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1970/71 - Pfosten-Bruch und Bestechungsskandal

"Boss, wir müssen Spiele kaufen!"

April 1971 - der Pfostenbruch von Mönchengladbach: Bernd Schmidt und Torwart Günter Bernard (li.).

April 1971 - der Pfostenbruch von Mönchengladbach: Bernd Schmidt und Torwart Günter Bernard (li.). imago

Wer an die 70er Jahre denkt, erinnert sich an großen Offensiv-Fußball der Gladbacher "Fohlen" mit Netzer, Heynckes, Bonhof und Vogts. An den unersättlichen Bayern-Stürmer Gerd "Bomber" Müller. Und natürlich an die Europa- und Weltmeister-Titel der deutschen Nationalmannschaft. Unvergessen aber auch der Pfostenbruch im April 1971 in der Partie Mönchengladbach gegen Werder Bremen. Vor allem aber der Bestechungsskandal, der im Juni '71 an die Öffentlichkeit kommt.

"Profifußball hat mit Sport nichts zu tun!" DFB-Chef-Ankläger Hans Kindermann kehrt mit eisernem Besen über die Lieblings-Liga der Deutschen. Als sich die Offenbachers Kickers aus der Beletage des deutschen Fußballs als Vorletzter verabschieden, ahnt noch niemand, dass ihr Präsident die Bombe platzen lässt. Am 6. Juni, einem strahlend-blauen Sommertag, drückt Horst-Gregorio Canellas um 12 Uhr den Knopf seines Tonbandes. Die eingeladene Promimenz seiner Geburtstagsfeier traut ihren Ohren nicht: Die aufgezeichneten Telefonate mit Spielern, Funktionären und Vermittlern löst einen Skandal unvorhersehbaren Maßes aus: Es geht um manipulierte Spiele und Schmiergelder von über einer halben Million Mark.

50 Spieler und sechs Funktionäre werden bestraft

Gerüchte gibt es längst, allein die Beweise fehlen. Ein dreckiger Sumpf bringt plötzlich ans Tageslicht, was nie hätte an die Oberfläche kommen sollen. 2300 Mark erhält etwa jeder Schalker Spieler als "Belohnung", gegen die abstiegsbedrohte Arminia aus Bielefeld am 17. April zu verlieren. Klaus Fischer und Rolf Rüssmann müssen tief in die Taschen greifen: Über 12.000 DM Geldbuße wird ihnen auferlegt, dazu Spielsperren von einem Jahr. Andere, wie Reinhard "Stan" Libuda sollen nie mehr spielen dürfen. Er wird am 5. Januar 1974 begnadigt. Über 50 Spieler, zwei Trainer (Egon Piechaczek von Bielefeld und Günther Brocker von Oberhausen) und sechs Funktionäre werden drakonisch bestraft. Zwei Klubs (Kickers Offenbach und Arminia Bielefeld) wird die Lizenz entzogen.

Colabüchse, Pfostenbruch und ein Skandal - die Liga vorm Abgrund

Viereinhalb Jahre zieht sich der Prozess, vor allem gegen die Schalker Spieler, hin. Dann legen die "Knappen" ein Geständnis ab und entgehen so nur hauchzart einer Gefängnis-Strafe. "Boss, wir müssen Spiele kaufen", wird in jener Zeit zu einem traurigen running gag. Viele Spieler holen sich später clevere Anwälte an die Seite und zerren den DFB immer wieder vor Gericht. Nach und nach werden viele kleine und große Bestechungssünder begnadigt. Die junge Bundesliga erleidet indes einen bösen Image-Verlust: In der Folge-Saison 1971/72 kommen 800.000 Zuschauer weniger in die Stadien, ein Jahr später gar 1,3 Millionen weniger. Pro Spiel sinkt der Schnitt auf 16.372 - ein Minusrekord bis heute.

