Boateng (Mitte) und Mats Hummels (li.) sind eingespielt

Ein Team: Jerome Boateng (Mitte) und Mats Hummels (li.) sind eingespielt Picture Alliance

Thomas Müller und Mesut Özil sind bisher ohnehin schon auffällig geworden mit langen Läufen querfeldein und weit zurück in die Tiefe der eigenen Defensive. Ihre Hilfsdienste mit engagierten Langstreckenspurts nach hinten werden gegen Italiens Überfallfußball erneut gebraucht. Der Einbau einer zusätzlichen Absicherung in einer 3-4-3-Anordnung ist dann keine Notwendigkeit.

Die Ökonomie der deutschen Ballkontrolleure

Die deutsche Mannschaft muss und wird diesen Viertelfinal-Auftrag in Bordeaux weniger defensiv-destruktiv als offensiv-konstruktiv angehen gegen die Defensivkönner der Squadra Azzurra. Mit ihrer gekonnten, ökonomischen Ballzirkulation sollten die Kroos, Özil und anderen Ballkontrolleure den Gegner intensiv zum Laufen bringen und müde spielen. Eine Verlängerung ist bei der qualitativen Beschaffenheit dieser beiden Mannschaften durchaus möglich, da kann sich der geringere Aufwand, mit dem die vielen deutschen Techniker vor und inklusive Torwart Manuel Neuer Pass an Pass stricken, in 120 Minuten positiv auswirken.

Gegen die in der Breite wie in der Tiefe ausgeklügelt postierten italienischen Linien gibt es einige Mittel, um deren Abwehrbeton zu zerbröseln: generell schnelles und sauberes Passspiel, auch mit langen Schlägen, die Boateng und Hummels ganz hinten sowie Kroos oder Özil davor punktgenau beherrschen. Oder das überraschende Zuspiel in die Tiefe und viele Positionswechsel.

Oder Flügelläufe mit präzisen Hereingaben in den Strafraum, wo sich des Öfteren eine italienische Vollversammlung bilden wird: Özil, Draxler, Khedira oder Kroos müssen sich im Wechsel darunter mischen, um Gomez und Müller im vordersten Gewühl zu unterstützen. Dort, im Zentrum, vor Azzurri-Keeper Gianluigi Buffon, müssen beide Torjäger für Durcheinander sorgen, Müller in Kooperation mit Gomez.

Das spricht für Götze

Oder ist Mario Götze die bessere Alternative vorne drin, als falsche, mehr mitspielende Neun? Weil er sich gegen die rund 1,90 Meter langen italienischen Verteidiger mit seiner Wendigkeit und knappen Ballführung auf engstem Raum besser durchschlängeln kann? Gut möglich, aber Götze hat davon zu wenig gezeigt bisher. Für Gomez sprechen zudem seine zwei EM-Tore sowie das pralle Selbstbewusstsein, das Götze in diesem Maße eher fehlt. Also lieber mit Gomez' physischer Wucht gegen die Haudegen Barzagli, Bonucci und Chiellini.

kicker-Chefreporter Karlheinz Wild

kicker-Chefreporter Karlheinz Wild kicker

Bei allem Ballbesitz und aller Bereitschaft zur Attacke muss aber immer der Blick in den deutschen Rückspiegel gerichtet sein und die Balance gewahrt bleiben, damit Tempogegenstöße in freie Räume frühzeitig mit aggressivem Pressing erstickt oder mit kluger Staffelung abgefangen werden. Die Physis dafür hat diese deutsche Mannschaft, die kollektive Entschlossenheit ebenso, dazu die Selbstgewissheit und spielerische Selbstverständlichkeit des Weltmeisters. Dessen Ruf und Qualität werden selbst die coolen und routinierten Italiener beeindrucken.

Deshalb muss sich die globale Nummer 1 nie und nimmer nach dem italienischen Herausforderer richten. Weder bei der Wahl des Systems noch beim Personal. "Die Mannschaft" gibt den Takt vor, nicht die "Squadra Azzurra".