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Viele Neuheiten für das Reich der Mitte

"Auto China" in Peking: Schöne Aussichten

Spektakulär: Eine Sportwagen-Studie des chinesischen Herstellers BAIC, mit Flügeltüren und Elektroantrieb.

Spektakulär: Eine Sportwagen-Studie des chinesischen Herstellers BAIC, mit Flügeltüren und Elektroantrieb. ule

Es ist Sonntag in Peking, und der am Vortag noch klare Himmel trübt sich zunehmend ein. Schuld ist aber kein Schlechtwettergebiet. Während an den Wochentagen nur Autos mit einer bestimmten Ziffernkombination im Nummernschild fahren dürfen, können am Sonntag alle auf die Straße. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Luftqualität in der rund zwölf Millionen Einwohner zählenden Megacity.

Doch trotz dicker Luft und trotz immerwährender Monsterstaus, dank derer die Fahrt zur 60 km entfernten Großen Mauer gute drei Stunden dauert, lassen sich die Chinesen den Individualverkehr nur ungern nehmen. Zwar gibt es in Peking eine U-Bahn, zwar gibt es Zugverbindungen und Busse. Das eigene Auto aber bleibt beliebt. Wer es sich leisten kann, erwirbt eine extralange Limousine und lässt sich vom Chauffeur kutschieren, während er im Fond schon mal Büroarbeit erledigt oder in der digitalen Welt unterwegs ist. Die Problematik des Fahrverbots für bestimmte Wochentage lässt sich elegant durch die Anschaffung eines zweiten Wagens umgehen. Alternativ bestellt man per App einen Wagen über preisgünstige Fahrdienste wie Uber oder dessen chinesisches Pendant Didi.

Leitmarkt für Elektromobilität

Chery FV2030

So was können die Chinesen inzwischen: Das aufregende Concept Car FV2030 von Chery. ule

"In China zeichnen sich jetzt schon die Herausforderungen ab, mit denen wir erst in ein paar Jahren konfrontiert sein werden", sagt Christoph Ludewig, Sprecher von Volkswagen in China. Neben einem ausgeprägt digitalen Denken seien dies eben starke Luftverschmutzung und chronisch verstopfte Straßen. Die "Auto China" (bis 4. Mai) soll hier Lösungen aufzeigen. China gilt als Leitmarkt für Elektromobilität, schon allein deshalb, weil ein Nummernschild für ein E-Auto oder einen Plug-in-Hybriden ohne jenen erheblichen finanziellen Aufwand zu haben ist, der für ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor anfällt. In den Messehallen sind denn auch etliche Stromer zu sehen, meist einheimischer Provenienz. Draußen auf den Straßen aber tauchen sie kaum auf. In Mutianyu an der Mauer ist zwar ein großzügiger Parkplatz mit Ladestationen für E-Mobile angelegt, doch er bleibt kaum frequentiert, ebenso wie der am Workers' Stadium in Pekings Chaoyang-Bezirk.

Auf der Auto China zeigt sich vor allem die Liebesaffäre der Chinesen mit SUVs. Sie dominieren auf den Ständen, egal ob es sich um europäische, amerikanische, koreanische, japanische oder chinesische Hersteller handelt. Das Segment hat 2015 um gut 40 Prozent auf 6,5 Millionen Fahrzeuge zugelegt. Nicht von ungefähr stellt VW just hier den künftigen Touareg vor, zunächst in Gestalt der Plug-in-Studie T-Prime Concept GTE. Während selbst das Einstiegsmodell dieses Premium-SUVs umgerechnet rund 100.000 Euro kostet, sind SUVs der einheimischen Konkurrenten wie Besturn, Chery, Hawtai, BAIC, Geely, Dongfeng oder Haval "schon für 10.000 Euro und teils in erstaunlich guter Qualität zu haben", wie der für den Touareg zuständige Marketingleiter Frank Thomas bei seinem Messerundgang festgestellt hat. Da gilt es wachsam zu sein, denn die chinesischen Kunden handeln weitaus weniger markentreu als diejenigen in Europa. "Man muss sich fortwährend um sie bemühen", sagt Thomas.

Für 8.000 Euro zum SUV

BYD Yuan

Preiswertes SUV: Als Benziner kostet der BYD Yuan umgerechnet nur gut 8.000 Euro. ule

Wie günstig man in China zu einem SUV kommt, dokumentiert beispielsweise der BYD Yuan. Als Benziner ist er schon ab umgerechnet etwa 8.000 Euro zu haben. Wie von den allermeisten der neu vorgestellten Soft-Offroader gibt es auch eine Version mit Plug-in-Hybridantrieb, die jedoch deutlich teurer kommt und mindestens 28.553 Euro kostet. Teilweise zeugen die Exponate der einheimischen Hersteller von bemerkenswerter Kreativität. Jene Zeiten, in denen sich Halle für Halle dreiste Kopien europäischer Modelle zeigten, sind ersichtlich vorbei. Besturn beispielsweise führt den schicken X6 mit gegenläufig öffnenden Portaltüren vor, Chery das aufregende Crossover-Concept FV2030 mit Elektroantrieb. Dagegen mutet der neue Koleos, den Renault in Peking zeigt, fast schon konventionell an. Das auf dem Nissan X-Trail basierende Modell kommt 2017 auch nach Europa. Der Mazda-Crossover CX-4 soll dagegen ein Fall für China bleiben.

