Von kicker-Chefreporter Karlheinz Wild
Mit einem Lächeln ging Joachim Löw auf dieses Thema ein. Seit dem kargen 0:0 gegen Polen mit lediglich drei spärlichen Chancen beherrscht die Offensive die Debatte rund um die DFB-EM-Delegation. Der erste gewichtige und richtige Wortbeitrag kam von Jerome Boateng, der eine größere läuferische Investition in der Angriffszone anmahnte.
Sein Chef, der Bundestrainer, stützte den Abwehrboss mit seiner Analyse, dass sich bei Flanken und Hereingaben zu wenige der Seinen in den Strafraum aufmachten, schon gar nicht schnell spurtend. Und Sami Khedira sagt im großen kicker-Interview an diesem Montag , dass die hervorragenden Fußballer in den Bereichen jenseits der Mittellinie "alle zu ähnlich agierten und den Ball am Fuß wollten".
Die Offensive: Feine Techniker ohne Drang in die Tiefe
Gerade diese Erklärung Khediras ist erhellend: Mario Götze, Mesut Özil und Julian Draxler sind allesamt feine Techniker, die die gewandte Bewegung und Körpertäuschung bevorzugen, weniger den dynamischen Sprint in die Tiefe. Abwehrwände durchfräsen sie eher mit ihrem messerscharfen (Kurz-) Pässen als entschlossen mit dem Ball am Fuß.
Da Toni Kroos aus dem Zentralbereich des Mittelfeldes selten ganz nach vorne durchbricht und lieber mit seinem präzisen Service und Distanzschüssen die Dinge regelt, bleiben noch Khedira und Thomas Müller, die Chaos verursachen können mit Kreuz- und Querläufen.
Khedira war darum gegen die Ukraine emsig bemüht und eifrig unterwegs, hielt sich gegen Polen aber auffällig zurück, um die Defensive zu stärken. Und Müller schien gegen Polen in jenen Phasen, in denen er den Rechtsaußen gab, zu weit weg von jener Zone im Straf- und Fünfmeterraum, wo er die Gegner mit seiner Torgefährlichkeit für gewöhnlich so erschreckt. Deshalb muss er so positioniert werden, dass er sich mehr ganz vorne austoben, mal hier, mal dort auftauchen kann, niemals greifbar für den Gegner.
Seit der WM: Nur dreimal mit einer echten Neun
Da die deutsche Mannschaft das Spiel mit einem echten Mittelstürmer seit der WM 2014 lediglich in drei Spielen mit Mario Gomez in der Mitte praktizierte und dieses Modell eher nicht mehr gewohnt ist, wäre Müller ein interessanter Kompromiss in dieser zentralen Angreiferrolle, die er schon in Brasilien vor zwei Jahren in den ersten vier Begegnungen interpretierte, mit drei Toren. Er könnte sich da vorne zudem mit Götze abwechseln.
kicker-Chefreporter Karlheinz Wild
Allerdings ist Götze nicht der flotte Flankenläufer, er müsste sich mehr in den Zwischenbereichen aufhalten und da wiederum den klugen, uneigennützigen Positionstausch mit Özil pflegen. Das hieße, Özil müsste zumindest hin und wieder die von ihm so geliebte Rolle als Nummer 10 teilen. Bei der WM war der Linksfüßer in den ersten vier Spielen rechts außen positioniert, vom Viertelfinale an links. Zugegeben, richtig wohl fühlt er sich außen nicht. Aber irgendwelche Zugeständnisse müssen gemacht werden.
Mein Plädoyer für Sané und Kimmich
Am wichtigsten aber ist, dass der Angriff mit Tempo und Dribblings beschwingt wird. Deshalb wäre ein Versuch mit Leroy Sané höchst spannend. Das Schalker Talent zieht mit Geschwindigkeit los, er kann es über rechts, wo er für Schalke bislang in 24 Pflichtspielen begann (6 Tore/ 3 Assists), wie über links (9-mal/ 1 Tor, 3 Assists) und würde etwas Anarchie in die bisherige Offensivstatik bringen. Und den Druck, auf den Löw im Zusammenhang mit den jungen EM-Erwählten Sané, Joshua Kimmich und Julian Weigl so nachdrücklich, aber genauso unverständlich hinwies, würde Sané sicher meistern. Er hat einst im Bernabeu-Stadion gegen Real Madrid unerschrocken losgelegt und den Ball gekonnt und cool ins Tor geschlenzt, im März 2015, damals 19 Jahre jung.
Genauso hat Kimmich seine Nervenstärke längst nachgewiesen, als er für den FC Bayern im Viertelfinale der Champions League unbeeindruckt seine Leistung brachte, in ungewohnter und höchst verantwortungsvoller Rolle als Innenverteidiger. Gegen extrem abwehrbereite Nordiren wäre der Münchner durchaus eine Überlegung wert - um als rechter Verteidiger die Offensive anzukurbeln, was Benedikt Höwedes bekanntlich nicht so mag und kann.