Bundesliga

Sangel: "Bei Calmund hätte ich rausgehen können"

Berlin: "Hertha-Echo"-Gründer über 28 Jahre Fan-Radio

Sangel: "Bei Calmund hätte ich rausgehen können"

Mittendrin: das Fan-Radio "Hertha-Echo" um Manfred Sangel.

Mittendrin: das Fan-Radio "Hertha-Echo" um Manfred Sangel. Hertha-Echo

Punkt 20 Uhr war Schluss am Donnerstagabend, Manfred Sangel und Jürgen Keiser verabschiedeten sich nach Sendung Nummer 610 von den Hörern – aber nur bis Samstag morgen. Dann ist das Team um Sangel, Keiser, Barbara Wegner-Ottow, Holger Spittel und Manuela Marschall mit seinem Baby, dem „Hertha-Echo“, wieder auf Sendung im Programm von Alex, dem Offenen Kanal von Berlin (Antenne 91,0 MHz oder Kabel 92,6 MHz). Von 8.30 Uhr bis 21 Uhr wird es zum 125. Geburtstag von Hertha BSC eine Live-Sondersendung aus dem Studio in der Rudolfstraße in Berlin-Friedrichshain geben. Mit illustren Gästen im Studio, Einspielern, Musik – und mit ganz viel Herzblut. Im kicker spricht Gründer und Moderator Manfred Sangel (57) über 28 Jahre Fan-Radio, besondere Gäste, Pannen und die am Samstag bevorstehende Marathon-Sendung.

kicker: Herr Sangel, am Donnerstagabend die einstündige reguläre Sendung mit Ihnen am Mikrofon, am Samstag folgen zwölfeinhalb Live-Stunden. Schonen Sie zwischendurch eigentlich mal Ihre Stimme?

Hertha BSC - Vereinsdaten
Hertha BSC

Gründungsdatum

25.07.1892

Vereinsfarben

Blau-Weiß

mehr Infos

Manfred Sangel: Das geht schon. Dass ich heiser werde, ist nicht zu befürchten. Wir moderieren zu zweit, haben Gäste im Studio und am Telefon, spielen zwischendurch Musik. Eine Sendung in der Länge hatten wir noch nie, aber gerade das steigert die Vorfreude.

kicker: Was dürfen die Hörer am Samstag ab 8.30 Uhr erwarten?

Sangel: Es geht um die Geschichte und Tradition von 125 Jahren Hertha, um Krisen, um Höhepunkte, um alles, was diesen Verein ausmacht. Manager Michael Preetz hat uns sein Kommen zugesagt, auch Aufsichtsrats-Chef Bernd Schiphorst und die früheren Profis Andreas Schmidt und Dieter Timme werden da sein, genauso Bernd Sobek, der Sohn von Hanne Sobek (Hertha-Meisterspieler der Jahre 1930 und 31, d. Red.). Mit unserem Ex-Trainer Jürgen Röber, der wegen eines Termins im Ausland leider nicht vorbeikommen kann, haben wir ein Gespräch aufgezeichnet, während der Sendung werden wir Erich Beer zuschalten. Und in der letzten Stunde, ab 20 Uhr, wird uns dann Frank Zander besuchen. Er wird am Ende seine Hymne „Nur nach Hause“ anstimmen. Und ich glaube, wenn es geschafft ist, gehen wir wirklich noch nicht nach Hause, sondern erstmal an den Kühlschrank in unserem Studio und machen uns ein Schultheiss auf (lacht).

Wir haben nach 28 Jahren ein gewisses Standing im Verein.

Manfred Sangel

kicker: Sie gehen seit 1965 ins Olympiastadion und sind seit 1982 Mitglied. Wie entstand 1989 die Idee, eine Radio-Sendung von Fans für Fans zu machen?