Vorliebe für lange Limousinen

Die Vorliebe für "gestretchte" Limousinen mit komfortablem Platzangebot im Fond liegt einerseits darin begründet, dass man sich – siehe oben – gern einen Chauffeur leistet, andererseits hat es aber auch damit zu tun, dass Chinesen gern mit der (generationenübergreifenden) Familie auf Tour gehen. Und so zeigt Mercedes auf der Auto China die Langversion der neuen E-Klasse, Jaguar stellt den XFL vor und BMW macht den X1 lang – alles speziell für die chinesische Kundschaft. Auch die neue Oberklasse-Limousine Citroen C6 soll dem Reich der Mitte vorbehalten bleiben. VW fährt den neuen Magotan vor, außerdem die Oberklasse-Limousine Phideon, die gut fünf Meter in der Länge misst.

VW Magotan

Speziell für China: Zhang Pijie, Präsident der FAW Volkswagen Automotive Co, präsentiert den neuen Magotan. Hersteller

Zwar liegt das chinesische Haushaltseinkommen noch immer niedriger als in Deutschland – umgerechnet etwa 4.000 Euro stehen 8.500 bei uns gegenüber. Doch es gibt eine äußerst gut betuchte Sahneschicht an Käufern, die sich die teuren Premiummodelle der Edelmarken locker leisten kann. Dies schon in jungen Jahren. Während deutsche VW-Kunden im Durchschnitt 51 Jahre alt sind, zählen sie in China nur 38 Lenze. Noch größer fällt der Altersunterschied bei Mercedes aus, wo 54 gerade einmal 36 Jahre gegenüberstehen. Gerne greifen die jugendlichen Aufsteiger auch bei einem Sportwagen zu. Audi präsentiert auf der Auto China die 400 PS starke RS-Version des TT, Porsche fährt den 718 Cayman mit bis zu 350 PS (S-Variante) vor. Selbst der kleine Smart macht auf Muskelprotz, als "Brabus" holt er sich 109 PS aus einem turbobeatmeten 0,9-l-Motörchen.

Auch auf dem Sektor der Sportler zeigt sich das zunehmende Selbstbewusstsein der chinesischen Autobauer. Beispiele sind der spektakuläre und elektrifizierte Flügeltüren-Renner, den Daimlers Kooperationspartner BAIC zeigt, aber auch die aufregende und dicht umlagerte Elektro-Studie LeSee mit ihren gegenläufig öffnenden Portaltüren, die LeEco aufgelegt hat, ein Unternehmen des Milliardärs Jia Yueting.

BAIC Sportwagen

Spektakulär: Eine Sportwagen-Studie des chinesischen Herstellers BAIC, mit Flügeltüren und Elektroantrieb. ule

Dabeisein ist alles

Zwar wächst der größte Automobilmarkt der Welt langsamer als bisher – aber er wächst. Allein von Januar bis März dieses Jahres wurden in China knapp fünf Millionen Fahrzeuge verkauft. Davon kann man in Europa und USA, wo es jeweils rund vier Millionen gewesen sind, nur träumen. Auch für die Zukunft hat die chinesische Regierung Wachstumsbefehl gegeben, 6,5 Prozent sollen es in den nächsten fünf Jahren werden. Da ist Dabeisein alles. "China bedeutet uns viel", sagt Volkswagen-Chef Matthias Müller. Trotz der Rückstellungen in Höhe von 16 Milliarden Euro, die man wegen des Abgasskandals treffen musste, will man noch in diesem Jahr vier Milliarden Euro in China investieren. Ohne Produktion vor Ort ist der Verkauf von Autos allerdings kaum möglich. VW unterhält 20 Fertigungsstätten im Reich der Mitte und arbeitet mit den Partnern FAW und SAIC zusammen; auch Mercedes baut Autos in China, die Kooperation erfolgt mit BAIC. Jaguar ist mit Chery verbandelt, BMW mit Brilliance, Renault und PSA (Peugeot-Citroen) mit Dongfeng. Umgekehrt haben sich die Chinesen die deutsche Traditionsmarke Borgwart gegriffen, Volvo gehört längst zu Geely, und Qoros bedient sich der Dienste etlicher europäischer Spitzenkräfte wie des ehemaligen Mini-Designers Gert Hildebrand.

Wie vielversprechend die Perspektiven auch für deutsche Autobauer sind, dokumentiert der immer noch geringe Grad der Motorisierung in China. Während in Deutschland etwa 535 Autos auf 1.000 Einwohner kommen, sind es in China nur deren 124.

Ulla Ellmer

"Auto China" in Peking