Heynckes: "Wir kippten den Kasten wieder um"

Wer noch ins Stadion pilgert, sieht eine der kuriosesten Szenen der Bundesliga-Geschichte: Zwei Minuten sind noch zu spielen. Am 27. Spieltag empfangen die übermächtigen Gladbacher am 3. April Werder Bremen. Hennes Weisweilers "Fohlen"-Elf steht kurz vor der Titelverteidigung. 24:8 Ecken – der amtierende Meister tut sich dennoch schwer gegen die Bremer. 1:1 steht es, als Gladbachs Herbert Laumen nach einer Ecke hochspringt, Bremens Keeper Günter Bernard den Ball über die Latte faustet und beide zusammen mit Gladbachs Neuzugang Jupp Heynckes ins Tornetz fallen. Der linke Holzpfosten bricht direkt über der Erde ab, das Gehäuse kippt nach hinten um. Die Bremer versuchen verzweifelt das Tor wieder aufzubauen, "wir kippten den Kasten wieder um", berichtet der von Hannover 96 zurückgekehrte Gladbacher Heynckes später: "Uns wäre ein Wiederholungsspiel lieber gewesen." Das Spiel wird tatsächlich nicht wieder angepfiffen vom Unparteiischen Gerd Meuser, der sich vor der Partie "am Morgen vom guten Zustand der Tore, Tornetze und des Spielfeldes überzeugte", wie der kicker bestätigt. Doch der DFB macht dem designierten Meister einen Strich die Rechnung: Das Sportgericht wertet die Partie mit 2:0 Punkten und 2:0 Toren für Werder Bremen, die als Zehnter die Saison später beenden. Stürmer Herbert Laumen, zweifacher Nationalspieler, weiß: "Durch diese Geschichte wurde ich unsterblich." Für die "Fohlen" um Spielmacher Netzer, Außenstürmer Heynckes, "Terrier" Vogts, dem schnellen Le Fevre und dem Abwehrbollwerk um Luggi Müller und Klaus-Dieter Sieloff kommt es zum Foto-Finish um die Meisterschaft. Vor dem letzten Spieltag muss die Borussia zu den abstiegsgefährdeten Frankfurtern, die punktgleichen Bayern zu den gesicherten Duisburgern. Der MSV schlägt tatsächlich die großen Bayern 2:0 im Wedaustadion, Gladbach gewinnt nach einem mageren 1:1 zur Halbzeit noch 4:1. Die erste Titelverteidigung der Bundesliga-Geschichte ist eingetütet, die mit einem Glocken-Geläut am 5. Juni in der 150.000-Einwohner-Stadt ausgiebig gefeiert wird.

Die Bayern haben wieder das Nachsehen, gewinnen aber im Finale gegen den FC Köln zum dritten Mal den DFB-Pokal, ein Jahr später werden sie vor Schalke und Gladbach den Titel einfahren. Rot-Weiß Essen verlässt die Liga als Letzter, gefolgt von den Verurteilten Kickers aus Offenbach (17.) und der Arminia aus Bielefeld (14.). Auf internationaler Bühne präsentiert sich der Deutsche Meister glänzend – bis zum 20. Oktober. Der unnachahmliche Angriffs-Fußball der Gladbacher wird beim 7:1 gegen Inter Mailand im Achtelfinale des Europa-Pokals der Landesmeister mehr als deutlich. Doch Inter-Stürmer Roberto Boninsegna wird angeblich von einer Limonaden-Büchse am Kopf getroffen, sinkt zu Boden und lässt sich vom Platz tragen. "Die Büchse war leer, ich habe gegen sie getreten", ärgert sich sein Gegenspieler Luggi Müller, "und außerdem ist er nur an der Schulter getroffen worden." Die Partie muss wiederholt werden, im Hinspiel verliert Gladbach 2:4, im Rückspiel 0:0: Die Borussen sind raus.

Der Torschützenkönig

Lothar Kobluhn. Lothar wer? Es kann nur einen geben, heißt es zu dieser Zeit in der Torschützenliste der Bundesliga: Gerd "Bomber" Müller. Ein 28-Jähriger Nobody unterbricht mit 24 Treffern die Serie des Bayern-Knipsers, der zwei Jahre vorher und drei Jahre danach der Schrecken aller Keeper war und wird. Ein Mittefeldspieler sichert somit RW Oberhausen den Klassenerhalt. Da RW in den Bundesliga-Skandal verwickelt ist, wird Kobluhn die Torjäger-Kanone verwehrt. 2007 entscheidet der kicker ihm diese nachträglich zukommen zu lassen: "Kaum sind 36 Jahre vorüber, sind die Diskussionen auch schon beendet", so der süffisante Kommentar des 64-jährigen gebürtigen Oberhauseners.