Sangel: Hertha hatte damals sportlich eine schwere Zeit, zeitweise steckte der Klub in den 80er Jahren in der drittklassigen Oberliga Berlin. Über den Verein wurde kaum berichtet, das wollte ich ändern. Horst Wolter, der damals Manager war, fragte nur, was das den Verein kostet. Ich sagte: Nüscht! So ist es seit 28 Jahren. Wir stellen ehrenamtlich ein Magazin von Fans für Fans auf die Beine. Und in der Bundesliga gibt es nur bei Eintracht Frankfurt mit FanOmania ein Fan-Radio, das fast genauso lange sendet – aber wir sind noch ein paar Jahre älter. Das macht mich schon stolz.

kicker: Sie und Ihre Crew haben ein blau-weißes Herz. Wieviel Kritik ist erlaubt?

Sangel: Wir kritisieren auch, aber anders. Wenn unser Stürmer am Tor vorbeigeschossen hat, muss ich ihn im Interview nicht noch dreimal danach fragen. Er weiß selbst, dass das Mist war.

kicker: Was ist das Gerüst der Sendung?

Sangel: Wir berichten nicht live oder zeitversetzt von den Spielen. Aber wir haben von jedem Hertha-Spiel einen O-Ton, sind mit in den Trainingslagern und bei allen Testspielen, haben in jeder Sendung einen Gast mit einem Thema. Und dazu spielen wir in einer normalen einstündigen Sendung vier, fünf Musiktitel, die thematisch passen sollten.

"Da merke ich, dass das Echo ein Echo findet"

Manfred Sangel (Mitte)

Gut gelaunt: das Hertha-Echo-Team um Manfred Sangel (Mitte). Hertha-Echo

Studiogast am Donnerstagabend war Ingo Zergiebel, der zweite Vorsitzende von Herthas Fußball-Amateurabteilung. Er ist Soldat, Hauptmann. Zum 125. Vereins-Jubiläum hat er sich auf die Suche nach den Hertha-Spielern gemacht, die im Ersten Weltkrieg fielen – eine Sisyphusarbeit. Von 36 Gefallenen konnte er dank umfangreicher Recherche 30 Gräber ausfindig machen, der jüngste Hertha-Spieler war 17, der älteste 29. Im Studio spricht Zergiebel mit ruhiger Stimme über das umfangreiche Projekt, Sangel hakt feinfühlig nach. Es ist ein schweres, ein komplexes Thema. Zwischendurch spielt Sangel John Lennon ein, auch Unheilig, Xavier Naidoo und Simon&Garfunkel. Die Musik-Palette ist groß, die Themenauswahl auch. Wieviele Hörer das "Hertha-Echo" hat, das an jedem zweiten Donnerstag ab 19 Uhr gesendet wird, weiß Sangel nicht. Es gibt keine Quoten-Erhebungen. "Aber im Stadion und auf der Straße sprechen mich oft Menschen auf die Sendung an", sagt er. "Da merke ich, dass das Echo ein Echo findet."

kicker: Welcher war in 28 Jahren der spannendste Gast?

Sangel: Da gab es viele. Hans Meyer war speziell, aber sehr unterhaltsam. Bei Reiner Calmund, der uns vorm Pokalfinale 1993 zwischen Leverkusen und den Hertha-Bubis besuchte, hätte ich aus dem Studio gehen können. Der quatschte ohne Punkt und Komma. 2013 fuhr mal die ganze Mannschaft inklusive Trainer Jos Luhukay und Betreuerteam im Mannschaftsbus auf unseren Hof. Das war zur 500. Sendung, und Fabian Lustenberger hatte es vorher auf Facebook angekündigt. Aber ich hatte damals ein Handy, mit dem ich wirklich nur telefonieren konnte. Als ich fünf Minuten vor Sendebeginn aus dem Studio gebeten wurde, wollte ich erst nicht, weil ich schon so konzentriert war – und draußen machte ich dann große Augen.

Reiner Calmund

Auch Reiner Calmund war schon zu Gast. imago

kicker: Und die größten Pannen?

Sangel: Maik Franz schaffte es nicht rechtzeitig ins Studio, er stand auf dem Stadtring im Stau und begleitete uns dann aus dem Auto durch die Sendung. Valentin Stocker, den wir mal telefonisch zuschalteten, hatte kein oder kaum ein Netz – aber eine Riesengeduld. Irgendwann war er dann zu hören. Aber kleine Pannen gehören dazu. Ich höre auch privat viel Radio. Wenn dort ein Musiktitel oder eine Jingle zu früh erklingt, denk‘ ich mir: Denen passiert das auch. Dann ärger‘ ich mich etwas weniger (lacht).

kicker: Nimmt Hertha inhaltlich Einfluss?

Sangel: Nein, die lassen uns machen und sind sehr kooperativ. Wir haben nach 28 Jahren ein gewisses Standing im Verein. Die sehen ja auch, dass wir sie nicht in die Pfanne hauen. Ich glaube, wir hatten in der ganzen Zeit nur eine Exklusiv-Info in der Sendung – noch zu Zeiten von Horst Wolter. Aber das wollen wir auch gar nicht, dafür sind andere da. Wir unterhalten, aber können eben bei unseren Themen auch in die Tiefe gehen. Nur einmal hat der Verein über den damaligen Pressesprecher Hansi Felder den Wunsch an uns herangetragen, ob wir ein längeres Gespräch mit Jürgen Röber nicht später senden könnten – weil es für seinen Nachfolger Falko Götz gerade so gut lief. Da habe ich gesagt: Wenn Manager Dieter Hoeneß ins Studio kommt, machen wir die Röber-Sendung später. Hoeneß konnte an dem Abend nicht, also sendeten wir 60 Minuten mit und über Röber nach dessen Abschied.

kicker: Nach 28 Jahren und 610 Sendungen – ist ein Ende in Sicht?

Sangel: Nein. Das Format passt, der Rhythmus passt. Zwischendurch sendeten wir mal wöchentlich, aber alle zwei Wochen ist besser. Es ist schwieriger geworden, Gäste zu bekommen. Und wir alle arbeiten ja auch (Sangel ist Abteilungsleiter in einer Zeitarbeitsfirma, d. Red.) und sind bei allen Heim- und sehr vielen Auswärtsspielen im Stadion. Das würde ohne die Unterstützung und Nachsicht meiner Frau Susan gar nicht funktionieren. So eine Sendung vorzubereiten, dafür gehen mindestens zehn, zwölf Stunden drauf – eher mehr. Aber es kribbelt heute noch wie am Anfang. Das ist der Reiz einer Live-Sendung: Du weißt nie, was passiert. Das ist wie im Stadion vor einem Spiel. Erst wenn das Kribbeln weg ist, lass‘ ich es sein.

Wenn es dem Verein am schlechtesten geht und sich viele abwenden, ist meine Zuneigung am größten.

Manfred Sangel

kicker: Hertha wird 125, Sie gehen seit 52 Jahren ins Stadion – halten sich da Lieben und Leiden die Waage?

Sangel: So ist es. Da ist ganz viel Lieben und ganz viel Leiden. Ich war in der Champions-League-Saison 1999/2000 mit Hertha in Barcelona, Mailand, London und Istanbul. Und ich war im Stadion, als es gegen Meppen ging oder in den 80ern in der Oberliga Berlin gegen den SC Gatow oder Rapide Wedding. Wenn es dem Verein am schlechtesten geht und sich viele abwenden, ist meine Zuneigung am größten.

kicker: Was wünschen Sie dem Geburtstagskind zum 125.?

Sangel: Einmal die Profis im Pokalfinale, das wär's. 2016 waren wir dicht dran (Aus im Halbfinale gegen Dortmund, d. Red.). Aber wahrscheinlich ist es so: Irgendwann steht Hertha im Pokalfinale, und dann wird das Endspiel nicht mehr in Berlin, sondern in Shanghai oder Peking ausgetragen...

Steffen Rohr